Friedrichshainer Gespräche 2004-2008
Mittwoch, 25. Juni 2008, 18 - 19:30 Uhr
Euthanasie in den Niederlanden
mit Marcus Düwell
Wenn hierzulande über Sterbehilfe gestritten wird, gilt die Praxis und Regulierung in den Niederlanden für die einen als der ethische Dammbruch schlechthin für die anderen als leuchtendes Beispiel verwirklichter Selbstbestimmung. Beide Seiten werden der komplexen niederländischen Situation damit aber nicht gerecht. Marcus Düwell stellt die niederländische Politik, die Rechtslage und die Praxis der Sterbehilfe in ihren sozialen, politischen, kulturellen und historischen Zusammenhang. Diese unterscheidet sich grundlegend von der Herangehensweise in Deutschland und ist deshalb aus deutscher Perspektive in der Regel schwer nachzuvollziehen. Der Vortrag beabsichtigt selbst keine ethische Bewertung der niederländischen Praxis vorzunehmen, sondern eine besser informierte Grundlage für die ethische Diskussion zu schaffen.
Marcus Düwell ist Professor für Philosophische Ethik an der Universität Utrecht, wissenschaftlicher Direktor des dortigen Ethik-Instituts und Direktor der Niederländischen Forschungsschule für Praktische Philosophie.
12. Juli 2007
Disability Art in den USA - The New Disability Arts in the US
Prof. Dr. Rosemarie Garland-Thomson, USA
Frau Prof. Dr. Rosemarie Garland-Thomson, Pionierin der Disability Studies, beleuchtete in ihrem Vortrag die Wechselwirkung zwischen Kunst und kultureller Anerkennung von Menschen mit Behinderung. Sie zeigte dazu Portraits von Menschen mit Behinderung aus jüngster Zeit sowie historische Aufnahmen zum Beispiel aus "Freak Shows" oder aus der Medizin.
Einerseits machen Bilder deutlich, wie wir über Behinderung, Gender und Ethnizität denken. Andererseits kann beispielsweise die Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Kunst die Sichtweise auf sie verändern. Bilder können die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung erleichtern oder erschweren, indem sie die Wahrnehmung unterschiedlicher menschlicher Körper beeinflussen.
Die Darstellung und die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung in der öffentlichen Kultur in den USA hat sich in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Behindertenbewegung geändert. So sind Menschen mit Behinderung im öffentlichen Raum sichtbar, weil Barrieren abgebaut wurden. Gleichzeitig wird Behinderung nicht nur, wie früher üblich, negativ, sondern auch positiv wahrgenommen. Frau Prof. Dr. Garland-Thomson zeigt, inwieweit diese veränderte Wahrnehmung auch in der Kunst sichtbar ist.
Frau Prof. Dr. Rosemarie Garland-Thomson ist Professorin für Women's Studies an der Emory University in Atlanta, USA. Ihr Buch "Extraordinary Bodies: Figuring Physical Disability in American Culture and Literature" gilt als wegweisend für diejenigen, die sich für Disability Studies interessieren.
Bericht zur Veranstaltung von Stefanie Mayer - Volltext im HTML-Format
4. Mai 2006
Grenzen des Lebens
Prof. Dr. Elisabeth List, Universität Graz
Mit der Biotechnologie wird ganz offensichtlich die Verwirklichung alter Menschheitsträume von der ewigen Jugend und damit der Überwindung von Krankheit, Gebrechlichkeit und Sterblichkeit assoziiert. In diesem Sinn versteht Elisabeth List die Biotechnologie als Projekt der Grenzüberwindung. Die Grenzen, um die es ihr geht, sind die Grenzen des menschlichen Lebens, der Anfang des Lebens, der Wandel des Lebens und das Ende des Lebens. Diese Grenzen des Lebens, so ihre These, sind Wesensmomente der conditio humana und damit unhintergehbar, auch wenn das bisweilen in Heilsversprechen und -erwartungen verdrängt, negiert oder gar geleugnet wird. Wie diese Grenzen des Lebens erfahren werden, ist kulturell geprägt und unterliegt dem historischen Wandel. In ihrem Vortrag machte sie dies am gesellschaftlichen Verständnis von Krankheit und Behinderung deutlich.
Veröffentlichung des Vortrags:
Elisabeth List, Grenzen des Lebens, in: Grenzen des Lebens, S. 13-26
14. Dezember 2004
Das Alltags-Gen. Das Reden über das Gen und die sozialen Folgen.
Veranstaltung in Kooperation mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Barbara Duden, Prof. Dr., Historikerin am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover
Silja Samerski, Dr. phil., Dipl. biol., Projekt "Das Alltags-Gen", Universität Hannover
Wie bei keinem anderen Fachwort klaffen beim Gen wissenschaftliches Konzept und öffentliche Wahrnehmung auseinander. Fortschritte in der molekularbiologischen Forschung haben gezeigt, dass es Gene als definierbare Grundeinheiten der Vererbung und Entwicklung nicht gibt. Außerhalb des Labors ist das Wort Gen zum Sinnbild für den "Grundbaustein des Lebens" und seine technische Manipulation geworden. In dem Projekt "Das Alltags-Gen" wurde die Bedeutung, die in der Umgangssprache dem Gen gegeben wird, auf die sozialen Folgen dieses Verständnisses hin untersucht. Was besagt, fordert und erfordert Gen, wenn es in politischen, familiären oder ratgebenden Gesprächen auftaucht?
Eine demokratische Diskussion über das, was gut ist, kann und soll nicht Experten und Expertinnen überlassen werden. Ethische Fragen stellen sich auf der Grundlage von Gemeinsinn und nicht von Expertenwissen. Sie bedürfen der erlebnisnahen Sprache des Alltags. Deshalb ist es für eine ethische Diskussion wichtig zu wissen, was das Wort Gen im Alltag besagt.
22. September 2004
Pränataldiagnostik und Beratung
Erika Feldhaus-Plumin
Frau Erika Feldhaus-Plumin hat in Berlin im Rahmen ihrer Dissertation die Versorgungs- und Beratungssituation der schwangeren Frauen untersucht und ist der Frage nachgegangen, inwieweit es Diskrepanzen zwischen medizinischer Versorgung und psychosozialer Beratung gibt. Dabei wurden die verschiedenen Perspektiven von Frauen und Expertinnen/Experten berücksichtigt. Schwerpunkt waren die Bedürfnisse und Erwartungen der Frauen in Bezug auf psychosoziale und interdisziplinäre Beratung.
Pränataldiagnostik mit Blick auf das ungeborene Kind ist heute Teil der routinemäßigen Schwangerenvorsorge. Sie wird dabei auch als gezielte Suche nach Behinderungen und Erkrankungen verstanden, die zur vorgeburtlichen Selektion führen kann. Schwangere Frauen erhoffen sich von der Pränataldiagnostik die Bestätigung für ein "gesundes" Kind. Die Frage ist, ob diese Erwartung erfüllt werden kann oder ob mit der Diagnostik und deren Bewertung nicht eher Ängste verstärkt und Entscheidungssituationen zum Konflikt werden.
Die Sozialarbeiterin (Beraterin) und Gesundheitswissenschaftlerin begründete in diesem Vortrag ihre These, dass die psychosoziale und interdisziplinäre Beratungssituation der rasanten Weiterentwicklung der pränatalen Diagnostik nicht nachkommt.
Veröffentlichung des Vortrags:
Erika Feldhaus-Plumin, Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung, in: Biomedizin im Kontext, S. 179-199