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Präimplantationsdiagnostik - ein fragwürdiges Verfahren

IMEW konkret Nr. 3, Januar 2003

Online Version ISSN 1612-9997 © Copyright: IMEW

Präimplantationsdiagnostik (PID) ist die Gendiagnostik an im Labor gezeugten Embryonen. Hierzulande ist die PID durch das Embryonenschutzgesetz verboten. In vielen anderen Ländern wird sie praktiziert.

Das Verfahren

Aus medizinischer Sicht ist die PID ein aufwendiges, belastendes, wenig erfolgversprechendes und risikoreiches Verfahren:

Für die PID muss eine Laborbefruchtung (IVF) durchgeführt werden. Die Frau wird mit Hormonen behandelt, damit mehrere Eizellen reifen. Für die PID werden ca. 12 Eizellen benötigt. Diese werden entnommen und im Labor befruchtet. Nach 3 Tagen werden ein bis zwei Zellen von den Embryonen abgetrennt und genetisch getestet. Nur nicht von der befürchteten genetischen Erkrankung betroffene Embryonen werden in die Gebärmutter der Frau überführt.

Die Erfolgsrate der PID ist gering. Laut einer internationalen Erhebung wurden nur 14% der Paare, die sich einer PID-Behandlung unterzogen, nach mehreren Versuchen Eltern (ESHRE 2001). Dabei sind die Risiken durch die IVF beträchtlich: Viele Frauen haben schwere Nebenwirkungen durch die Hormonbehandlung. Dazu kommen Eingriffsrisiken und vermutlich ein erhöhtes Krebsrisiko. Weil meist mehrere Embryonen übertragen werden, kommt es gehäuft zu Mehrlingsschwangerschaften (27%) und Frühgeburten. Außerdem ist die Zuverlässigkeit der Gendiagnostik an einzelnen Zellen begrenzt. Meist wird zur Kontrolle eine Pränataldiagnostik (PND) durchgeführt. Laut der genannten Studie wurden 4 von 279 Kindern krank geboren und 4 Schwangerschaftsabbrüche nach PND durchgeführt (ESHRE 2001).

Zunächst wurde die PID als Alternative zur PND für Paare mit einem hohen Risiko für ein krankes oder behindertes Kind eingeführt. Über diese Indikation wird auch in Deutschland diskutiert. International dient die PID mittlerweile ebenso häufig der Verbesserung der Erfolgsaussicht der IVF, indem voraussichtlich nicht entwicklungsfähige Embryonen aussortiert werden. In einzelnen Fällen wird sie zur Geschlechtswahl aus sozialen Gründen eingesetzt oder zur Zeugung eines Kindes, das sich als Blut- und Knochenmarksspender für ein krankes Geschwisterkind eignet.

Rechte der betroffenen Paare gegen Embryonenschutz?

Das zentrale Argument für die Zulassung der PID hierzulande ist die Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nach PND. Mit der PID könne der Kinderwunsch von genetisch belasteten Paaren ohne Schwangerschaft auf Probe erfüllt werden. Manche meinen sogar, die betroffenen Paare hätten ein Recht darauf.

Natürlich darf niemand durch gesellschaftlichen oder staatlichen Zwang daran gehindert werden, eine Familie zu gründen. Ein Anspruch auf Erfüllung des Kinderwunsches mit medizinischer Hilfe kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Trotzdem sollte der Kinderwunsch der betroffenen Paare ernst genommen werden. Das bedeutet aber nicht, dass der Wunsch nach PID unabweisbar ist, wenn es gewichtige Argumente gegen das Verfahren gibt.

Weil bei der PID Embryonen aussortiert werden, ist deren Vernichtung Teil des Verfahrens. Deshalb spricht der grundrechtliche Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens gegen eine Zulassung der PID.

Trotzdem gehört der "moralische Status" von Embryonen zu den strittigsten Fragen in unserer Gesellschaft. Für viele besitzt bereits die befruchtete Eizelle Lebensrecht, weil sie das Potenzial hat, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Andere sehen in frühen Entwicklungsstadien nur einen Zellhaufen, der noch nicht schützenswert ist. Für eine Einschränkung der Schutzwürdigkeit in Abhängigkeit von der Entwicklung müssten allerdings allgemeingültige Kriterien benannt werden. Kriterien für den "eigentlichen" Beginn des Menschseins wie die Nidation, die Ausbildung des Gehirns oder die Geburt sind mehr oder weniger willkürlich und lassen Fragen nach ihrer ethischen Qualität unbeantwortet. Ethisch relevante Kriterien für die Schutzwürdigkeit von Lebewesen, wie Schmerzempfinden, Selbstbewusstsein oder die Fähigkeit zur Selbstachtung sind immer auch auf geborene Menschen anwendbar.

