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Dr. Katrin Grüber: Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft

Rede anlässlich der Eröffnungsveranstaltung des "Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft" am 1. März 2002 in Berlin

Wir sind im Vorfeld der Veranstaltung von verschiedenen Seiten gefragt worden, warum das Institut notwendig sei, ob es gefehlt habe und wo die Lücke sei. Dazu haben Sie jetzt schon einiges erfahren. Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft kann und will keine Enquetekommission oder einen Nationalen Ethikrat ersetzen. Es ist auch mehr als nur ein weiteres Ethikinstitut, weil es ein ganz besonderes Profil hat. Sowohl die Fragestellungen, als auch die Methoden und die Aufgaben sind andere. Was ist nun das Besondere:

1.

Die Forschung geht aus von der Perspektive insbesondere von Menschen mit Behinderungen bzw. von chronisch kranken Menschen. Es handelt sich also um parteiliche Forschung. Das ist übrigens keinesfalls zu verwechseln mit Gefälligkeitsgutachten. Im Übrigen sind wir sicher, dass die Tätigkeit für die gesamte Gesellschaft Bedeutung hat. Nicht nur, aber auch weil alle - zumindest potentiell - betroffen sind. In diesem Sinne ist das Wort Mensch im Namen des Institutes sehr treffend gewählt.

2.

Das Institut hat einen besonderen Fokus: die moderne Biomedizin und ihre Auswirkungen. Wir haben nicht den Ehrgeiz, alle Fragen behandeln zu wollen, die behinderte und chronisch kranke Menschen betreffen.

3.

Die Idee zur Gründung des Institutes entstand, weil der vorherrschenden Bioethik etwas entgegengesetzt werden sollte. Der Bioethik wird ja häufig (zu recht) Akzeptanzbeschaffung vorgeworfen. Die Gründungsväter und -mütter sahen einen besonderen Bedarf in der Forschungslandschaft für eine kritische Ethik.

4.

Die theoretische Grundlage des Institutes ist allerdings keineswegs beliebig. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die Menschenwürde und die Menschenrechte, so wie es auch in der Gründungserklärung formuliert ist. Bischof Kamphaus hat es sehr treffend und klar formuliert: Der Mensch hat Würde und nicht Wert. Unsere stetige Aufgabe wird der Hinweis darauf sein, dass wertfreie Forschung ein Mythos ist, der leider sehr weit verbreitet ist - insbesondere in der Medizin und in den Naturwissenschaften. Veränderungen der Werte und Normen in unserer Gesellschaft durch Entwicklungen der Biomedizin sollen kritisch beleuchtet werden.

5.

Das Institut setzt bei den wissenschaftlichen Methoden auf Vielfalt, auf die Einbeziehung verschiedener Disziplinen: Biologie, Medizin, Recht, Philosophie, Pädagogik, Theologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie, Geschichte und nicht zu vergessen die Pflegewissenschaft. Insbesondere die Einbeziehung von Sozialwissenschaften ist für Fragestellungen im Zusammenhang mit der Biomedizin in der Wissenschaftlichen Gemeinde keineswegs selbstverständlich. Aber gerade wenn es um die Entwicklung von Alternativen, von Zukunftsperspektiven geht, sind wird auf eine Methodenvielfalt angewiesen. Wir wollen schließlich nicht nur beim nein stehen bleiben. Was nicht heißt, dass wir nicht auch, auf der Grundlage von Forschungsergebnissen, Stellungnahmen abgeben und begründen, warum etwas nicht geschehen soll.

6.

Das Institut wird Informationen sammeln sowohl in Fachzeitschriften als auch gerade in der so genannten grauen Literatur. Leider schlummern viele wichtige Erkenntnisse im Verborgenen. Vielleicht ist es eine der entscheidenden Aufgaben des Institutes, sie zu bündeln und sie in die Öffentlichkeit zu bringen - damit sie eine Wirkung entfalten, indem die öffentliche Diskussion angeregt wird.

7.

