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Dr. Katrin Grüber: Rückblick

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine sehr große Freude, mit Ihnen gemeinsam einen Blick auf die vergangenen zehn Jahre zu werfen, damit auch diejenigen, die uns noch nicht so lange kennen, wissen wo wir herkommen. Dann, denke ich, wird auch deutlich, wie viel sich in dieser Zeit getan hat.

Zu Beginn mussten wir viel erklären. Nicht alle haben verstanden, dass angesichts der bereits bestehenden zahlreichen Ethik-Institute ein weiteres Institut notwendig sei – oder sie meinten, es gäbe doch den Ethikrat bzw. die Enquete-Kommission. Durch unsere Veranstaltungen und Publikationen haben wir gezeigt, dass es eine Bereicherung für die Bio- und Medizinethik darstellt, wenn sie auch die Perspektive Behinderung berücksichtigt und wenn in bio- und medizinethischen Diskursen Menschen mit Behinderungen vertreten sind. Dies hätte es auch schon vorher geben können – aber es gibt das erst, seit es das IMEW gibt.

Wir machen beides: wir tragen die Perspektive Behinderung in andere Diskurse hinein und wir befördern den Dialog zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Menschen mit Behinderungen. Dabei gilt es auch, Berührungsängste zu überwinden. Es war auf der Veranstaltung im Jahr 2003, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen uns fragten, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie eine andere Meinung als die anwesenden Menschen mit Behinderung hätten. Nach unser Erfahrung gibt sich das Unbehagen relativ schnell, wenn man den richtigen Rahmen schafft und eine vertrauensvolle Atmosphäre. Und manchmal hilft auch ein gemeinsames Abendessen, so beispielsweise bei einer Veranstaltung in Paris mit dem Titel: Biomedizin verstehen – Menschen mit Behinderungen zuhören. Von Anfang an erreichen wir, dass auf unseren Veranstaltungen Begegnungen stattfinden zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen und zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft.

Wir sind als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung gegründet worden, die von neun Verbänden von und für Menschen mit Behinderungen getragen wird. Allein diese Konstruktion unterscheidet uns von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen und hat den einen oder anderen potentiellen Geldgeber davon abgehalten, uns für ein Projekt zu beauftragen. Und in diesen Fällen hat sich meine Befürchtung, die ich auf der Eröffnungsveranstaltung vor zehn Jahren geäußert habe, bewahrheitet: nicht alle verstehen die Notwendigkeit parteilicher Forschung – denn das sind wir bei aller Unabhängigkeit. Innerhalb der Wissenschaft wurde das Konzept allerdings sehr schnell verstanden und akzeptiert – da war ich in meiner Prognose zu vorsichtig. Ein Zeichen dafür ist, dass wir sehr rasch nach unserer Gründung von der Vereinigung der Europäischen Medizinethischen Zentren, der European Association for Centres of Medical Ethics, gebeten wurden, Mitglied zu werden. Wir sind der Anfrage gerne nachgekommen.

Zu Beginn standen für uns ausschließlich Fragen rund um die Bio- und Medizinethik im Fokus, ob am Anfang des Lebens oder am Ende. Im Laufe der Jahre haben wir die Themenpalette erweitert. Ein wichtiges Jahr war dabei das Jahr 2007, das Europäische Jahr der Chancengleichheit. Impulsgeber war der frühere Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung, Herr Haack, den ich herzliche begrüße, bei dem ich zum ersten Mal den Begriff Disability Mainstreaming las.

Ich war begeistert und habe damals gedacht, warum fordern nicht alle Verbände für Menschen mit Behinderung, dass Behinderung überall vorkommt und das so geplant wird, dass die Belange von vorneherein berücksichtigt werden? Denn genau das meint Disability Mainstreaming. Es ist doch ermüdend und ärgerlich, wenn Kritik immer erst dann vorgetragen werden kann, wenn es zu spät ist. Wir haben uns des Themas angenommen und versuchen es seit jener Zeit zu verbreiten und zu verankern. Wir wollen, dass die Perspektive Behinderung überall verankert wird – in der Wissenschaft, in der Politik und in der Gesellschaft. So lautet unsere Vision. Im Grunde haben wir das in der Medizin- und Bioethik von Anfang an gemacht – wir haben es nicht so genannt. Jetzt nennen wir es so und wir machen es auch so.

Ein weiterer Meilenstein, der unsere Arbeit geprägt, tiefgreifend verändert und beflügelt hat, ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wahrscheinlich geht das vielen im Raum hier so. Durch sie wird in vielen Bereichen die Perspektive Behinderung selbstverständlicher berücksichtigt. Es erlauben sich weniger, das Thema Behinderung zu vernachlässigen, seit es die UN-Konvention gibt.

Und wir als Institut versuchen unseren Teil dafür zu tun, dass dies so bleibt, und dass die Übertragung und Übersetzung der Ziele der UN-Konvention in die Praxis erfolgt, ob auf der europäischen oder der kommunalen Ebene. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist aber auch unsere normative Grundlage. Bereits in der Gründungserklärung wird ein ausdrücklicher Bezug zur Menschenwürde und zu den Menschenrechten hergestellt – und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung schafft keine Sonderrechte, sondern präzisiert und konkretisiert die allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Lassen Sie uns noch einen Blick in die Gründungszeit des Instituts werfen. Damals wurde heftig über die sogenannte Bioethik-Konvention des Europarates diskutiert. Im Fokus stand die Tatsache, dass die Bioethik-Konvention fremdnützige Forschung an Menschen im Wachkoma, mit Demenz oder mit schweren Behinderungen zulässt. Dies hat zu viel Kritik der Kirchen und von Verbänden von Menschen mit Behinderungen geführt.

Aus diesem Anlass heraus entstand die Idee, ein Institut zu gründen, um die Verbände auf einer wissenschaftlichen Grundlage argumentativ zu unterstützen. Dieser Aufgabe werden wir gerecht – insbesondere indem wir Stellungnahmen für die Gesellschafterverbände vorbereiten und in dem wir Konzepte entwickeln. Dabei fühlen wir uns nach wie vor den Menschen mit schweren Behinderungen besonders verbunden. Dies zeigt sich auch am unlängst entwickelten Teilhabekonzept, das auch auf Menschen mit schweren Behinderungen anwendbar ist.

Die letzten zehn Jahre sind schnell vergangen und es ist viel passiert. Wir hatten zahlreiche Ideen und wir haben einiges davon umgesetzt. Es hat Ereignisse gegeben, die bei der Gründung nicht vorherzusehen waren – auch sehr positive so wie die UN-BRK. Ich bin ziemlich sicher, dass auch in den nächsten zehn Jahren noch sehr viel geschehen kann – und auch muss. Ich hoffe, Sie sind weiter mit dabei und bleiben uns weiterhin gewogen.

Ich ende mit einem Dank an diejenigen, die das Institut gegründet, auf den Weg gebracht haben und unterstützen: den Gesellschafterverbänden, der Aktion Mensch, den Spendern und Förderern und den Kooperations- und Gesprächspartnern und nicht zuletzt meinen hochmotivierten Kolleginnen und Kollegen.

Weitere Artikel:

Programm der 10-Jahresfeier des IMEW am 5.10.2011

Prof. Dr. Ute Lindauer: Begrüßung

Dr. Maria-Luise Schneider: Grußwort

Prof. Dr. Gerhard Robbers: Festvortrag

Ina Krause-Trapp: Schlusswort

Bericht über die 10-Jahresfeier

Fotos der 10-Jahresfeier

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