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Dr. Maria-Luise Schneider: Grußwort

Grußwort zum 10-jährigen Bestehen des IMEW
Festakt am 5.10.2011

Liebe Frau Dr. Grüber,
Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass ich mit diesem Grußwort die Verbundenheit der Katholischen Akademie in Berlin, aber auch meine persönliche Verbundenheit mit dem Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft ausdrücken kann, erinnere ich mich doch sehr gut an die Anfangsphase und an gute Kooperationen.

Auch wenn das Institut weltanschaulich und religiös nicht gebunden ist, so finden sich in der evangelischen und katholischen Kirche so viele gemeinsame Perspektiven und Anliegen, dass das IMEW gerade auch für die Kirchen ein wichtiger Think Tank geworden ist, den man nicht mehr missen möchte.

Ich möchte an dieser Stelle gerne an Bischof Franz Kamphaus erinnern, der damals bei der Eröffnungsveranstaltung des Instituts sprach und der eine immens wichtige und inspirierende öffentliche Stimme in der Stammzell- und PID-Diskussion vor 10 Jahren war.

Sie alle hier im Saal haben einen guten Überblick darüber, was das IMEW darstellt und was es leistet, aktuell etwa bei der Arbeit für Disability Mainstreaming. Deshalb erlaube ich mir einen subjektiven Blick darauf, was mir besonders wichtig an der Arbeit des Instituts ist und warum ich mich sehr freue, dass es sich im zarten Alter von 10 Jahren bereits so gut etabliert hat.

Das Institut wurde mit dem Ziel gegründet, ein Reflexionsdefizit in den Geistes- und Kulturwissenschaften hinsichtlich der neuen biotechnologischen Entwicklungen zu beheben und die Belange behinderter und chronisch kranker Menschen wissenschaftlich, öffentlich und politisch sowie rechtlich zu vertreten.

Es hat diese Aufgabe nun gerade nicht mit dem Gestus einer einfachen Lobby-Organisation umgesetzt, und dies war von Anfang an sicher eine große Stärke. In einer Zeit, in der die Berufung auf einen Benachteiligungs- und Minderheitenstatus etwas inflationäre Züge angenommen hat, ging es stets darum, Krankheit und Behinderung als Aspekt des allgemein Menschlichen und der sozialen und humanen Normalität aufzuweisen und daraus besondere Aufmerksamkeiten und konkrete Regelungsbedarfe für die aktuell und akut Betroffenen abzuleiten.

In unserer Gesellschaft, die die Freiheit des Einzelnen glücklicherweise hochschätzt, hat der Satz „Das kann jeder oder jede nur für sich selbst entscheiden“, fast schon dogmatische Geltung erlangt. Das IMEW fragt beharrlich nach den Prämissen dieses Satzes in medizinethischen und biotechnologischen Anwendungsbereichen. Wenn es um die Arbeit am Begriff geht, etwa um Begriffe von Autonomie und Selbstbestimmung, dann ist stets bewusst, dass es hier um Lebensfragen und mithin um Fragen von Leben und Tod geht. Diese Arbeit am Begriff kann meiner Ansicht nach gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die Orientierung an allgemeinen wissenschaftlich-methodologischen Standards und an einer – natürlich wissenschaftstheoretisch reflektierten – Objektivität hat dieser Arbeit am Begriff außerordentlich gut getan.

Wenn das IMEW sich mit Phänomenen von Diskriminierung, Normierung oder Normalisierung befasst, so bleiben diese Analysen nie bei der Erkenntnis stehen, dass diese oder jene Mentalität oder Handlungsweise Ergebnis sozialer Konstruktion und damit relativ und änderbar ist. Für das IMEW sind solche Überlegungen möglicher Ausgangs- und nicht selbstzufriedener Schlusspunkt von Forschung.

