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Ina Krause-Trapp: Schlusswort

10 Jahre IMEW – Jubiläumsfeier am 5.10.2011 in Berlin. Schlusswort.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft,

Die Initiative zur Gründung des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft geht zurück auf das Ende der 1990er Jahre, als in Deutschland eine intensive gesellschaftspolitische Debatte darüber brandete, ob die Bundesrepublik das Europäische Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin unterzeichnen solle. Die sog. Bioethik-Konvention sollte das Tor zur femdnützigen Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen öffnen. Zur gleichen Zeit gab es heftige Auseinandersetzungen um das Auftreten und die Thesen des australischen Philosophen Peter Singer.

Um hier ein Gegengewicht zu setzen und die offenkundige Lücke im biomedizinischen Ethikdiskurs zu schließen, taten sich neun Interessenverbände für Menschen mit Behinderung zusammen: Eine Dachorganisation von 109 Selbsthilfevereinen behinderter und chronisch kranker Menschen, zwei unabhängige Selbsthilfevereine, ein Sozialverband und fünf Fachverbände für Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung gründeten gemeinsam das IMEW. Es erhielt den Auftrag, die biomedizinische und gesundheitsethische Entwicklung aus Sicht von Menschen mit Beeinträchtigungen wahrzunehmen und kritisch zu begleiten.

Parallel zu den Gründungsaktivitäten der Gesellschafterverbände des IMEW vollzog sich im deutschen Rehabilitations- und Teilhaberecht mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) ein Paradigmenwandel, dessen Reichweite und Schubkraft noch niemand so recht vorausschauen konnte und der gerne mit der Kurzformel „Von der Institution zur Person“ benannt wird: Menschen mit Behinderung sollten nicht länger als Objekte staatlicher Fürsorge betrachtet, sondern als selbstbestimmte Subjekte, die gleichberechtigt mit anderen am Leben in der Gesellschaft teilhaben, anerkannt werden. Dieser Paradigmenwandel erfuhr durch das Inkrafttreten des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einige Jahre später eine herausragende Bestärkung.

Den Paradigmenwandel aufgreifend, bearbeitete das IMEW recht bald auch Fragestellungen aus dem Themenspektrum der sozialen und kulturellen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Hierbei wurde deutlich, dass die Arbeitsfelder des IMEW – Biomedizin und Gesundheitsethik einerseits, soziale und kulturelle Teilhabe andererseits – eng miteinander verwoben sind. Denn nur die vertiefte Befassung mit der Rechtsstellung der Menschen mit Behinderung und dem Gedanken der Inklusion vermag langfristig die im bioethischen Diskurs herausgearbeiteten Gefahren der Selektion und Marginalisierung des Lebens mit Behinderung einzudämmen!

Die Vision des IMEW, dass die Belange und Interessen von Menschen mit Behinderung bei allen Forschungsvorhaben und Gesetzesinitiativen von Anbeginn mitgedacht und berücksichtigt werden mögen („Disability Mainstreaming“), schlägt die Brücke zwischen den Arbeitsfeldern des IMEW, das sich inzwischen in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten auch vertieft mit der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzt.

„Brauchen wir das IMEW heute noch?“ könnten wir fragen, wenn wir meinten, das IMEW habe sich vom Gründungsauftrag der Gesellschafterverbände entfernt. Wie wichtig das IMEW auch heute noch und gerade heute ist, ist allerdings schnell erkannt, wenn wir nur einige Stichworte aus der jüngsten Vergangenheit aufrufen: MR Net, Präimplantationsdiagnostik, Frühtest auf Trisomie 21.

Das Forschungsnetzwerk German Mental Retardation Network (MR NET) wurde vom Bundesforschungsministerium (BMBF) mit insgesamt rund 4,1 Mio € gefördert. Ziel dieses Netzwerks ist es nach Angaben des BMBF, für das Krankheitsbild der mentalen Retardierung neue Erkenntnisse zu den genetischen Ursachen und den diagnostischen Möglichkeiten zu gewinnen sowie Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Es ist nicht zuletzt der entschlossenen Intervention des IMEW und seiner Gesellschafterverbände zu danken, dass das BMBF dem Antrag auf Verlängerung der Förderung nicht entsprochen hat.

Im Ethik-Forum der Gesellschafterverbände des IMEW wurden zum Thema Präimplantationsdiagnostik (PID) zwei Stellungnahmen verfasst, die überzeugende Gründe für ein Verbot der PID aufführten, frühzeitig in den politischen Meinungsbildungsprozess eingebracht wurden und dort vielfältige Beachtung fanden – auch wenn die Abstimmung im Deutschen Bundestag dann nicht zugunsten eines Verbots der PID ausfiel.

Ein aktuelles Thema für das Ethik-Forum ist die Einführung eines vorgeburtlichen Diagnoseverfahrens – einer einfachen Blutuntersuchung bei der werdenden Mutter – zur Erkennung des Down-Syndroms. Die Entwicklung des Verfahrens wurde vom Bundesforschungsministerium mit 230.000 € gefördert, der Hersteller will den Frühtest auf Trisomie 21 bis Ende des Jahres auf den Markt bringen.

