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Freunde & Förderer

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Testimonial Rehmann-Sutter

Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften
Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften
Das IMEW arbeitet an einer wahrnehmungsfähigen biomedizinischen Ethik ... (mehr)

Gründungserklärung

1. Anlass

Angesichts der wachsenden Tendenz, ethische und soziale Fragestellungen den Prinzipien der Zweckrationalität und Rentabilität zu unterwerfen, gründen die Unterzeichnenden ein "Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft", IMEW. Sie lassen sich leiten von der historischen Erfahrung, dass ewig möglich bleibt, was einmal wirklich war.

In diesem Satz des Philosophen Theodor W. Adornos ist das Resümee seiner Reflexionen über Auschwitz zusammengefasst: mit Auschwitz ist etwas in die Welt gekommen, was immer präsent ist - als historische Realität und als permanente Möglichkeit. Der Auschwitzüberlebende Primo Levi schreibt: Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen. Das ist der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Aus diesem Gedanken folgt notwendig eine besondere Wachsamkeit schon gegenüber Phantasien, die menschliches Leben einschränken, denn: Was denkbar ist, wird machbar, was machbar ist, droht gemacht zu werden.

Den zeitgeschichtlich aktuellen Anlass bildet die Etablierung einer praktisch-ethischen Philosophie, die unter dem Namen ‚Bioethik' mit dem Anspruch alternativloser Zuständigkeit für alle Arten ethischer Analysen und Entscheidungen der modernen Medizin auftritt. Sie bedient sich utilitaristischer und hedonistischer Denkmuster und eines Menschenbildes, das den Autonomiegedanken verabsolutiert und Menschsein mit Leistungsfähigkeit und Selbstbewusstsein gleichsetzt.

Nach bioethischer Denkweise müssen die ethischen Prinzipien an die durch Gentechnologie und Biomedizin sich bietenden neuen Problemlösungen angepasst werden.

Die Bioethik sieht Handlungsbedarf vor allem in folgenden Bereichen:

  • die Tötung von Sterbenden, unheilbar Kranken, Wach-Koma-Patienten und schwerstbehinderten Neugeborenen,
  • die fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen und
  • Eingriffe in das menschliche Erbgut.

Die Bioethik tendiert dabei dazu, ein auf Konkurrenz und Egoismus basierendes Menschenbild zu verbreiten und Angst vor Krankheit und Behinderung zu instrumentalisieren.

Bedrohliche Resultate wären:

  • eine fortschreitende Enttabuisierung des Tötens,
  • eine Kosten-Nutzen-Mentalität, die das Solidaritätsprinzip zerstört,
  • ein Wiederaufleben von Utopien einer krankheits- und leidensfreien Gesellschaft und
  • Strategien der Menschenzüchtung mit allen unwägbaren Folgen.

2. Grundlagen

Ausgangspunkt der ethischen Reflexion des Instituts Mensch, Ethik, und Wissenschaft ist ein Humanismus, der dem Menschen auf Grund seiner besonderen Stellung innerhalb der Schöpfung eine besondere Verantwortung für sie zuweist, aus der er dem Anderen begegnet. Mit dieser Beschreibung wird der Mensch in seiner Fremdheit, seiner Ambivalenz und seiner leib-seelischen Verletzlichkeit begriffen und angenommen. Ohne die Bereitschaft und Fähigkeit, diese Grundaussagen zum Menschsein in Denken und Handeln zuzulassen und wirksam werden zu lassen, bleibt der Begriff der Menschenwürde leer, beliebig interpretierbar und manipulierbar. Die menschliche Würde aber ist die immer schon bedrohte Würde des Anderen, deren Achtung menschliche Gemeinschaft erst konstituiert.

Eine in die Zukunft weisende Ethik kann sich weder allein auf eine rein logisch abgeleitete Pflichtenlehre noch auf ein zweckrationales Menschenbild stützen. Eine ethische Position, die nicht dem Plausibilitätsverlust alter ethischer Konzeptionen anheim fallen will und sich nicht dem biotechnologischen Leidens- und Glücksverständnis ausliefern will, hat zuallererst die Fragen zu stellen, worin eine Verbesserung des menschlichen Erbguts bestünde und woher man wissen könnte, ob sie für den Menschen wirklich einen Vorteil brächte.

Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft geht von der Gefährdung und der Verletzlichkeit des Menschen aus. Es wendet sich gegen ein Menschenbild, das den Menschen reduziert auf Leistungen oder Gene und ihn dem Zwang zur Gesundheit ausliefert.

Seine geistigen Grundlagen sieht das Institut

  • in der Tradition der Aufklärung und ihrer Dialektik
  • in der darin gründenden Verpflichtung auf die Menschenrechte, wie sie in der UN-Menschenrechtsdeklaration und in den Grundrechten des Deutschen Grundgesetzes festgeschrieben sind und
  • in dem Gedanken der Nächstenliebe, wie er in unterschiedlichen Formen in den Weltreligionen seinen Ursprung hat.

