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Jahresbericht 2002

Vorwort

Am 1. Oktober 2001 wurde das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft gegründet. Das erste Jahr liegt hinter uns. Ein Jahr, in dem nach jahrelangen konzeptionellen und organisatorischen Vorbereitungen in kürzester Zeit aus der Idee Wirklichkeit wurde: ein Institut, das die Auswirkungen der modernen Biomedizin auf behinderte und chronisch kranke Menschen sowie insgesamt auf die Gesellschaft untersucht und dabei insbesondere die Perspektive der Betroffenen berücksichtigt. In den zurückliegenden 16 Monaten hat das IMEW nicht nur seinen Platz in Berlin gefunden, nicht nur sein Team aufgebaut, nicht nur seine Arbeitsbereiche strukturiert, sondern ist auch von Anfang an durch kontinuierliche Aktivitäten nach außen präsent gewesen.

Die wissenschaftliche Arbeit hat mit einer Vielzahl an Forschungsarbeiten, Publikationen der Mitarbeiterinnen und wissenschaftlichen Veranstaltungen begonnen. Ebenso wurde die beratende Tätigkeit gegenüber den Verbänden und der Politik aufgenommen. Entsprechende Kontakte wurden geknüpft und Kooperationen hergestellt. Auch die öffentlichkeitsorientierte Arbeit hat in Form mehrerer Veranstaltungen, Kooperationsveranstaltungen sowie dem Internet-Auftritt begonnen. Die Konzeption für die Dokumentation wurde erarbeitet und wird weiter konkretisiert, die Bibliothek ist im Aufbau.

Die durchwegs positiven Reaktionen und das intensive Interesse von Seiten der Mitgliedsverbände, von verschiedenen Initiativen, aus der Öffentlichkeit und aus der Wissenschaft zeigen, dass das Institut eine wichtige Lücke schließt.

Sie sind herzlich eingeladen, mit dem folgenden Bericht einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten des IMEW seit seiner Gründung zu gewinnen und in Zukunft an seiner Arbeit teilzuhaben.

Last but not least sei der Aktion Mensch für die großzügige Unterstützung gedankt, ohne die die Errichtung des Institutes nicht möglich gewesen wäre.

Katrin Grüber

im Januar 2002

1. Zeit des Aufbaus

In der ersten Phase der Institutstätigkeit wurden die Voraussetzungen für die eigentlichen Aufgaben des Institutes geschaffen: Raumsuche, technische Infrastruktur, Personal.

Das IMEW hat seinen Platz im Berliner Stadtteil Friedrichshain gefunden. Der im ehemaligen Ostteil der Stadt gelegene Arbeiterbezirk zeichnet sich durch einen eher herben Charme aus. Hier "wohnt" das Institut in einem frisch renovierten ehemaligen Fabrikgebäude.

Dr. Katrin Grüber nahm am 1.10.01 ihre Tätigkeit als Leiterin des Institutes auf. Die Biologin war von 1990 bis 2000 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, davon fünf Jahre Vizepräsidentin. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind: Politikwissenschaft, Wissenschaftskritik, Technikfolgenabschätzung, Forschungspolitik auf nationaler und europäischer Ebene. Sie hat dazu verschiedene Artikel veröffentlicht.

Nach der Berufung von Katrin Grüber als Leiterin des Institutes wuchs das Team innerhalb kurzer Zeit auf vier Mitarbeiterinnen:

Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin konnte Dr. Sigrid Graumann gewonnen werden. Die Biologin und Philosophin arbeitete zuvor am Interdisziplinären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften in Tübingen und war Sachverständige in der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages. Sie hat eine Vielzahl von Artikeln und Büchern zur modernen Biomedizin veröffentlicht.

Seit dem Februar 2002 baut Barbara Schmelz den Bereich der Dokumentation auf. Die Wissenschaftliche Dokumentarin kann auf langjährige Erfahrung in Dokumentationsstellen und Spezialbibliotheken sowohl im universitären als auch im außeruniversitären Bereich zurückgreifen.