Dies sind nur drei Beispiele. So wird es leider immer wieder Forschungsvorhaben und Gesetzesinitiativen geben, die mit dem Lebensrecht und der Würde behinderter Menschen nicht in Einklang stehen. Besondere Wachsamkeit gebührt derzeit z.B. der Frage genetischer Untersuchungen bei sog. nicht einwilligungsfähigen Personen, denn die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen setzt hier höchste Maßstäbe. Deshalb brauchen wir eine starke Stimme auf der Seite der Menschen mit Behinderung – die des IMEW, das nach zehnjährigem Bestehen weit und tragfähig vernetzt ist in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Die Gesellschafterverbände wollten mit dem IMEW ein wissenschaftlich unabhängiges Ethik-Institut schaffen. Mit der Einrichtung des Ethik-Forums im IMEW ist es gelungen, die Gesellschafterverbände in fundierten Stellungnahmen an die Politik zu Wort kommen zu lassen, ohne das Profil des IMEW als wissenschaftlich unabhängige Institution zu trüben. Auf diesen Erfolg blicken wir mit Zufriedenheit.

Das IMEW hat in den zehn Jahren seines Bestehens nicht nur Feste gefeiert, sondern auch beträchtliche Hürden zu überwinden gehabt – auch hierauf sei ein kurzer Blick geworfen.

Zunächst danken wir der Stiftung Deutsche Behindertenhilfe Aktion Mensch für ihre herausragend großzügige Anschubfinanzierung des IMEW.

Bei Gründung des IMEW gingen die Gesellschafterverbände davon aus, bis zum Jahr 2006 eine Trägerstiftung mit einem Stammkapital von 10 Mio. Euro errichten zu können. Inwieweit diese Erwartung eine Fehleinschätzung darstellte, braucht nicht beantwortet zu werden. Fakt ist, dass eine Trägerstiftung bis heute nicht existiert. Auch den weiteren Bemühungen um Beschaffung freier Geldmittel blieb bislang der bahnbrechende Erfolg verwehrt. Wir haben uns zunächst auf die Gewinnung von Freunden und Förderern innerhalb der Gesellschafterverbände konzentriert – durchaus mit einiger positiver Resonanz. Inzwischen sind auch über die Verbandsgrenzen hinaus Freunde und Förderer hinzugetreten. Ihnen allen danken wir sehr herzlich für ihre zuverlässige Unterstützung!

Die Gesellschafterverbände selbst haben von Anbeginn zur Grundfinanzierung des Instituts beigetragen, einige von ihnen tun dies bis heute. An dieser Stelle möchte ich gerne hervorheben, dass alle Gründungsgesellschafter das IMEW nach wie vor mittragen. Dies stellt schon für sich einen hohen Wert dar! Dem Institut kommt zudem sehr viel ehrenamtliches Engagement zugute – hier sei mit großem Dank insbesondere die Arbeit des Kuratoriums und des Wissenschaftlichen Beirats genannt.

Im Übrigen mussten wir im Zuge der auslaufenden Startförderung der Aktion Mensch die Etatplanung auf Projektfinanzierung umsteuern. Dies bedeutet, dass nur solche Vorhaben realisiert werden können, für die eine Gegenfinanzierung aus Drittmitteln gesichert ist. Für ein Projekt mit biomedizinischem Schwerpunkt ist es indes außerordentlich schwierig, einen Auftraggeber zu finden! Dementsprechend bearbeitet das IMEW projektweise andere wichtige Themen. Den Gesellschafterverbänden sind die Aktivitäten des IMEW, die mit dem Gründungsauftrag intendiert waren, allerdings nach wie vor sehr wichtig. Deshalb arbeiten sie gemeinsam mit dem IMEW daran, eine Arbeitsstruktur und Rahmenbedingungen zu schaffen, die sicherstellen, dass das IMEW sich auch künftig vertieft mit den Entwicklungen in der Biomedizin und Gesundheitsethik befassen kann, damit die „andere Perspektive“ – die Perspektive der Menschen mit Behinderung – in der Bürgergesellschaft immer breiter Platz greift.

Wir sind auf einem guten Weg! Aber wir dürfen in unseren gemeinsamen Anstrengungen um die Sicherung der Zukunft des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft nicht nachlassen!

Den heutigen Tag dürfen wir jetzt beschließen. In der Wandelhalle steht ein kleines Buffet bereit. Ich wünsche Ihnen einen geselligen Ausklang dieses festlichen Abends!

Vielen Dank.

Berlin, den 5.10.2011
Ina Krause-Trapp

Weitere Artikel:

Programm der 10-Jahresfeier des IMEW am 5.10.2011

Prof. Dr. Ute Lindauer: Begrüßung

Dr. Maria-Luise Schneider: Grußwort

Dr. Katrin Grüber: Rückblick

Prof. Dr. Gerhard Robbers: Festvortrag

Bericht über die 10-Jahresfeier

Fotos der 10-Jahresfeier

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