zum Seiteninhalt springen

Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen: Verbandsrechte in Gerichts- und Beschwerdeverfahren

IMEW konkret Nr. 13, Oktober 2009

Online Version ISSN 1612-9997 © Copyright: IMEW

Diskriminierungen sind in Deutschland nicht nur Randerscheinung, sondern zählen zur Alltagserfahrung – auch von Menschen mit Behinderungen. Diskriminierende Strukturen, Bestimmungen und Handlungen erstrecken sich dabei auf alle Lebensbereiche. (aufschlussreich hierzu: Antidiskriminierungsbüro Köln 2009, S. 8ff.; Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2008, S. 142ff.; Eurobarometer 2008; Evers-Meyer 2008, S. 2; Bundestagsdrucksache 16/12779, S. 2; BMAS 2009)

Durchsetzung von Diskriminierungsverboten

Bei der Durchsetzung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Diskriminierungen können Verbände eine große Rolle spielen. Der Gesetzgeber hat im letzten Jahrzehnt verschiedene Befugnisse für Verbände in gerichtlichen Verfahren zum Diskriminierungsschutz gesetzlich verankert, wie zuletzt im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder etwa im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Auch auf internationaler Ebene wurden entsprechende Möglichkeiten geschaffen. Allerdings sind diese Rechte kaum bekannt, weshalb im Folgenden die verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten insbesondere von Behindertenverbänden erläutert werden.

Verfahren nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das AGG, das zur Umsetzung von EU-Gleichbehandlungsrichtlinien (Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG) geschaffen wurde, verbietet Diskriminierungen u. a. wegen einer Behinderung v. a. im Zivil- und Arbeitsrecht.

Rechtsberatung und Beistandschaft

Verbände können betroffene Personen in Verfahren nach dem AGG als Antidiskriminierungsverband durch Rechtsberatung sowie in der Funktion eines Beistands unterstützen (§ 23 AGG). Zu der möglichen Rechtsberatung zählt auch die Besorgung von Rechtsangelegenheiten, wie die Formulierung von Beschwerdebriefen an diskriminierende Stellen oder zuständige Behörden.
Als Beistand können Verbände in mündlichen Gerichtsverhandlungen durch die Vornahme von Prozesshandlungen, wie Sachverhaltsschilderung oder Antragsstellung, unterstützen. Beistände werden dabei anders als Prozessbevollmächtigte nicht an Stelle der klagenden Partei, sondern neben ihr tätig.

Verbraucherschutzklage in Verbindung mit dem AGG

Verbände, zu deren satzungsmäßigen Aufgaben auch die Aufklärung und Beratung der von ihnen vertretenen Personen im Hinblick auf verbraucherschutzrechtliche Fragen gehört und die entsprechend beim Bundesamt für Justiz eingetragen sind (§ 4 UklaG), haben die Möglichkeit einer Verbraucherschutzklage gemäß UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) und UKlaG (Unterlassungsklagengesetz). So kann ein Verband bei Verstoß von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Geschäftspraktiken gegen das Diskriminierungsverbot des AGG Klage erheben. (Bundestagsdrucksache 16/1780)

Vorlageverfahren zum EuGH

Schließlich können Verbände versuchen auf ein Vorlageverfahren zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hinzuwirken. Im Rahmen eines nationalen Verfahrens kann das zuständige Gericht dem EuGH eine Frage zur Klärung der Rechtslage vorlegen, wenn die Frage die Umsetzung oder Auslegung einer EU-Richtlinie betrifft und für die Entscheidung relevant ist. Solche EuGH-Entscheidung sind vor dem Hintergrund, dass das AGG im Sinne der zu Grunde liegenden Richtlinien und der EuGH-Rechtsprechung auszulegen ist, über den Einzelfall hinaus relevant. So hat der EuGH in seinem Urteil Coleman (vom 17.7.2008, Rs. C-303/06) beispielsweise entschieden, dass das Diskriminierungsverbot nicht nur gegenüber Personen gilt, die selbst behindert sind, sondern auch den Fall erfasst, dass eine Arbeitnehmerin wegen der Behinderung ihres Kindes benachteiligt wird.

Verfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)

Weitere Instrumente für Verbände existieren im BGG sowie im SGB IX.
Das BGG dient v. a. der Umsetzung von Barrierefreiheit im Verhältnis zu Trägern öffentlicher Gewalt. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) anerkannte Verbände können nach dem BGG eine Verbandsklage (§ 13 BGG) oder eine Klage in Prozessstandschaft (§ 12 BGG) erheben, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. Ähnliche Möglichkeiten bestehen nach den entsprechenden Landesgesetzen.

Verbandsklage

Eine Verbandsklage kann auf Feststellung eines Verstoßes gegen bestimmte Schutzvorschriften zur Durchsetzung von Barrierefreiheit gegenüber öffentlichen Stellen erhoben werden, wenn keine konkrete Person betroffen ist oder ein Fall von allgemeiner Bedeutung vorliegt.