Astrid Entezami führt das Sekretariat.

Die Arbeit des Institutes wurde im Jahr 2002 mehrfach von Praktikanten und Praktikantinnen unterstützt, die zum Teil durch das Projekt EQUIP vermittelt wurden.

Als GmbH wird das IMEW von seinen Gesellschaftern getragen. Die Gesellschafter des Instituts sind die neun Behindertenverbände, Einrichtungsverbände und Sozialverbände. In die Gesellschafterversammlung haben die Gesellschafter jeweils einen Vertreter oder eine Vertreterin entsandt:

  • Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V.: Klaus Seidenstücker
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V.: Christoph Nachtigäller
  • Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe e.V.: Rolf Drescher
  • Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V.: Norbert Müller-Fehling
  • Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.: Dr. Bernhard Conrads
  • Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V.: Dr. Franz Fink
  • Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben" Deutschland e.V.: Martina Puschke (stellvertretende Vorsitzende)
  • Sozialverband VdK Deutschland e.V.: Ulrich Laschet (Vorsitzender)
  • Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V.: Ina Krause-Trapp

Die Gesellschafterversammlung wählt das Kuratorium. Es hat die Aufgabe, die wesentlichen Handlungsfelder und Tätigkeiten des Instituts in einem Rahmenplan festzulegen, die Verwendung der Haushaltsmittel zu kontrollieren, die Geschäftsführung zu überwachen und in Abstimmung mit der Geschäftsführung zur Repräsentanz des Instituts gegenüber der Öffentlichkeit beizutragen, insbesondere durch Kontakte zu Vertretern aus den Bereichen Wirtschaft, Banken, Verbänden, Verwaltungen und Politik.

Am 7. Februar 2002 hat die Gesellschafterversammlung die zehn Mitglieder des Kuratoriums gewählt.

  • Robert Antretter (Vorsitzender der Bundesvereinigung Lebenshilfe)
  • Prof. Dr. Dr. Ernst Wolfgang Böckenförde (ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht)
  • Andrea Fischer (Bundesministerin a.D.)
  • Dr. Rüdiger Grimm (Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie)
  • Ingrid Körner (Vorstand der Bundesvereinigung Lebenshilfe)
  • Dr. Ute Lindauer (Präsidiumsmitglied des Sozialverbands VdK, Vorstandsvorsitze des Landesverbandes Berlin-Brandenburg)
  • Friedel Rinn (Vorstandsvorsitzender der BAGH)
  • Josef Ströbl (people first, Pressesprecher des Projektes "Wir vertreten uns selbst")
  • Dr. Alexander Vater (Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Bundesverbandes Evangelische Behindertenhilfe)
  • Dr. Michael Wunder (Evangelische Stiftung Alsterdorf, Hamburg, Mitglied der ehemaligen Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin).

Auf seiner konstituierenden Sitzung am 29. Mai 2002 hat das Kuratorium aus seiner Mitte Robert Antretter zum Vorsitzenden und Andrea Fischer zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Ebenso hat das Kuratorium im Jahr 2002 den Wissenschaftlichen Beirat berufen. Der Wissenschaftliche Beirat hat die Aufgabe, die wissenschaftliche und beratende Tätigkeit des Instituts und der Projektbearbeiter zu begleiten und zu fördern. Darüber hinaus repräsentiert der Beirat die Wissenschaftlichkeit des Instituts gegenüber wissenschaftlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie der öffentlichen und privaten Wissenschaftsförderung.

