Praxis, rechtliche Regulierung und ethische Diskussion der Präimplantationsdiagnostik in Italien, Teil 3
Sigrid Graumann, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, April 2003
4. Die ethische Diskussion der Präimplantationsdiagnostik in Italien
Die Praxis und die Regulierung der PGD spielt in der öffentlichen Diskussion in Italien so gut wie keine Rolle. Selbst in Fachkreisen ist kaum bekannt, welche Angebote es überhaupt gibt, welchen Regelungen diese unterworfen sind und was sich daran durch das geplante Fortpflanzungsmedizingesetz ändern würde. Der Schwerpunkt der öffentlichen Diskussion des geplanten Fortpflanzungsmedizingesetzes bezieht sich, wie bereits angesprochen, auf andere Aspekte. (Mordacci*, Flamigni*, Balisteri*, Gambino*)
Die zentralen strittigen Punkte in Bezug auf den Gesetzgebungsprozess, die in der akademischen, politischen und öffentlichen Diskussion hoch umstritten sind, ist die geplante Beschränkung der medizinisch unterstützten Befruchtung auf das »homologe System« sowie die rechtliche Behandlung des menschlichen Embryos als Person. Beides wird von den meisten der befragten Experten auf den Einfluss der katholischen Kirche auf die Gesetzgebung zurückgeführt. So erstaunt es auch nicht, dass sich der größte Teil der Presse-Debatte, die den Gesetzgebungsprozess begleitete, mit der Frage des Verhältnisses einer pluralistischen, säkularen Gesellschaft und der Kirche in Bezug auf bioethische Fragen beschäftigte. Dabei könnte der Eindruck entstehen, dass sich nahezu alle »fortschrittlichen Kräfte« der Gesellschaft mit den Vertretern der fortpflanzungsmedizinischen Praxis in der Kritik an dem Gesetzentwurf und an dem Einfluss der Kirche vereint sehen. Die »katholischen Stimmen«, so einflussreich sie offensichtlich in der Politik sind, sind in den Medien wesentlich weniger laut zu hören.
4.1. Positionen des Nationalen Ethikkomitees [ 48 ]
Das Nationale Ethikkomitee Italiens hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit Fragen der Fortpflanzungsmedizin und der pränatalen Diagnostik beschäftigt. Dabei wurde - wenn auch nur am Rande - die PGD thematisiert. Ein Bericht, der sich eigens mit der PGD beschäftigt, liegt allerdings nicht vor.
Das Nationale Ethikkomitee, das seit 1990 besteht, hat 46 Mitglieder aus allen relevanten wissenschaftlichen Disziplinen, die von der italienischen Regierung berufen werden. Die Zusammensetzung des Komitees wurde von einigen der befragten Experten kritisiert. Es seien zwar alle wesentlichen Positionen, die in der gesellschaftlichen Diskussion eine Rolle spielen, vertreten, wenn auch nicht in einem repräsentativen Verhältnis. Die Mehrheit der Mitglieder sei dem katholischen Spektrum zuzurechnen. (Mori*) Allerdings begnügt sich das Komitee in seinen Stellungnahmen in Fragen, in denen kein Konsens erzielt werden kann, darauf, die unterschiedlichen Positionen darzulegen und verzichtet auf die Abstimmung über kontroverse Voten. (D′Agostino*) Damit dürfte gewährleistet sein, dass kontroverse Standpunkte angemessen vertreten werden.