Prozessstandschaft

Prozessstandschaft ist demgegenüber die Befugnis, bei Ermächtigung durch eine betroffene Person, an ihrer Stelle gegen die Rechtsverletzung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren vorzugehen.
Die Möglichkeit der Prozessstandschaft besteht auch nach dem SGB IX, § 63 SGB IX. Ziel des SGB IX ist die Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. So kann der Anspruch schwer behinderter Personen auf einen barrierefreien Arbeitsplatz gemäß SGB IX durch einen Verband geltend gemacht werden. Voraussetzung ist, dass der Verband die Interessen von Menschen mit Behinderung auf Bundes- oder Landesebene vertritt. Eine Registrierungspflicht besteht nicht.

Einzelfallbeschwerden bei Internationalen Verfahren

Beteiligungsmöglichkeiten zum Diskriminierungsschutz bestehen für Verbände auch auf internationaler Ebene.
So können Verbände Beschwerdeverfahren zu UN-Fachausschüssen durch Beratung und Vertretung unterstützen. UN-Fachausschüsse sind die zu den zentralen Menschenrechtsabkommen eingerichteten Überwachungsorgane. Maßstab für die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird in Zukunft auf internationaler, europäischer sowie nationaler Ebene v. a. die neue UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) sein (Gesetz zur BRK und dem Fakultativprotokoll vom Dez. 2009; Netzwerk Artikel 3, Schattenübersetzung 2008; weiterführend zur BRK: Bielefeldt 2009; Aichele 2008; Graumann 2008). Das Fakultativprotokoll zur BRK sieht ein Einzelfallbeschwerdeverfahren vor, das Personen nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs ermöglicht, Beschwerde beim UN-Fachausschuss zur BRK (UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen) einzureichen. Die UN-Fachausschüsse sprechen zwar keine vollstreckbaren Urteile aus, die politische Wirkkraft ihrer Empfehlungen und Rügen an den jeweiligen Staat sind aber nicht zu unterschätzen.
Die Möglichkeit zur Unterstützung von Einzelfallbeschwerden besteht auch im Rahmen der Verfahren zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Urteile im Gegensatz zu den UN-Fachausschüssen rechtlich verbindlich und vollstreckbar sind.

Herausforderungen

Die Möglichkeiten von Verbänden, sich in Gerichts- und Beschwerdeverfahren gezielt für Diskriminierungsschutz einzusetzen, werden bislang kaum genutzt (Welti 2008, S. 66; Andrades 2008, S. 30; Bundestagsdrucksache 16/9283, S. 19f.). Hierfür mag es verschiedene Gründe geben. Nicht zuletzt liegt dies sicherlich auch an strukturellen Barrieren, wie mangelnde Ressourcen der Verbände oder fehlende Beratungsstrukturen zum Diskriminierungsschutz. Aber auch die unzureichende Bekanntheit der Verbandsrechte, ihre mangelnde Wahrnehmung als effektive Instrumente, der Informationsbedarf hierzu sowie das noch wenig ausgeprägte Selbstverständnis vieler Verbände als Akteure zum Diskriminierungsschutz spielen hier eine Rolle.
Dabei bieten die Verbandsrechte die Möglichkeit im Sinne einer strategischen Prozessführung eine Signalwirkung herzustellen und tatsächliche und strukturelle Veränderungen über den Einzelfall hinaus zu bewirken. Die Verfahren dienen so auch der Aufklärung und Sensibilisierung von Gerichten, Behörden sowie der Gesellschaft im Ganzen.
Als Unterstützung im konkreten Einzelfall tragen die Verbandsrechte zur Inanspruchnahme von Rechten bei. Verbände haben eher als Einzelpersonen Kenntnis über rechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten und können sie so durch Aufklärung und Rechtsberatung unterstützen. Ein wichtiger Hinderungsgrund für die Inanspruchnahme von Rechten ist aber vor allem die psychische Belastung für Einzelpersonen durch solche Verfahren (Andrades 2008, S. 30; Kobes 2008, S. 5). Diese Belastung, die befürchteten Prozesskosten, die Verfahrensdauer und das oftmals ungleiche Macht- und Kompetenzverhältnis der Parteien können von Diskriminierung betroffene Personen von der Durchführung gerichtlicher Verfahren abschrecken. In all diesen Punkten stellen die Verbandsrechte eine wichtige Unterstützung dar.
Die rechtliche Durchsetzung von Diskriminierungsverboten unter Beteiligung der Verbände ist daher wesentlicher Bestandteil einer effektiven Nichtdiskriminierungspolitik.

Nina Althoff

Literatur

Seitenanfang


© 2008 | IMEW - Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft
www.imew.de