Als Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates wurden berufen:

  • Prof. Dr. Dr. Dr. hc. Günter Altner (em. Prof. für Evangelische Theologie/Sozialethik, Heidelberg)
  • Dott. Paolo Bavastro (Leitender Arzt der Filderklinik, Stuttgart)
  • Christel Bienstein (Dipl.-Päd., Leiterin des Institutes Pflegewissenschaft der Universität Witten-Herdecke)
  • Prof. Dr. Markus Dederich (Prof. für Theorie der Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung, Universität Dortmund)
  • Prof. Dr. Theresia Degener (Prof. für Heilpädagogik, Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum)
  • Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner (em. Prof. für Psychiatrie, Hamburg)
  • Prof. Dr. Wolfram Höfling (Prof. für Staats-, Verwaltungs- und Finanzrecht, Universität Köln)
  • Swantje Köbsell (Pädagogin, Bremen)
  • Prof. Dr. Regine Kollek (Prof. für Technologiefolgenabschätzung in der Medizin an der Uni Hamburg, Universität Hamburg; stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Ethikrates)
  • Prof. Dr. Elisabeth List (apl. Prof. für Philosophie, Universität Graz)
  • Prof. Dr. Dietmar Mieth (Prof. für Theologische Ethik, Universität Tübingen)
  • Dr. Christian Mürner (freier Publizist und Behindertenpädagoge, Hamburg)
  • PD Dr. Josef Priller (Privatdozent an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Charité Berlin)
  • Prof. Dr. Ute Sacksofsky (Prof. für Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung, Universität Frankfurt am Main)
  • PD Dr. Hans-Walter Schmuhl (freiberuflicher Historiker, Bielefeld)
  • Prof. Dr. Sabine Stengel-Rutkowski (Prof. für Medizinische Genetik, Ludwig-Maximilians-Universität München)
  • Prof. Dr. Anne Waldschmidt (Prof. für Soziologie in der Heilpädagogik, Universität Köln)
  • PD Dr. Andreas Zieger (Leitender Oberarzt in der Abteilung für Frührehabilitation, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg).

Vorsitzender des Beirates ist Dietmar Mieth.

2. Wissenschaftliche Arbeit

Konzeption

Im Laufe des ersten Jahres hat das IMEW eine Konzeption für die wissenschaftliche Arbeit erstellt, die gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat weiter konkretisiert wird. Die Themen der wissenschaftlichen Arbeit des Institutes sind ethische Fragen des wissenschaftlich-medizinischen Fortschritts, einschließlich seiner gesellschaftlichen Folgen und rechtlichen Regulierung. Dabei soll die Perspektive von Menschen mit Behinderung und chronisch kranken Menschen stets eine zentrale Rolle spielen. Ermöglicht wird dies, indem einerseits Betroffene selbst zu Wort kommen und andererseits ihre Perspektive über Erkenntnisse aus den Sozial- und Kulturwissenschaften vermittelt wird (z.B. zum Verständnis von und Umgang mit Leben und Tod, Krankheit, Gesundheit und Behinderung). Auf diese Weise gelangt das Institut zur methodischen Konzeption einer perspektivischen, erweitert-interdisziplinären und anwendungsorientierten Ethik.

Eigene Forschungsarbeiten

Seit Oktober 2002 arbeiten Katrin Grüber und Sigrid Graumann zusammen an einem Gutachten zu den Praxiserfahrungen und der rechtlichen Regulierung der Präimplantationsdiagnostik in Italien und in Belgien für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag.

Sigrid Graumann hat sich im Jahr 2002 vorrangig mit ethischen Fragen der Humangenetik und der Reproduktionsmedizin beschäftigt. Sie hat zur wissenschaftlichen und ethischen Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik gearbeitet, den so genannten Wertungswiderspruch zwischen der Schutzwürdigkeit des Embryos und dem Schwangerschaftsabbruch untersucht sowie sich mit Fragen der Fortpflanzungsmedizin im Spannungsfeld zwischen weiblicher Selbstbestimmung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen befasst. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der öffentliche Diskurs über den Umgang mit menschlichen Embryonen.

Sigrid Graumann ist Mitglied im Netzwerk des Projekts "Bioethik und Wissenschaftskommunikation" des Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin Berlin (MDC) und hat in diesem Rahmen an mehreren Veranstaltungen aktiv teilgenommen.

