"The New Disability Arts in the US“ - Vortrag von Rosemarie Garland-Thomson
Bericht vom Friedrichshainer Gespräch am 12. Juli 2007
Inhalt
Öffentlichkeit und Kommerz
Rosemarie Garland-Thomson, Professorin für amerikanische Literatur und eine der PionierInnen der Disability Studies in den USA, sprach bei ihrem Vortrag im Rahmen der Friedrichshainer Gespräche über die Darstellung von Menschen mit Behinderung in Öffentlichkeit und Kunst. An Hand vieler Beispiele zeigte Garland-Thomson die historische Entwicklung solcher Bilder im Zusammenhang mit sogenannten "Freak Shows" bis hin zu aktuellen Werbe-Sujets und zeitgenössischen künstlerischen Auseinandersetzungen. Ohne moralische Wertungen vorzunehmen, machte sie den unterschiedlichen Einsatz von Bildern behinderter Menschen im Rahmen von Unterhaltung und Kommerz, aber auch in politischen Kampagnen und im medizinischen Rahmen fest. Sie zeigte auch, dass nicht zuletzt die jeweilige Zielgruppe, an die sich Bilder - insbesondere Werbebilder - richteten, einen wesentlichen Einfluss auf die Darstellungen hatte.
In der späteren Diskussion machte Garland-Thomson nochmals deutlich, dass Darstellungen behinderter Menschen in kommerziellen Zusammenhängen eine zweischneidige Sache seien. Zwar habe man es einerseits mit Ausbeutung zu tun, andererseits aber sei Werbung zu einem entscheidenden Teil des öffentlichen Raums geworden, der von politischer Teilhabe nicht zu trennen sei. Die Darstellungen seien damit auch ein Schritt zur öffentlichen Wahrnehmung und damit zu politischem Einfluss.
Porträts
Den zweiten Teil ihres Vortrags widmete Garland-Thomson einem ihrer aktuellen Arbeitsschwerpunkte, der Beschäftigung mit zeitgenössischen Porträts. Die vorgestellten Beispiele - Arbeiten von Doug Auld, Chris Rush und Riva Lehrer - zeigten deutliche Referenzen auf die Geschichte und die Konventionen der Porträtmalerei in der westlichen Welt. Porträts, so eine zentrale These, sprechen den Abgebildeten Wichtigkeit, Würde und Autorität zu und folgen mit der Darstellung (wieder)erkennbarer Personen den Konventionen des künstlerischen Realismus. Solche künstlerischen Auseinandersetzungen können auch gesellschaftliche Effekte haben, wenn sie bei (nicht-behinderten) BetrachterInnen und in der Öffentlichkeit einen anderen Blick auf behinderte Menschen anregten.
Der Künstler Doug Auld hatte beispielsweise für seine Serie "State of Grace" Menschen mit schweren Verbrennungsnarben abgebildet. Die Porträts sollten ganz bewusst eine ästhetische Vermittlung leisten, die es den BetrachterInnen erleichtert angesichts der Narben nicht wegzusehen. Die dargestellten Menschen erscheinen nicht als Opfer, sondern als würdevolle, mit Autorität ausgestattete Personen. In vergleichbarer Weise verwenden auch Chris Rush und Riva Lehrer Konventionen der Porträtmalerei - etwa die aus der Renaissance kommende Darstellung von Würdenträgern im Profil.
Als weiteres Beispiel - diesmal aus dem Bereich der Bildhauerei - führte Garland-Thomson die von Marc Quinn geschaffene Skulptur "Alison Lapper Pregnant" an, die bis vor kurzem am Londoner Trafalgar Square aufgestellt war. Während die Ausführung - eine realistisch gehaltene, nackte Frauenfigur aus weißem Marmor - konventionellen Denkmälern folgt, sorgte die Darstellung einer schwangeren Frau mit Behinderung für Kontroversen.
Online-Galerie
Einen weiteren Input für die Diskussion lieferte Bea Gellhorn, die in einer kurzen Präsentation die neu gegründete Online-Galerie Kunst kennt keine Behinderung vorstellte. Das noch neue Projekt ist bereits die größte Online-Galerie für Werke von Menschen mit Behinderung in Deutschland. Erlöse aus dem Verkauf der Bilder gehen dabei zu 100 Prozent an die KünstlerInnen.
Diskussion
In der angeregt geführten Diskussion wurde eine Reihe der im Vortrag angesprochenen Fragen nochmals eingehend thematisiert. Unter anderem konnte die ambivalente Einschätzung der historischen "Freak Shows" mit ihrer Darstellung behinderter Menschen als "exotische Wunder" verdeutlicht werden. Was aus unserer heutigen Perspektive als Ausbeutung und würdelose Darstellung erscheint, verschaffte historisch betrachtet einigen Menschen mit Behinderung eine gewisse Berühmtheit und einträgliche Arbeit.
Kritisch wurde auch die Ästhetisierung des Lebens mit Behinderungen durch aktuelle künstlerische Darstellungen angemerkt, die reale Schwierigkeiten ausblendeten. Garland-Thomson hielt dagegen, dass die große Differenz zwischen Kunst und Leben hier zum Tragen komme. Der politische und gesellschaftliche Sinn solcher Darstellungen liege darin, den Blick der (nicht-behinderten) Öffentlichkeit zu verändern. Zumindest aber könnte ein wesentlicher Teil von Diskriminierung - der Umstand, dass Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sind - durch solche Arbeiten durchbrochen werden.
Stefanie Mayer
© Copyright Text und Foto: IMEW
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