Blicke auf Menschen mit Demenz und Forschungsfragen
Dr. Katrin Grüber, Leiterin des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft
Zusammenfassung des Vortrags
Deutschland hat im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz bei der medizinischen Grundlagenforschung. Allerdings, so wird immer wieder festgestellt, gibt es in der patienten- und versorgungsorientierten Forschung. einen großen Nachholbedarf. Die These des Vortrages ist, dass dies auch für die medizinischen Ansätze der Demenzforschung zutrifft.
Wahrscheinlich ändert daran auch das neu gegründete Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) nichts, das finanziell wesentlich besser ausgestattet ist als beispielsweise das Kompetenznetz Demenz oder das Leuchtturmprojekt Demenz. Die bisher vorliegenden Veröffentlichungen zeigen, dass der Schwerpunkt des Kernzentrums in Bonn und fünf der sieben Partnerinstitute auf der biomedizinischen Grundlagenforschung liegt. Mit Hilfe der translationalen Forschung sollen „Erkenntnisse aus der biomedizinischen Grundlagenforschung unmittelbar für die Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von Nervenkrankheiten“ angewendet werden.
Hinter diesem klar formulierten Ziel steckt eine Annahme, die hinterfragt werden sollte: Inwieweit ist es tatsächlich möglich, Ergebnisse der Grundlagenforschung, bei der von der Definition her „Forschungsarbeiten ohne direkten Bezug zu einer bestimmten Anwendung, die vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich mit dem Ziel der Wissensvermehrung durchgeführt werden“ (Kommission), direkt in die medizinische Praxis zu übertragen?
Nur zwei der sieben Partnerinstitute des DZNE arbeiten nicht mit biomedizinischen Methoden. Sie entwickeln die Fragestellungen für solche Forschungsansätze nicht im Labor, sondern in der Praxis. Sie sind in der der Pflegewissenschaft, der Versorgungsforschung und der Gerontologie tätig. Da nach Ansicht der Mitglieder der Auswahlkommission diese Bereiche, die nicht zur Grundlagenforschung und nicht zur biomedizinisch ausgerichteten Gesundheitsforschung gehören, in der vorgesehenen Struktur des DZNE zu kurz kommen, haben sie eine Verstärkung dieser Bereiche empfohlen.
Es wäre darüber hinaus wichtig, unabhängig von der Struktur des DZNE die Forschungsansätze zu stärken, in deren Fokus die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, ihren Angehörigen oder auch den Pflegenden stehen und dabei insbesondere partizipative Ansätze zu fördern. Bei partizipativen Forschungsprozessen sind Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen und beispielsweise Pflegende jeweils nach ihrem persönlichen Wollen und Vermögen beteiligt (vgl. Leidinger). Dies geht von der Entwicklung der Fragestellung über die Beteiligung an der Forschung selbst bis zur Verbreitung der Ergebnisse. Die beschriebenen Forschungsansätze könnten unter einer Überschrift gebündelt werden, um ihre Sichtbarkeit durch ein „Markenzeichen“ zu erhöhen.
Literatur
Leidinger, Friedrich, „Müssen Demenzkranke ein ‚Sonderopfer’ für die Forschung bringen – Für eine neue Wissenschaft von der Demenz“, in: Wunder, Michael / Neuer-Miebach, Therese (Hg.): Bio-Ethik und die Zukunft der Medizin, Bonn 1998, S. 106 – 120.