Friedrichshainer Kolloquium

Das Friedrichshainer Kolloquium richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und andere Personen, die sich beruflich mit Fragen der gesellschaftlichen Folgen der biomedizinischen Forschung und Praxis beschäftigen. Das Ziel des Kolloquiums ist, eine offene, interdisziplinäre Diskussion zu schaffen. Jeweils zwei Referentinnen oder Referenten tragen aus unterschiedlichen Disziplinen zu einem Thema vor. Beide Vorträge werden anschließend gemeinsam ausführlich diskutiert. Dabei ist insbesondere die Einbeziehung der Sozial- und Kulturwissenschaften für Fragestellungen im Zusammenhang mit der Biomedizin bisher nicht selbstverständlich.

1. Friedrichshainer Kolloquium "Gesundheit, Krankheit und Behinderung", 2. Juli 2002
Martina Puschke vom Weibernetz e.V., Kassel, arbeitete in ihrem Vortrag mit dem Titel "Der biomedizinische Blick auf Behinderung" die diskriminierenden Tendenzen des biomedizinischen Krankheitsbegriffs heraus. Dr. Monika Bobbert, Medizinethikerin am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Heidelberg, plädierte mit ihrem Beitrag "Die Bedeutung des Krankheitsbegriffs für die Formulierung von Rechten auf medizinische Versorgung" für einen normativen Krankheitsbegriff.

2. Friedrichshainer Kolloquium "die so genannte 'Kind-als-Schaden'-Rechtsprechung", 22. Oktober 2002
Das 2. Friedrichshainer Kolloquium widmete sich der Problematik der so genannten "Kind-als-Schaden"-Rechtsprechung im deutsch-französischen Vergleich. Ins Licht der Öffentlichkeit getreten ist dieses Thema durch spektakuläre Gerichtsentscheidung in beiden Ländern. Dr. Clemens Pornschlegel, Professor für deutsche Literatur- und Kulturgeschichte an der Université de Franche-Comté in Besançon, schilderte den französischen Fall "Perruche". Ulrike Riedel, Rechtsanwältin aus Berlin und Staatssekretärin a. D., stellte die Rechtsprechung in Deutschland dar. Anschließend wurde diese Rechtsprechung unter Berücksichtigung der Situation der betroffenen Familien, der juristischen Problematik und ihrer gesellschaftlichen Folgen diskutiert.

3. Friedrichshainer Kolloquium "Eugenik", 3. Dezember 2002
Thema des 3. Kolloquiums war die neue und alte "Eugenik". Dr. Thomas Lemke vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt legte in seinem Vortrag dar, was unter neuer Eugenik mit Michel Foucault verstanden werden kann. PD Dr. Walter Schmuhl, freiberuflicher Historiker aus Bielefeld sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates, beschrieb den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext der Rassenhygiene vor und im Nationalsozialismus. In der anschließenden Diskussion stand die Frage im Vordergrund, was "Eugenik"-Argumente in ethischen Diskussionen ausrichten können.

Die Texte der Vorträge der Friedrichshainer Kolloquien werden zusammen mit anderen am Institut gehaltenen Vorträgen demnächst in einem Jahrbuch veröffentlicht.

Vergabe von Gutachten

Das IMEW hat die Rechtsanwältin Ulrike Riedel mit einem juristischen Gutachten zum Thema "Kind-als-Schaden" beauftragt. Die Staatssekretärin a.D. nimmt eine Bewertung des BGH-Urteils zum Fall einer Ärztin vor, die zu Schadensersatz verurteilt wurde, weil sie im Rahmen der Pränataldiagnostik nicht erkannte, dass das Kind behindert sein würde. Das Gutachten soll auch eine Einschätzung einer möglichen direkten oder indirekten Diskriminierung von Menschen mit Behinderung enthalten. Es wird bis Anfang 2003 fertig gestellt und dann im Mabuse-Verlag veröffentlicht.