Der Bericht des Nationalen Ethikkomitees zur Pränataldiagnostik vom 18. Juli 1992 beschränkt sich auf die Evaluierung der Praxis der Pränataldiagnostik (PND). Grundsätzliche Fragen wie die moralische und rechtliche Legitimität eines Schwangerschaftsabbruchs nach PND werden nicht thematisiert. Der Bericht geht von der Privilegierung des gesundheitlichen und psychischen Wohlergehens der Frau vor dem Leben des Fötus im italienischen Recht aus. Gefordert wird in dem Bericht die gleiche Zugangsmöglichkeiten für Paare zur PND, die Etablierung von spezialisierten Einrichtungen für die PND mit interdisziplinären Teams, welche die Begleitung der Paare über alle Phasen der Behandlung gewährleisten, die Erstellung regelmäßig zu aktualisierender Indikationslisten für die PND sowie Studien zur Nützlichkeit von Screening-Programmen. Der informed consent der Frau und ein angemessenes Verhältnis von Nutzen (Wahrscheinlichkeit eines kranken oder behinderten Kindes) und Risiko (Fehlgeburtsrisiko) sei sicherzustellen. Zur Präimplantationsdiagnostik werden keine konkreten Forderungen genannt, weil die Praxis auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstands nicht evaluiert werden könne. (Comitato Nazionale per la Bioethica 1992)
In seinem Bericht zur medizinisch unterstützten Befruchtung vom 17. Juni 1994 wird die Pluralität ethischer Positionen betont, insbesondere was Sexualität, Fortpflanzung und die Rolle der Familie anbelangt, die sich auch im Nationalen Ethikkomitee wieder finden:
»Die Unterschiedlichkeit an Positionen findet sich auch innerhalb des Komitees selbst.«
Das Komitee empfiehlt dabei »ein Handeln des Gesetzgebers, das sich jedes Radikalismus enthält.« Im Konsens wird u. a. gefordert, dass die Paare angemessen informiert und psychologisch begleitet werden und dass die Erforschung der Ursachen von Unfruchtbarkeit gefördert wird. Wegen der Pluralität an Positionen konnte das Komitee, so der Bericht, nicht zu einer gemeinsamen moralischen Beurteilung der heterologen Insemination, der extrakorporalen Befruchtung sowie der Kryokonservierung kommen. Dennoch werden eine Reihe von Praktiken konsensuell für unakzeptabel gehalten, wie die Verwendung von Keimzellen oder Embryonen ohne vorliegendem informed consent, die kommerzielle Verwendung von Keimzellen oder Embryonen, die Herstellung von Embryonen alleine für die Forschung, das Klonen von Menschen sowie die Herstellung von Hybriden oder Chimären.
In Bezug auf den Schutz der Embryonen werden voneinander abweichende Positionen vertreten. Ein Teil der Mitglieder geht davon aus, dass der menschliche Embryo wie eine Person zu behandeln sei. Folglich seien dem Embryo optimale Bedingungen für seine Entwicklung von der Befruchtung an zu bieten. Alle Verfahren der medizinisch unterstützten Befruchtung, die zu einer Vergeudung von Embryonen (»sprechi di embrioni«) führen, werden abgelehnt. Auch jede Selektion und Manipulation des Embryos, die nicht direkten therapeutischen Zielen im Sinne des Wohlergehens des Embryos dienen, sei abzulehnen.
Eine zweite Gruppe schlägt weniger restriktive Schutzmaßnahmen vor, will jedoch festhalten, dass nur so viele Eizellen befruchtet werden dürfen, wie innerhalb eines Zyklus in den Uterus übertragen werden. Die Forschung mit Embryonen soll ähnlich wie in Großbritannien ermöglicht werden.
Eine dritte Gruppe nimmt eine vermittelnde Position ein. Auch sie schlägt die Einschränkung der Praxis der Fortpflanzungsmedizin vor.