Und ich vermute dahinter mehr als nur das Wissen, dass mit der Arbeit am Begriff die praktische Arbeit der Veränderung sozialer Realität noch lange nicht getan ist. Das IMEW buchstabiert die Dinge aus, bis hinein in die komplizierten sozialrechtlichen Verästelungen des Sozialgesetzbuches und der nationalen und internationalen Programme und Konventionen, und meidet auch nicht Finanzierungs- und Umverteilungsfragen. Mir scheint, dass auch hier wieder das Vertrauen in eine geteilte Realität menschlicher Moralität und der Sinn für den geteilten Raum menschlicher Erfahrung die leitende Idee ist.

Neben Beiträgen aus diskursanalytischem und kulturkritischem Geist heraus bewahren das IMEW und die es tragenden Institutionen ein Blick auf den Eigensinn, die Unberechenbarkeit und auch Tragik des Lebens. Wir werden immer wieder daran erinnert, dass wir alle Übende sind, die früher oder später persönlich konfrontiert sind mit der Frage: Wie stehe ich selbst mit meinen moralischen Ansprüchen da, die ich auch selbst mit einlösen und nicht vollständig an „die Gesellschaft“ delegieren kann?

Wir werden dieses Vertrauen in eine geteilte Realität und Verantwortung noch dringend brauchen in den ja jetzt schon wogenden Debatten um die weiteren Entwicklungen bei Gentests und embryonalem Gen-Screening und vielen weiteren biotechnischen Innovationen, die Kontrolle und Planung im Kontext individueller Lebensführungsoptimierung verheißen.

Ich bin sicher, dass das IMEW in diesen Debatten ein Akteur sein kann, der diese individuellen Sehnsüchte nach Optimierung von Kontrolle und Lebensglück nicht denunziert, aber eben hartnäckig daran erinnert, dass die Idee einer individuellen Ausschluss-Strategie gegenüber Krankheit und Behinderung oder das Streben nach verbesserten genetischen Dispositionen von einem utopischen, irrealen Überschuss gekennzeichnet sind.

Das breite Netzwerk an Trägerinstitutionen mit Erfahrungswissen aus erster Hand und die Ausrichtung auf Politikberatung machen das so gewonnene Wissen besonders fruchtbar. Und hier scheint es mir wiederum gelungen, dass das IMEW, wo es seine advokatorische Rolle wahrnimmt, jenen dauergequälten, alarmistischen Ton vermeidet, der so manche sozialpolitischen Diskussionsfelder durchzieht. Dass es ernst ist, merkt man auch so. Ich will diesen Stil bewusst nicht pragmatisch, sondern nüchtern nennen.

Aus diesem Verzicht auf falsches Getöse oder dem direktiven Umgang mit Fakten und Expertisen erwächst eine doppelte Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit – wissenschaftlich und politisch-praktisch.

Dass dies alles mit einem äußerst überschaubaren Mitarbeiterstab geleistet wird, möchte ich nicht besonders erwähnen – es könnte staatsanwaltliche Ermittlungen wegen Verdachts auf Selbstausbeutung nach sich ziehen.

Mein einziger Wunsch an das IMEW ist es, dass sich im Laufe der kommenden Jahre vielleicht ein anderer Begriff für „Mainstreaming“ finden lässt, der dann möglicherweise sogar ins Englische übersetzt und in die angelsächsische Debatte zurückgespielt werden könnte. Ich würde dafür persönlich eine Kiste Wein spendieren.

Ich wünsche dem Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft eine wirkungsmächtige Zukunft!

Dr. Maria-Luise Schneider
Stellv. Direktorin
Katholische Akademie in Berlin

Weitere Artikel:

Programm der 10-Jahresfeier des IMEW am 5.10.2011

Prof. Dr. Ute Lindauer: Begrüßung

Dr. Katrin Grüber: Rückblick

Prof. Dr. Gerhard Robbers: Festvortrag

Ina Krause-Trapp: Schlusswort

Bericht über die 10-Jahresfeier

Fotos der 10-Jahresfeier

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