3. Öffentlichkeitsarbeit

Eine der zentralen Aufgaben des Institutes besteht darin, eine Transferfunktion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit wahrzunehmen. Diese Aufgabe erfüllt das Institut durch seinen Internetauftritt, durch Veranstaltungen und durch Publikationen für die breite Öffentlichkeit.

Eröffnungsveranstaltung

Nachdem das Institut am 1. Oktober 2001 die Arbeit aufgenommen hatte, trat es am 1. März 2002 mit der feierlichen Eröffnungsveranstaltung im Abgeordnetenhaus zu Berlin erstmals an die Öffentlichkeit. Robert Antretter, Vorsitzender der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., skizzierte in seiner Begrüßungsrede die Entstehungsgeschichte des Institutes. Katrin Grüber stellte das Aufgabenspektrum des IMEW dar.

Als Hauptredner konnte Bischof Dr. Franz Kamphaus aus Limburg gewonnen werden. In seiner Rede mit dem Titel "Der Mensch hat nicht Wert, der Mensch hat Würde" machte er deutlich, dass das Leben und die Selbstwahrnehmung behinderter Menschen fundamental davon geprägt werde, wie sie von Ihrer Umwelt wahrgenommen werden und "dass Behinderte der Ernstfall sind, in dem sich die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu bewähren hat."

Prof. Anne Waldschmidt von der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg stellte sich in ihrem Vortrag schließlich der Frage: "Wozu ein weiteres (Ethik )Institut?" Ihre Einschätzung, dass das IMEW eine Lücke in der bisherigen Forschungslandschaft schließe, orientierte sich an den Instituts-konstituierenden Begriffen "Wissenschaft", "Ethik" und "Mensch": nötig sei eine kritische, wert-orientierte und interdisziplinäre Wissenschaft, die einen Beitrag zu einer ganzheitlichen Verantwortungs- und Beziehungsethik leistet. Behinderte Menschen sollten in ihr nicht nur den Forschungsgegenstand bilden, sondern mit ihnen und von ihnen müsse wissenschaftlich gearbeitet werden.

Für das kulturelle Rahmenprogramm sorgte die Theatergruppe Ramba Zamba, die aus Schauspielerinnen und Schauspielern mit geistiger Behinderung besteht. Sie führten Teile des Programms "Orpheus ohne Echo" auf.

Unter den 150 Gästen der Veranstaltung waren zahlreiche Verbandsvertreter und Bundestagsabgeordnete.

Internetauftritt - Konzeption und Umsetzung

Da heutzutage ein wesentlicher Teil der Kommunikation über das Internet läuft, wurde von Anfang an ein Schwerpunkt auf den Aufbau der Website gelegt, die seit April 2002 zugänglich ist. Selbstverständlich erfolgt der Internetauftritt nach den Prinzipien der Aktion Mensch "Einfach für alle". Die Besucherzahlen sind steigend. Von verschiedenen Seiten wird immer wieder die Übersichtlichkeit begrüßt. Besondere Sorgfalt wird auf die Pflege und Aktualisierung der Website gelegt. Seit August ist ein Teil der Texte in englischer Übersetzung eingestellt. Für das Jahr 2003 ist ein Auftritt in leichter Sprache geplant.

Friedrichshainer Gespräche

In diesem Jahr veranstaltete das Institut drei "Friedrichshainer Gespräche". Die Friedrichshainer Gespräche sind Abendveranstaltungen mit geladenen Referenten. Hierzu wird im Unterschied zum Friedrichshainer Kolloquium die breite Öffentlichkeit eingeladen. Diese Veranstaltungen sind in erster Linie für Menschen aus Berlin und Umgebung gedacht. Um sie auch anderen Interessierten zugänglich zu machen, werden die Vorträge in einem Jahrbuch publiziert.