In Bezug auf den Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren legt das Komitee das Wohlergehen des entstehenden Kindes zu Grunde. Im Konsens werden die IVF für Frauen nach dem fortpflanzungsfähigen Alter, für Paare des gleichen Geschlechts, nach dem Tod eines Partners sowie für nicht stabile Paare abgelehnt. Einige Mitglieder lehnen die Verwendung von Keimzellen dritter grundsätzlich ab, andere halten dies unter bestimmten Bedingungen für legitim. Darüber hinaus wird eine interne Dokumentationspflicht, ein zentrales IVF-Register, die Festlegung von wissenschaftlichen Mindeststandards der Zentren für die Zulassung, die Veröffentlichung der Preise für die Behandlung sowie gleiche Regelungen im öffentlichen und im privaten Sektor gefordert. (Comitato Nazionale per la Bioetica 1995)
Das Nationale Ethikkomitee hat am 22. Juni 1996 eine Empfehlung zur Identität und zum Status des menschlichen Embryos verabschiedet. Es war einmütig der Ansicht, dass das menschliche Dasein mit der Befruchtung entsteht und dem Embryo daher ab diesem Zeitpunkt Respekt und Schutz gebührt. Im Konsens wurde empfohlen, dass die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und das Klonen als moralisch illegitim anzusehen sei. Bei der Frage, inwieweit auch eine moralische Pflicht besteht, den Embryo wie eine Person zu behandeln, bestand keine Einmütigkeit. Ein Teil des Komitees bejahte diese Frage und folgerte daraus u.a. die grundsätzliche Illegitimität der PGD, wenn sie auf die Zerstörung des Embryos zielt. Es wurde jedoch eingeräumt, dass die PGD zulässig sein könnte, wenn eine diagnostische oder therapeutische Intervention dem Wohlergehen des Embryos diene. [ 49 ] Ein anderer Teil des Komitees hielt die Entscheidung für legitim, einen Embryo nicht zu übertragen, wenn sich bei einer PGD herausgestellt hat, dass er Träger einer schweren genetischen Erkrankung oder Fehlbildung ist. (Comitato Nazionale per la Bioethica 1996)
Die Positionen der Mitglieder des Nationalen Ethikkomitees zur PGD, die in den verschiedenen Berichten formuliert wurden, können wie folgt zusammengefasst werden. Ein Teil der Mitglieder hält die PGD für nicht legitim, weil sie zur Vernichtung von Embryonen führen würde - nur wenn dies ausgeschlossen werden könnte, wären Ausnahmen denkbar. Ein anderer Teil der Mitglieder hält die PGD mit dem Ziel, eine Schwangerschaft mit einem kranken oder behinderten Kind zu verhindern für moralisch zulässig. Auffällig ist, dass das Aneuploidie-Screening (PGD-AS), das in Italien ja einen Großteil der PGD-Fälle ausmacht, nicht thematisiert wurde.
4.2. Die öffentliche Diskussion der medizinisch unterstützten Befruchtung
In den Diskussionen über bioethische Fragen wird in Italien in der Regel von zwei Lagern ausgegangen, den gläubigen Katholiken und den Laizisten. (Zega 1999) Erstere werden vor allem mit dem konservativen und rechten Parteienspektrum, letztere mit den Parteien der gesellschaftlichen Linken identifiziert.
Die öffentliche Kritik an dem Gesetzentwurf zur medizinisch unterstützten Befruchtung, geht vor allem von den sich selbst als laizistisch bezeichnenden Kreisen aus. Die Diskussion in den Medien fand vor allem in den Jahren 1999 und 2000 statt. Der damals diskutierte Gesetzentwurf wurde zunächst in der Abgeordnetenkammer verabschiedet, im Senat dann jedoch abgelehnt. Der heute diskutierte Entwurf wird von den befragten Experten als noch restriktiver beurteilt. Die Medien haben ihr Interesse an dem Thema aber offensichtlich weitgehend verloren. [ 50 ] Als der letzte Gesetzentwurf im Parlament im Frühsommer 2000 zur Diskussion stand, fand begleitend ein Expertendiskurs in den großen, überregionalen Tageszeitungen statt. Darin dominierten neben Journalisten Professoren und Parteirepräsentanten aus der gesellschaftlichen Linken.
Der diskutierte Gesetzentwurf wurde als Beschränkung der Freiheit der Bürger angesehen.
»Sterilität ist eine Behinderung; die Zulassung der Zeugung mit den von der Biomedizin angebotenen Methoden ist dagegen ein Zuwachs an menschlichen Möglichkeiten und Freiheiten.« (Berlinguer 2000)
Die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes sei auf den Einfluss der katholischen Kirche zurückzuführen. Die katholische Kirche würde - wie sie es immer getan habe - die Pluralität individueller Lebensentwürfe, besonders der traditionell ausgegrenzten und schwächeren gesellschaftlichen Gruppen, nicht anerkennen. (Nirenstein 2000) Eine mögliche Ablehnung des Gesetzesvorhabens bezeichnete Myiram Mafai als:
»Einen Sieg für die Frauen, ihre Rechte und ihre Freiheit.« (Mafai 2000)
Die Polarisierung zwischen katholischen und laizistischen Positionen stünde der Entstehung einer normativen Orientierung, die einer pluralistischen Gesellschaft entsprechen würde, entgegen.