Wir werden regelmäßig kurz, knapp und verständlich Informationen zu verschiedenen aktuellen Themen verbreiten. Wir wollen Ansprechpartner sein sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wissenschaft. Das unterscheidet uns übrigens auch von vielen anderen Instituten. Schon heute lade ich Sie ein zu den Friedrichshainer Gesprächen, die wir regelmäßig durchführen wollen. Besuchen Sie uns im Büro oder auch ab April im Internet, wobei wir selbstverständlich nach dem Prinzip "Einfach für alle" von der Aktion Mensch verfahren werden. Es ist offensichtlich, dass das Institut etwas Besonderes, Einmaliges sein wird, das es vorher nicht gab. Die Behindertenbewegung setzt mit der Gründung des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft ein Zeichen, kann sich aber auf Vorbilder berufen. Alle sozialen Bewegungen in Deutschland (z.B. die Umwelt-, Frauen-, Friedensbewegung) haben erkannt und anerkannt, dass sie eine Unterstützung durch Wissenschaft für ihr Anliegen benötigen. Der Vergleich mit anderen ist wichtig, weil er gelassener macht und auf Schwierigkeiten vorbereitet. Ob Umwelt- oder Frauenforschung, die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass in der Wissenschaft die Berechtigung und Notwendigkeit parteilicher Forschung nicht immer verstanden wird. Dies wird wahrscheinlich auch für die Tätigkeit des Institutes gelten. Deshalb ist Kritik zu erwarten, aber die halten wir aus. Es ist heute noch zu früh, das Forschungsprogramm vorzustellen. Aber ich will wenigstens einige Ideen nennen. Dazu eine Vorbemerkung: der Anlass für die Gründung des Institutes war die Auseinandersetzung um die Bioethikkonvention. Besondere Empörung hat damals das Ansinnen ausgelöst, fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen zuzulassen . Dieses Ansinnen ist nicht aus der Welt. Deshalb werden wir insbesondere diesen Punkt im Auge behalten und auch mit diesem Thema beginnen.

Andere Fragen können sein:

Welche Folgen haben die neuen Entwicklungen in der Biomedizin für einzelne Menschen wie für die Gesellschaft als ganze?

Was steckt hinter dem Wunsch nach einer leidensfreien Gesellschaft?

Welche Auswirkung hat dieses Versprechen?

Was bedeuten die Begriffe Krankheit, Behinderung, Gesundheit, Normalität?

Wie werden sie verwandt, eingesetzt?

Wir werden nicht immer Antworten präsentieren können, zumindest keine einfachen. Wir werden aber eine besondere Sorgfalt auf die Formulierung der Fragestellung verwenden und Anregungen aus der Gesellschaft aufgreifen. Dazu ein konkretes Beispiel aus der Demenzforschung. Die meisten denken da nur an die Erprobung neuer Medikamente. Wir stellen uns vor, dass stattdessen Betroffene, Angehörige, das Pflegepersonal sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen gemeinsam Forschungsprojekte entwickeln. Vielleicht ergibt sich daraus die Erkenntnis, dass Fortschritt in der Medizin gerade durch den Verzicht auf Forschung an Nichteinwilligungsfähigen möglich ist.

Sie merken, wir haben viel vor. Außerdem gibt es viele Erwartungen an uns. Das freut uns, weil es zeigt, dass das Institut notwendig ist. Um Enttäuschungen vorzubeugen, will ich deutlich machen: Nicht alle Erwartungen können erfüllt werden. Allerdings: je mehr Unterstützung wir erfahren, je mehr Ideen aufgegriffen werden, umso mehr wird am Institut und durch das Institut gelingen.

Ich möchte enden mit dem Dank an alle:

denen, die das Institut gegründet haben,
der Aktion Mensch, ohne die diese Gründung nicht möglich gewesen wäre
denen, die in den ersten Monaten durch praktische Tipps den Aufbau des Institutes unterstützt haben
denen, die die Veranstaltung vorbereitet haben und heute für den reibungslosen Ablauf gesorgt haben
denjenigen, die heute durch ihr öffentliches Auftreten und Eintreten das Institut unterstützt haben

Sie sind gekommen als ein Zeichen der Verbundenheit mit der Idee des Institutes. Ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen bzw. von einander hören und dass wir etwas gemeinsam auf den Weg bringen.

Dr. Katrin Grüber, Leiterin des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft

Weitere Artikel:

Programm der Eröffnungsveranstaltung des IMEW am 1. März 2002

Robert Antretter: Begrüßung

Bischof Franz Kamphaus: Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde

Prof. Dr. Anne Waldschmidt: Wozu ein weiteres (Ethik-)Institut?

Fotos der Eröffnungsveranstaltung

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