1. Friedrichshainer Gespräch
Dr. Sigrid Graumann: "Bioethik oder Biopolitik? Die öffentliche Debatte über die 'Selektion' und 'Manipulation' menschlichen Lebens", 26. Juni 2002

Neue Entwicklungen in der Biomedizin wie die Präimplantationsdiagnostik, die embryonale Stammzellforschung und das Klonen von Menschen werden seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit ausgesprochen kontrovers diskutiert. Sigrid Graumann zeichnete die Entwicklung dieser Mediendebatte von 1995 bis heute nach, stellte die wichtigsten Akteure vor, legte die zentralen Positionen und Argumentationen dar und arbeitete dabei Ausschließungen und Diskursstrategien heraus. Dabei zeigt sich, dass es in dieser Debatte nicht nur um die genannten konkreten Praxisfelder der Biomedizin geht, sondern auch um kulturelle Fragen, wie den Umgang mit Leben, Behinderung, Gesundheit, Krankheit und Tod.

2. Friedrichshainer Gespräch
Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner: "Chronisch Kranke - von der Medizin vergessen?", 8. Oktober 2002

Immer mehr Menschen, die in Arztpraxen kommen, sind chronisch und nicht akut erkrankt. Bald werden chronisch Kranke die Regel und nicht die Ausnahme sein. Viele Ärztinnen und Ärzte handeln allerdings vor allem nach dem Akutkranken-Schema und nehmen die Ansprüche und Bedürfnisse von Menschen mit chronischen Erkrankungen nur unzureichend wahr.

In seinem Vortrag machte der bekannte Psychiater und Medizinhistoriker Klaus Dörner darauf aufmerksam, dass chronisch Kranke nicht nur in der medizinischen Praxis, sondern auch in der staatlichen Forschungspolitik so gut wie nicht vorkommen. Sie orientiert sich vor allem am Versprechen, Krankheiten zu heilen und hat die Linderung oder eine Unterstützung für die Betroffenen und ihre Angehörigen kaum im Blick.

Dörner, der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des IMEW ist, gab nicht nur eine Zustandsbeschreibung, ergänzt um eine historische Erklärung, sondern stellte sich auch der Frage, wie ein Paradigmenwechsel befördert werden kann: Die Medizin braucht neben der Akut-Kranken-Medizin eine eigene Chronisch-Kranken-Medizin. Der ärztliche Kern der Medizin ist nicht das Modell der Therapie des Akut-Kranken, sondern das biographische Begleiten des chronisch Kranken. Dazu gehört zum Beispiel auch, sich die Zeit für den Patienten zu nehmen, sich seine Lebensgeschichte anzuhören, damit er in diese seine Krankheit integrieren kann. Der Arzt muss der "biographischer Reisebegleiter des Patienten" sein. Die Ethik des Heilens muss ergänzt werden durch eine Ethik des Besserns, des Linderns und der Begleitung.

3. Friedrichshainer Gespräch
Dr. Michael Wunder: "Im Zweifel für das Leben? Zur aktuellen Debatte um Sterbehilfe", 12. November 2002

Nach den Niederlanden hat jetzt Belgien als zweites Land in Europa die aktive Sterbehilfe erlaubt. Was die einen als Sieg des Rechtes auf persönliche Autonomie feiern, bewerten die anderen als schwerwiegende Grenzüberschreitung, die insbesondere das Leben von schwerkranken Patienten bedroht, die sich nicht oder nicht mehr äußern können.

Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin" hat festgestellt, dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen dem überwiegend geäußerten Wunsch von Sterbenden, in gewohnter, häuslicher Umgebung zu sterben, nicht allein gelassen zu werden und nicht unter Schmerzen leiden zu müssen und der Realität. Die Palliativmedizin ist in Deutschland immer noch ein Stiefkind. Die Hospize sind trotz Verbesserungen immer noch chronisch unterfinanziert.