»Der Konflikt im Parlament, der sich in den letzten Jahren, in exzessiver und instrumenteller Art und Weise, entwickelt hat, hat noch zu keiner Regelung geführt, die fähig wäre, den moralischen und religiösen Pluralismus zu repräsentieren, Rechtssicherheit zu gewährleisten, und vernünftige und akzeptierte Grenzen für die stürmischen Fortschritte der Biomedizin zu benennen.« (Caporale 2000)
Es wird kritisiert, dass die öffentliche Meinung - insbesondere durch die katholische Presse (vgl. Corradi 2000) - vor allem von Skandalen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin geprägt sei, und die wirklichen Probleme dahinter unbeachtet blieben.
»Angesichst dieser Realität reicht es nicht aus, laut ›Skandal« zu rufen. Oder strengere nationale Gesetze zu fordern. Seit vielen Jahren (der eine oder andere Leser wird sich vielleicht erinnern) versuche ich, Aufmerksamkeit für das zu schaffen, was mir die wahren ethischen, sozialen und juristischen Probleme der künstlichen Befruchtung zu sein scheinen, während die Aufmerksamkeit für diese Probleme fast immer von dickköpfigen ideologischen Positionen übertönt werden, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten.« (Rodotà 2000)
Der vorliegende Gesetzentwurf biete für die wirklichen Probleme (Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, Qualitätssicherung in den reproduktionsmedizinischen Zentren, Fortpflanzungstourismus) keine angemessenen Lösungen an. Stattdessen beschneide der Gesetzgeber damit in unzulässiger Weise die Wahlfreiheit der Bürger. Insbesondere der Ausschluss homosexueller Paare und lediger Frauen von den Angeboten der Fortpflanzungsmedizin wird regelmäßig als unzulässige Einmischung in die Privatsphäre betrachtet. (Casadio 2000) Darauf kommt regelmäßig die Antwort:
»Uns erscheint (…), dass der Schutz der Kinder Vorrang haben muss vor der Wahlfreiheit der Erwachsenen.« (Ostellino 2000)
Neben den Regelungen der Zugangsbeschränkung zur medizinisch unterstützten Befruchtung erregte insbesondere die Bezeichnung des Embryos in Art. 1 des Gesetzentwurfes Widerspruch. Dabei wurde regelmäßig Bezug genommen auf das Recht der Frau, selbst- bestimmt über Fortsetzung oder Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft zu entscheiden:
»Wenn der Embryo eine ›Person‹ ist, wäre jeder Abbruch - auch am Tag danach - ein Infantizid (...).« (D′Arcais 1999)
Es wurde aber auch festgestellt, dass ein größeres Engagement in der Öffentlichkeit für oder gegen die Einschränkungen, die der Gesetzentwurf für die fortpflanzungsmedizinische Praxis bringen würde, im Gegensatz zur Diskussion des Schwangerschaftsabbruchs bislang ausgeblieben ist:
»Eine bedeutende Massenbewegung, sei es für oder gegen den Embryo, hat es bisher nicht gegeben..« (Vattimo 1999)
Wenn Bedenken in Bezug auf die bestehende Praxis der Fortpflanzungsmedizin in Italien vorgebracht werden, wird meist auf die Gefahren der Kommerzialisierung für die betroffenen Paare Bezug genommen. (Cima 2000)
Die PGD spielt in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie in den laizistischen Kreisen der gesellschaftlichen Linken überwiegend befürwortet werden würde. Der Gesetzentwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz in der vorliegenden Form wird von den Laizisten abgelehnt.
