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Bericht über den Workshop "Good Life Better"

Entwicklungen in Feldern wie der plastischen Chirurgie, Diskussionen um Doping im Sport, oder die vermehrte Einnahme leistungssteigernder Medikamente ohne medizinische Indikation führen schon seit geraumer Zeit zu intensiven Debatten. Gebündelt unter dem Begriff des Human Enhancement – der biotechnologischen „Verbesserung“ des Menschen – werden hier wichtige ethische Fragen verhandelt: Was sind legitime Ziele ärztlichen Handelns? Wo sollen biotechnologischen Interventionen Grenzen gesetzt werden? Wie verändert sich der Blick auf diejenigen, die sich nicht biotechnologisch „verbessern“ lassen können oder möchten? Wer hat Zugang zu diesen Maßnahmen? Wer trägt die finanziellen Kosten für diese Interventionen?

Zur Intensivierung des interdisziplinären Dialogs um Human Enhancement veranstaltete das Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität Lübeck (IMGWF) gemeinsam mit dem Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW) vom 10.-16.10. 2010 einen international ausgerichteten Workshop für NachwuchswissenschaftlerInnen. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Workshop mit dem Titel „Good Life Better – anthropological, sociological and philosophical dimensions of enhancement“ war vor allem darauf gerichtet, die Diskussion um Enhancement mit den Disability Studies zu verbinden. Im Verlauf der Woche diskutierten Teilnehmende unterschiedlicher Fachrichtungen aus Deutschland, England, Dänemark, Belgien, Kenia, Polen, Schweden und den Niederlanden. Ihre Vorträge thematisierten Enhancement in vielfältiger Weise: Von der Darstellung im Film über Möglichkeiten der Regelung und Steuerung von Enhancement, den Zusammenhang mit Körperbildern, transhumanistische Utopien, bis hin zu Fragen normativer Effekte biotechnologischer Intervention.

Um Human Enhancement inhaltlich zu bestimmen, wird es klassischerweise in Unterscheidung zu Therapie vorgestellt. Nach diesem Verständnis wären unter dem Begriff Enhancement biotechnologische Interventionen zu fassen, die nicht auf die (Wieder-)Herstellung von Gesundheit und Funktionsfähigkeit zielen, sondern darüber hinaus gehen. Diese Trennung ist allerdings empirisch nicht immer leicht zu treffen. Wo lassen sich therapeutische Interventionen einordnen, die über das „Normalmaß“ hinaus verbessern? Aimee Mullins, Sportlerin, Modell und Schauspielerin besitzt eine Reihe von Beinprothesen, die sie dem Anlass entsprechend auswählen kann (vgl. http://www.aimeemullins.com/index.php). Wo wären präventive Maßnahmen wie Impfungen anzusiedeln?

Die Unterscheidung zwischen Therapie und Enhancement ist also immer auch eine normative Setzung, die vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse getroffen wird. Als Grundlage für ethische Entscheidungen ist sie schlecht geeignet. Christoph Rehmann-Sutter plädierte in seinem Vortrag dafür, stattdessen individuelle Bedürfnisse nach Enhancement ernst zu nehmen und daraufhin zu prüfen, ob sie tatsächlich gesellschaftlich wünschenswert sind. Gleichzeitig sei immer auch die Perspektive derjenigen in die Überlegungen einzubeziehen, die direkt oder indirekt bereits Erfahrungen mit bestimmten „verbessernden“ Technologien gemacht haben: Menschen mit Behinderungen.

Stuart Blume stellte die Geschichte der Entwicklung des Cochlea Implantats als ein Beispiel vor, in dem eine solche Kommunikation und Zusammenarbeit denkbar schlecht verlief. Im Zuge der Entwicklung der neuen Technologie lenkte die Medizin ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Frage, ob bzw. wie effektiv ein Implantat die Hörfähigkeit steigert. Die Interessen gehörloser und hörbeeinträchtigter Menschen und die soziale Entwicklung von Kindern, die ein Implantat erhalten hatten, wurden kaum berücksichtigt. Zum heutigen Zeitpunkt sind es häufig die Eltern, die kurz nach der Geburt vor einer schwierigen Entscheidung stehen. Sigrid Bosteels gab einen Einblick in die Situation in Belgien. Diagnosen werden schon wenige Wochen nach der Geburt gestellt, zeitgleich werden Möglichkeiten einer medizinischen Intervention ausgelotet. Der Zugang der Eltern zu Informationen über die Gehörlosenkultur ist häufig relativ schlecht. Geschichte und Gegenwart zeigen, dass die Bewertung einer bestimmten Technologie sowie die Entscheidung für oder gegen ihre Anwendung hochgradig abhängig von der Auswahl der Bewertungskriterien und dem Zugang zu Informationen sind. Cornelius Borck erweiterte die Diskussion mit seiner Re-Lektüre von Georges Canguilhems Klassiker „Das Normale und das Pathologische“ um eine alternative Epistemologie der Medizin.