In Deutschland wurden 1998 die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung verabschiedet, in denen Maßnahmen der passiven Sterbehilfe auch auf Nicht-Sterbende, beispielsweise Komapatienten, angewandt werden können.

Michael Wunder, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg, war Sachverständiger in der Enquetekommission und ist Mitglied im Kuratorium des IMEW. Er gab in seinem Vortrag einen Überblick über die rechtliche Situation in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, beleuchtete die Auswirkungen der Grundsätze der Bundesärztekammer und wies darauf hin, welche Wege gegangen werden müssen, um die oben beschriebenen Wünsche zu erfüllen.

Darüber hinaus hat das IMEW drei öffentliche Kooperations-Veranstaltungen mit anderen Einrichtungen durchgeführt:

  • 13.9.02 gemeinsam mit den Behindertenbeauftragten der Länder Berlin und Brandenburg im Rahmen der Reha-Messe Berlin zum Thema "Menschenwürde und Vielfalt"
  • 21.9.02 gemeinsam mit dem Gen-ethischen Netzwerk in Berlin zum Thema "Zwischen Kompetenz und Instrumentalisierung, Selbsthilfegruppen und biomedizinische Forschung"
  • 1.-3.11.02 gemeinsam mit der Evangelischen Akademie in Iserlohn und der Gustav-Heinemann-Initiative zumThema "Grundrechte in Gefahr? Die Folgen der biomedizinischen Forschung"

Veröffentlichungen

Mit dem Publikationsorgan IMEW konkret will das Institut in kurzer, übersichtlicher Form und in möglichst verständlicher Sprache Informationen zu Grundbegriffen und zentralen Themenfeldern der Ethik-Diskussionen anbieten. Die beiden ersten Ausgaben wurden von Sigrid Graumann verfasst: "Was ist Bioethik? Zum wissenschaftlichen Selbstverständnis einer umstrittenen Disziplin" und "Menschenwürde - eine unverzichtbare Idee". Unter den Lesern sind nicht nur allgemein interessierte Bürger und Bürgerinnen, sondern auch viele renommierte Mediziner, Naturwissenschaftler und Ethiker. Das IMEW konkret wird zukünftig viermal jährlich erscheinen.

4. Beratende Tätigkeit

Eine der zentralen Aufgaben des Institutes ist die Beratung von Personen und Institutionen. Dieser Arbeitsbereich ist entsprechend seiner Natur noch im Aufbau begriffen. Über die Kontakte zu den Gesellschafterverbänden und die Aktion Mensch hinaus wurden erste Kontakte zu Ministerien, Fraktionen und Parteien hergestellt, die in der Zukunft vertieft bzw. erweitert werden.

Darüber hinaus waren und sind die Institutsmitarbeiterinnen in verschiedenen Gremien vertreten. Bis Ende der letzten Legislaturperiode war Sigrid Graumann sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages. Außerdem ist sie Mitglied in der Akademie für Ethik in der Medizin und in der International Association of Bioethics. Der Bundesvorstand des DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe) hat Katrin Grüber in die Ethikkommission des Verbandes berufen.

5. Dokumentation

Konzeption

Die wissenschaftliche Dokumentationsstelle ist ein zentraler Bestandteil der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit des Institutes. Sie sammelt und erschließt Literatur und Materialien zu medizinischen, sozialen, rechtlichen und ethischen Fragen. Das spezifische Profil der Dokumentationsstelle liegt:

  • in der besonderen Berücksichtigung der Perspektive chronisch kranker und behinderter Menschen sowie der relevanten gesellschaftlichen Gruppen
  • in der Interdisziplinarität mit Schwerpunkt auf den Sozialwissenschaften und deren Verknüpfung mit den Naturwissenschaften.

Ein Schwerpunkt der Sammlung werden Stellungnahmen und informelle Literatur sein. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Nutzungsfreundlichkeit des Bestands gelegt. Angestrebt ist eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit. Damit wird eine Lücke in der bisherigen Dokumentationslandschaft zu biomedizinischen und bioethischen Fragestellungen geschlossen.