4.3. Die Positionen gesellschaftlicher Gruppen
4.3.1. Katholische Kirche
Die Positionen, die von »katholischer Seite« vorgebracht werden, beziehen sich in erster Linie darauf, dass der Embryo von der Konzeption an geschützt werden solle sowie auf die Sicherstellung des Wohlergehens des Kindes und den Schutz der natürlichen Einheit der Familie.
Für die Begründung des moralischen Status des Embryos wird auf die Kontinuität der biologischen Entwicklung Bezug genommen:
»Die (biologischen) Eigenschaften zeigen deutlich die Individualität, Identität und Einzigartigkeit des Embryos, der während seines gesamten, im Moment der Verschmelzung der Keimzellen beginnenden Entwicklungsprozesses, das selbe Individuum bleibt.« (Magistero ai catechisti 2000)
Nach den Vorstellungen der katholischen Kirche sei außerdem Sexualität und Fortpflanzung bei nicht verheirateten Paaren als moralisch illegitim anzusehen, wobei Kinder ein Recht auf ein »natürliches« Eltern-Kind-Verhältnis hätten. Kirchenvertreter lehnen folglich die Zeugung überzähliger Embryonen, die Kryokonservierung von Embryonen, Keimzellspenden und den Zugang nicht verheirateter Paare zur medizinisch unterstützten Befruchtung ab. (Foggioni*)
Die Meinung, dass die Elternschaft mit Hilfe der Keimzellspende dem psychischen und sozialen Wohlergehen, des auf diese Weise gezeugten Kindes schadet, wird aber auch vom Präsidenten des Nationalen Ethikkomitees vertreten:
»Im Fall der heterologen Befruchtung hingegen tritt das wegen seiner paradoxen und verwirrenden Folgen mittlerweile häufig hervorgehobene Phänomen der Vervielfältigung, und daran gekoppelt einer Verflüchtigung von Elternschaft auf. An dieser Stelle können die schwerwiegenden psychologischen und soziologischen Folgen einer solchen Situation nicht weiter untersucht werden (Folgen, welche jedoch diejenigen vergeblich bei Seite zu schieben versuchen, welche um jeden Preis die heterologe künstliche Befruchtung legitimieren wollen); hier soll jedoch angemerkt werden, dass nicht als ethisch erscheinen kann, wenn die Erfüllung des Wunschs eines Paares nach Elternschaft nur mittels einer Praxis gelingt, die objektiv die personale Identität des kommenden Kindes schwächt, indem sie es einer Situation multipler, und möglicherweise widerstreitender primärer Bezugspersonen aussetzt.« (D′Aggostino 1996)
In Bezug auf die Pränatal- und die Präimplantationsdiagnostik gehen die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche (Enzyklika Evangelium des Lebens, 1995; Erklärung Donum Vitae der [katholischen] Glaubenskongregation, 1987) [ 51 ] in erster Linie vom Lebensschutz aus:
»Das Prinzip, auf das sich diese Dokumente beziehen, ist das des absoluten Schutzes des ungeborenen Lebens ab dem Zeitpunkt der Befruchtung.«
Der Lehrmeinung nach sei die pränatale Diagnostik nur dann moralisch zu akzeptieren, wenn der Embryo oder der Fötus dabei nicht geschädigt würde und wenn eine therapeutische Zielsetzung vorläge. Die PGD wird von den offiziellen Dokumenten der katholischen Kirche zwar nicht behandelt, da sie aber mit der Selektion und Zerstörung von Embryonen einhergehe, sei sie klar abzulehnen:
»Dies ist Eugenik und ist damit in klarem Widerspruch zum Prinzip des Schutzes jeglichen menschlichen Lebens.« (Gloser 1999)
Die aus der kirchlichen Lehrmeinung abgeleitete Position zur PGD hält diese nur dann für legitim, wenn sie dem Wohlergehen des Embryos diene:
»Die klinische und experimentelle Forschung an jedem einzelnen Embryo ist nur unter der Bedingung erlaubt, dass ausschließlich therapeutische und diagnostische Zwecke damit verbunden sind, die auf den Schutz, die Gesundheit und die Entwicklung des Embryos zielen.«
Diese etwas eigentümliche Position findet sich in den Stellungnahmen des Nationalen Ethikkomitees und im aktuell zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf wieder.