Oft wird auch argumentiert, es sei widersprüchlich, Schwangerschaftsabbrüche faktisch zu dulden, im Labor gezeugte Embryonen aber umfassend zu schützen. Dabei wird negiert, dass die Schwangerschaft mit keiner anderen Lebenssituation vergleichbar ist. Von einer ungewollten Schwangerschaft ist die Frau unausweichlich in ihrer ganzen körperlichen und psychischen Integrität betroffen. Das Leben des Föten könnte gegen ihren Willen nur um den Preis der Verletzung ihrer Rechte geschützt werden. Darauf hat der Gesetzgeber aus gutem Grund verzichtet. Im Fall der Entscheidung für eine PID ist die Frau nicht schwanger. Es besteht kein unausweichlicher Konflikt zwischen den Rechten der Frau und dem Schutz des Embryos. Dieser Konflikt würde durch die Zeugung im Labor mit dem Ziel, nur die "gesunden" Embryonen auszuwählen, vorsätzlich herbeigeführt.

Gesellschaftliche Folgen der PID

Fast alle Befürworter der PID wollen das Verfahren auf schwerwiegende Erkrankungen begrenzen. Dies geht aber nicht. Eine Generalklausel, die die zu erwartende Belastung der Frau zum Maßstab macht, wäre, wie die Praxis der PND zeigt, keine wirkungsvolle Begrenzung. Jeden Einzelfall durch eine zentrale Ethikkommission zu prüfen, wie ärztlicherseits vorgeschlagen wurde, wäre eine kaum zu rechtfertigende Bevormundung der betroffenen Paare (Bundesärztekammer 2000). Wer außer dem Paar selbst könnte sich das Urteil anmaßen, ob ein Kind mit einer bestimmten Krankheit "zumutbar" ist? Ein Indikationskatalog mit bestimmten schweren Krankheiten wäre eine Diskriminierung von lebenden Betroffenen.

Zu befürchten ist, dass auf Grund von sozialen Zwängen eine wirklich selbstbestimmte Entscheidung für die PID häufig nicht möglich ist. Es ist soziologisch belegt, dass Entscheidungen für die PND oft unter indirektem oder sogar direktem Druck des sozialen Umfelds zustande kommen. Nun ist kaum anzunehmen, dass Frauen mit "normalem" Risiko für ein krankes oder behindertes Kind freiwillig die Belastungen von IVF und PID auf sich nehmen würden. Auf "Risikopaare" und gegebenenfalls auf Paare, die ohnehin in einer IVF-Behandlung sind, könnten solche Zwänge aber wirken.

Oft wird der PID ein diskriminierender Charakter in Bezug auf Menschen mit Behinderungen zugesprochen. Es wäre allerdings zu weitgehend zu behaupten, die individuelle Entscheidung eines Paares für die PID sei eine Diskriminierung der Gruppe von Menschen mit Behinderungen. Was aber berechtigterweise als Diskriminierung verstanden werden kann, ist die gesellschaftliche Etablierung eines Verfahrens, dessen explizites Ziel es ist, die Existenz von kranken und behinderten Menschen zu vermeiden. Dass dies Ausdruck eines gesellschaftlichen Werturteils über Menschen mit Behinderungen wäre, lässt sich kaum von der Hand weisen.

Weiterhin ist zu befürchten, dass die PID den Weg zu weiteren Verfahren wie der verbrauchenden Embryonenforschung und Keimbahneingriffen ebnet. Der Gesetzgeber könnte dies zwar durch Grenzziehungen verhindern. Anzunehmen ist aber, dass mit der Legalisierung der PID die moralische Schwelle vor der Zulassung weiterer Verfahren niedriger würde. Erstmals würden mit der PID in Deutschland gezielt "überzählige" Embryonen gezeugt. Dies könnte weitere Begehrlichkeiten auslösen. Außerdem spricht die internationale Entwicklung für die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung der PID beispielsweise hin zur Routinekontrolle bei IVF und zur positiven Auswahl von Eigenschaften.

Sigrid Graumann

Literatur

  • Bundesärztekammer (2000): Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik, Februar 2000.
  • Bundesministerium für Gesundheit (2000) (Hrsg.): Fortpflanzungsmedizin in Deutschland, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit Band 132, Nomos, Baden Baden.
  • Deutsches IVF Register, Jahrbuch 2001.
  • Düwell, Marcus / Mieth, Dietmar (1999) (Gastherausgeber.): Von der Pädiktiven zur Präventiven Medizin - Ethische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik. Ethik in der Medizin 11, Supplement 1, 1999.
  • Düwell, Marcus und Mieth, Dietmar (2000, 2. Auflage) (Hrsg.): Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive. Tübingen: Francke.
  • ESHRE 2001: Preimplantation Genetic Diagnosis (PGD) Consortium: data collection III. Human Reproduction 15/12.
  • Geyer, Christian (2001) (Hrsg.): Biopolitik. Die Positionen. Frankfurt: Suhrkamp.
  • Graumann, Sigrid (2001) (Hrsg): Die Genkontroverse. Wohin die Reise geht - Grundpositionen. Freiburg: Herder.
  • Kollek, Regine (2002, 2. Auflage): Präimplantationsdiagnostik, weibliche Autonomie und Recht. Tübingen: Francke.

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