Stand der Umsetzung

Für die Entwicklung des Dokumentationskonzepts pflegte die Dokumentarin Barbara Schmelz einen intensiven Erfahrungsaustausch mit den nationalen Dokumentationsstellen im Bereich Biomedizin und Bioethik sowie der Bibliothek der Lebenshilfe, um den spezifischen Bedarf zu ermitteln, der durch die Dokumentationsstelle des IMEW abzudecken ist, aber auch um Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten mit den anderen Einrichtungen zu klären. Die IMEW-Dokumentationsstelle konnte dabei von dem reichen Erfahrungsschatz dieser Institutionen profitieren.

Für die Aufstellung der Bücher und Materialien entwarf sie eine nutzungsfreundliche Standortsystematik, die den spezifischen Charakter der IMEW-Sammlung abbildet und derzeit im Testlauf erprobt wird.

Für die bibliografische Erfassung der Literatur wird derzeit ein Regelwerk entwickelt, das sich auf international geltende Normen stützt und an den bestehenden Datenbankverbünden orientiert.

Um den Bestand inhaltlich zu erschließen, wird die Einsatzmöglichkeit des "Thesaurus Ethik in den Biowissenschaften" geprüft, der von den nationalen Dokumentationsstellen im Bereich Biomedizin und Bioethik entwickelt wird und ab ca. Frühjahr 2003 zur Verfügung steht.

Die Literaturerfassung wird in einer Datenbank erfolgen, mit deren Aufbau und zunächst testweisen Erfassung demnächst begonnen wird.

Parallel zur konzeptionellen Entwicklung wurde 2002 auch mit dem Bestandsaufbau begonnen: Beschaffung von Büchern, Zeitschriften, Grauer Literatur, Stellungnahmen, Aufsätzen, Artikeln. Der Bestand umfasst derzeit bereits ca. 700 Dokumente.

Wegen der großen Bedeutung des Internets lag ein weiterer Schwerpunkt der dokumentarischen Arbeit auf dem konzeptionellen Entwurf und der praktischen Umsetzung des Internetauftritts des IMEW.

Nutzer und Nutzungsmöglichkeiten

Literatur und Materialien der Dokumentationsstelle sind als Präsenzbestand öffentlich für alle Interessierten zugänglich und richten sich an ein breites Nutzerspektrum. Besondere Zielgruppen sind - neben den Organisationen und Verbänden der Behindertenhilfe - Nutzer und Nutzerinnen aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Studium, Schule und anderen Bildungseinrichtungen, Politik, Presse und Medien sowie Selbsthilfe- und Initiativgruppen im Bereich Behinderung und Krankheit. Daneben dient die Dokumentationsstelle auch der Literaturversorgung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des IMEW.

Die thematische Aufstellung der Bücher und Materialien erleichtert einen schnellen Zugang zum Bestand.

Bereits jetzt ist das IMEW auf der Website des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) präsent: Link zum IMEW, Ankündigung der IMEW-Veranstaltungen, Selbstdarstellung des IMEW im Kommunikations- und Informationssystem BEKIS.

Impressum:

Herausgegeben vom Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW)

Texte: Mitarbeiterinnen des IMEW
Redaktion: Roland Kipke
V.i.S.d.P.: Katrin Grüber
Auflage: 200
Stand: 10. Januar 2003

Dieser Jahresbericht ist kostenlos erhältlich beim IMEW, Warschauer Straße 58A, 10243 Berlin, Fon: 0049 (0)30-293817-70, Fax: 0049 (0)30-293817-80, E-Mail: info@imew.de

Das IMEW wird gefördert durch die Aktion Mensch.

Die Deutsche Bibliothek hat die Netzpublikation "Jahresbericht" archiviert. Diese ist dauerhaft auf dem Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek verfügbar.

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