4.3.2. Fortpflanzungsmedizin
Von fortpflanzungsmedizinischer Seite wird unter anderem dieser Regelung im Gesetzentwurf Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Es sei vollkommen abwegig, die PGD über verschiedene Regelungen indirekt zu verbieten, dann aber explizit mit therapeutischem Ziel zuzulassen, zumal dies medizinisch vollkommen abwegig sei. Ebenso abwegig sei das Verbot in dem Gesetzentwurf, Gameten ins Ausland auszuführen. Daraus würde genau genommen ein Ausreiseverbot für alle Italiener folgen. (Flamigni*)
Aber auch über den Vorwurf, zu unwissenschaftlichen Formulierungen beigetragen zu haben, hinaus, wird der Einfluss der Kirche auf die Gesetzgebung kritisiert:
»Wir sind unzufrieden mit dem im Parlament zur Diskussion stehenden Gesetz. Wir schätzen es als ein Strafgesetz für diejenigen ein, die in diesem Sektor arbeiten, und als ein restriktives für die Bürger. Es ist ein Gesetz mit den Merkmalen einer konfessionsgebundenen Ethik.« (Chamayou*)
Der vorliegende Gesetzentwurf wird vor allem aus den folgenden beiden Gründen abgelehnt:
- Die Beschränkung der Zahl der Eizellen, die pro Zyklus befruchtet werden dürfen, werde die Erfolgsraten der In-Vitro-Fertilisation stark senken. Zu leiden hätten darunter die Kinderwunsch-Patienten.
- Die Kryokonservierung von Embryonen solle nicht verboten werden. Es solle zumindest möglich gemacht werden, Pronuclei zu kryokonservieren, was diskutiert wird, jedoch bislang ungeklärt ist. Ansonsten würde dies zu Lasten der Kinderwunsch-Patientinnen gehen, weil häufiger hormonell stimuliert werden müsse.
- Der Zugang zur fortpflanzungsmedizinischen Praxis solle nicht aus ideologischen Gründen willkürlich beschränkt werden. (Flamigni*)
4.3.3. Frauenorganisationen
Wie in anderen Ländern gibt es auch in der italienischen feministischen Diskussion eine Tradition der Kritik der Medikalisierung von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt. (Balistreri*, Gambino*, Mori1995: 35 ff) In Bezug auf das geplante Fortpflanzungsmedizingesetz ist davon allerdings von Seiten der Frauenbewegung nur wenig zu hören. Deutlicher noch als andere gesellschaftliche Gruppen, scheint von feministischer Seite im Verbot von Keimzellspenden und der Beschränkung des Zugangs zur medizinisch unterstützten Befruchtung auf verheiratete und in einer stabilen, heterosexuellen Partnerschaft lebenden Paare, ein gesellschaftspolitischer Stellvertreterkonflikt mit der katholischen Kirche und dem durch diese beeinflussten Gesetzgeber gesehen zu werden:
»Wenn man die bedeutenden Veränderungen in der Gesellschaft ignoriert, die sich in den Beziehungen von Paaren vollzogen haben, den Formen des Zusammenlebens der Menschen, etabliert man in autoritärer Weise den Primat eines bestimmten Familien-Modells und einer bestimmten sexuellen Orientierung.« (Asc. donne del Prc. di Roma et. al. 2000)
Die Erklärung des Embryos zu einem Rechtssubjekt (»l′attribuzione di soggettività giuridica al ›concepito‹«) wird unter Verweis auf die Diskussionen um die Reform des Abtreibungsrechtes der 80er-Jahre als frauenfeindlich kritisiert:
»Der Artikel 1 des Gesetzes zielt darauf ab, den Primat der Frauen über Zeugung und Schwangerschaft, ihre reproduktive Selbstbestimmung und ihre Verantwortung für die Wahlfreiheit der Schwangerschaft abzuschaffen, und den Körper der Frauen erneut als passiven Behälter für männliche Nachkommenschaft vorzuschlagen.« (Asc. donne del Prc. di Roma et. al. 2000)
Die Abgeordneten wurden aufgefordert, gegen den Gesetzentwurf zu stimmen oder zumindest eine radikale Reform herbeizuführen.