Mit Blick auf die Diskussion um „verbessernde“ Technologien ist nicht nur ihre gesellschaftliche Kontextualisierung relevant. Im Verlauf des Workshops geriet auch das Verständnis von Normalität selbst immer wieder in die Diskussion. Die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen zeigen, dass die erlebte Normalität einzelner Menschen von statistisch ermittelten Werten stark abweichen kann. Gleichzeitig kann Normalität nur im Verhältnis zu etwas anderem bestimmt werden, zum Beispiel in Abgrenzung zu Behinderung, Krankheit, oder auch überdurchschnittlicher Leistung. Die Unterscheidung zwischen Therapie und Enhancement, die immer einen Bezug zu Normalität herstellen muss, wird vor diesem Hintergrund erneut problematisch. Jackie Leach Scully verwies in ihrem Vortrag auf die normativen Dimensionen therapeutischer Interventionen. Unter Ausblendung der Perspektiven von Menschen mit Behinderungen werde Behinderung immer wieder als etwas dargestellt, dass es zu überwinden gelte. Hier wäre zu diskutieren, ob der Begriff der „verändernden“ Interventionen gegenüber einer klaren Zuordnung als therapeutisch oder „verbessernd“ eine neue Perspektive auf die Diskussion bieten kann. Gleichzeitig, so machte Katrin Grüber deutlich, sei die Anerkennung bestimmter Maßnahmen als therapeutischer Interventionen z.B. in Bezug auf die Kostenübernahme politisch relevant.

Grundsätzlich müsse in der Betrachtung des Enhancement zwischen Enhancement als Idee oder Vorstellung und Enhancement als konkreter Praxis unterschieden werden, betonte Ursula Naue. Mit einem solchen Verständnis hob Alfred Nordmann in seinem Beitrag hervor, dass sich die Aufmerksamkeit in der Debatte stärker darauf konzentrieren müsse, welche technischen Möglichkeiten tatsächlich existierten. Während die Zukunft immer nur Gegenstand von Spekulationen sein kann, erlaubt und gebietet die Gegenwart die Möglichkeit zur bewussten Steuerung der biotechnologischen Entwicklungen und ihrer Anwendungen.

Das Spannungsverhältnis zwischen Ideen und Vorstellungen auf der einen und konkreter Praxis auf der anderen Seite wurde auch in Hinsicht auf (technisch vermittelte) Bilder von Körpern und Körpererfahrungen diskutiert. Unser Erleben und Verständnis von Körperlichkeit und verändernden Technologien muss im Zusammenhang mit den über sie kursierenden Bildern und Narrativen gedacht werden. Filme, Geschichten und Utopien beeinflussen Wünsche und Bedürfnisse genau wie bestimmte Entwicklungen von Wünschen und Utopien geleitet werden (können). Gleichzeitig, so argumentierte Christina Schües in ihrem Vortrag, ist jede menschliche Erfahrung nur im Verhältnis und in Beziehung zur Welt denkbar.

Die Frage nach dem guten Leben, wie sie mit dem Titel des Workshops aufgeworfen wird, kann nie abschließend beantwortet werden. Was genau unter einem guten Leben zu verstehen ist und ob biotechnologische Interventionen einen Beitrag leisten können, steht immer im Verhältnis zu den historisch spezifischen Möglichkeiten und ist davon abhängig, wer an der Diskussion beteiligt wird. Dass die Erfahrungen und Perspektiven von Menschen mit Behinderungen für die Diskussion unentbehrlich sind, hat sich im Verlauf der Woche immer wieder gezeigt.

Carola Pohlen, IMEW, November 2010

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