Für Reflexionen und Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Ethik werden von einer so fundierten Philosophie die Belange des jeweils Verletzlicheren zum Maßstab gemacht. Die Verantwortung für den Anderen und den Schutz der Verletzlichkeit hebt aber nicht die Eigenverantwortlichkeit auf. Insofern legt dieses Denken einen besonderen Akzent auf die Nicht-Delegierbarkeit von Verantwortung.

3. Zielsetzungen

Die Neigung der Biowissenschaften, den Menschen auf sein Genom zu reduzieren, und der Glaube an die Beherrschung gentechnischer Verfahren nähren den alten Traum der Genetiker von einer Verbesserung des Menschen und der Gesellschaft durch die Veränderung des Erbguts. Mit der Gründung des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft soll die Gefahr einer Wiederholung der Umsetzung eugenischer Gedanken und eines Euthanasie-Denkens aufgedeckt und abgewehrt werden. Diese Gefahr ist um so realer, als die Biowissenschaften heute über weitreichende Möglichkeiten der Eingriffe in menschliches, tierisches und pflanzliches Erbgut verfügen und sich diese Entwicklung auf dem Boden einer demokratisch verfassten Gesellschaft vollzieht, die sie schleichend unterhöhlt.

Die Arbeitsweise des Instituts umfasst:

  • die kritische Durchdringung der sozialen und biologischen Tatsachen und Fragen
  • die historische Reflexion des gesellschaftlichen Hintergrundes
  • das einfühlende gegenseitige Verstehen mit der Anregung des ersten Schrittes auf den Anderen zu.

Ziel des Institutes ist es, zu gesellschaftlich bedeutenden Streitfragen, unter der Berücksichtigung der jeweiligen Perspektive der Betroffenen, ethische Konzepte zu entwerfen und Positionen zu entwickeln, die auf den grundlegenden menschlichen Fähigkeiten zu Mitgefühl und Kooperation beruhen. Dabei wird Untersuchungen über die Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen soziale Verantwortung wirksam werden kann, ein zentraler Stellenwert zukommen.

Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft will Orientierung geben. In seiner Arbeit soll das Wissen um die menschliche Ambivalenz erkenntnisleitendes Prinzip sein. Daher unterbreitet es eher Vorschläge im Umgang mit ungelösten Fragen als der Gefahr zu unterliegen, pseudoklare Lösungen anbieten zu wollen.

4. Gesellschaftlicher Ort, Aufgaben und Struktur

Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft versteht sich als Teil des wachsenden Netzwerks von Verbänden, Initiativen und Einzelnen, die sich kritisch mit biowissenschaftlichen und medizinethischen Problemstellungen befassen. Es ist in besonderer Weise den vielfältigen Impulsen der Behinderten-Selbsthilfebewegung verpflichtet. In der Zusammenarbeit mit den jeweils Betroffenen und Angehörigen wird gerade deren Kompetenz zur Geltung kommen, wobei die Problematik der Stellvertretung ein Gegenstand ständiger Reflexion sein muss. In der Praxis des Instituts wird diese gesellschaftliche Parteilichkeit im ständigen Ausbalancieren von Betroffenheit und selbstkritischer Distanz zum Thema sichtbar werden.

Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft ist eine wissenschaftliche Einrichtung mit allen dafür nötigen Strukturen, Instrumenten und Tätigkeitsfeldern. Es praktiziert den kritischen Dialog mit den Naturwissenschaften und die Zusammenarbeit möglichst vieler unterschiedlicher Disziplinen. Dabei will es denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Mut machen, die ganzheitliche Ansätze verfolgen und sich vom Reduktionismus der Gentechnik und der Biomedizin abgrenzen.

Das Institut initiiert und realisiert ethische Grundlagenforschung und fördert Kommunikationsprozesse durch Tagungen und Seminare, es ist Diskussions- und Aktionsplattform. Es bietet qualifizierte Beratung für den Umgang mit den Methoden der Biomedizin und ihren Folgen an. Alle Ergebnisse des Instituts werden veröffentlicht, wobei Wert auf Allgemeinverständlichkeit gelegt wird. Das Institut wirkt in die Öffentlichkeit und in die Wissenschaft und zielt auf politische Präsenz.

Grundsätzlich lassen sich die Aufgaben des Instituts in folgende Bereiche gliedern:

  • Recherche, Gutachten
  • Positionsentwicklung
  • Beratung, Aufklärung, Information, Orientierung
  • Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs

Das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft hat eine kollegiale Leitung. Ihr zur Seite steht zur Unterstützung und Beratung ein Beirat aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Betroffenen und Angehörigen und interessierten Einzelpersonen. Vorstellbar ist die Anbindung des Instituts an eine Hochschule, angestrebt ist die Kooperation mit entsprechenden Einrichtungen außerhalb Deutschlands.

24.09.2001

Die Unterzeichnenden:

Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V.
Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe e.V.
Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V.
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V.
Interessenvertretung "Selbstbestimmt Leben" in Deutschland e.V.
Sozialverband VdK Deutschland e.V.
Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V.

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