4.3.4. Organisationen der Behindertenhilfe und Selbstbestimmt-Leben-Bewegung behinderter Menschen
Die Kritik der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung an der medizinisch unterstützten Befruchtung bewegt sich - ähnlich wie an der Biomedizin allgemein - eher auf der symbolischen Ebene. Inhaltlich bezieht sich die Kritik auf den Einfluss der Biomedizin auf die Veränderung gesellschaftlicher Werte, die sich nicht an der Qualität des Lebens von Menschen ausrichte, sondern Vorurteile und negative Stereotypen über Menschen mit Behinderung befördere.
»Die tiefe Besorgnis entsteht aus der konkreten Gefahr (und aus einer weit verbreiteten Praxis), dass Biomedizin und die neue Genetik sich das ›medizinische Modell‹ als grundlegendes Modell zum Verständnis von Behinderung zu eigen machen.« (Griffo 2002)
Im Kontext einer genetischen Forschung, die sich an der Idee der Perfektion orientiert, und im Kontext der medizinisch unterstützten Befruchtung, die »perfekte Kinder« in Aussicht stellt, verändert sich die Erwartungshaltung der Eltern an die Medizin sowie der Gesellschaft an die Eltern. Die abnehmende Akzeptanz behinderter Kinder könnte die Folge sein. Dies betrifft insbesondere auch die Pränataldiagnostik, wobei allerdings explizit das Recht auf Selbstbestimmung des Paares betont wird.
»Wir stellen keineswegs die Legitimität von Abtreibungen und die Macht der Paare, selbst zu entscheiden, in Frage.« (Griffo 2002)
Die Paare sollten sich freiwillig für das behinderte Kind entscheiden können. Dem stünde aber die Vermittlung von Wissen in Bezug auf das Leben mit dem zukünftigen Kind durch ärztliche Berater entgegen, welche auf der Grundlage des medizinischen Modells von Behinderung ein abschreckend negatives Bild zeichnen. Daher solle in der Phase der Informationsvermittlung den Paaren das Angebot gemacht werden, sich bei Organisationen von Menschen mit der betreffenden Behinderung oder Krankheit beraten zu lassen. (Griffo 2002)
Konkret zur PGD haben sich Behindertenorganisationen in Italien bislang nicht geäußert. Auf Nachfrage wurde die PGD allerdings wie die Pränataldiagnostik beurteilt. Aus der Perspektive eines politischen Engagements, das die symbolische Ebene einbezieht, wird ihr ein diskriminierender Charakter zugeschrieben (Griffo*), aus der Perspektive der Gleichstellungspolitik eher nicht. (Tescaru*)
Unabhängig davon fordern beide Seiten die politische Partizipation von Menschen mit Behinderung in Bezug auf forschungspolitische Entscheidungen. Beide halten an dem Primat der Wahlfreiheit der Paare und insbesondere der Frauen in Bezug auf die Angebote der Medizin fest. Das geplante Fortpflanzungsmedizingesetz wird deshalb abgelehnt. (Griffo*, Tescaru*)
4.4. Einschätzung der ethischen Diskussion
Die ethische Diskussion der Fortpflanzungsmedizin ist ganz offensichtlich von einer extremen Polarisierung gekennzeichnet. Die Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Dabei geht es nicht zuletzt um einen Stellvertreterkonflikt hinsichtlich des Einflusses der katholischen Kirche einerseits auf das Privatleben der italienischen Bürger und andererseits auf den Gesetzgeber. In dieser Auseinandersetzung spielt die Präimplantationsdiagnostik so gut wie keine Rolle. Es kam weder zu einer Kritik der bisherigen Praxis noch hat die Aussicht, dass die PGD zukünftig in Italien wohl nicht mehr angeboten werden kann, zu Protesten geführt.