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Biobanken - Konzepte und Umsetzung, Teil 4

Katrin Grüber und Rainer Hohlfeld, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, November 2005

4.2.5. Aktueller Stand

Aus der UK Biobank können keine Ergebnisse vorliegen, da sie sich noch im Aufbau befindet. Die erste Krankheit, die untersucht werden kann, wird Diabetes sein. Nach statistischen Berechnungen von Paul Burton werden ca. 4,5 Jahre nach abgeschlossener Sammlung ausreichen, bis 5.000 Diabetes-Fälle aufgetreten sind. Bei anderen Krankheiten kann dies 10 bis 15 Jahre dauern. Je seltener eine Krankheit ist, umso länger muss man warten, um eine angemessene Probengröße (2.500 - 5.000) zu erreichen. Während Diabetes in 10 Jahren bei einer Gesamtzahl von 500.000 11.500-mal auftreten wird, gibt es mehr als 5.000 Todesfälle durch Darmkrebs erst in 30 Jahren (Burton 2002).

Die ausreichende Zahl von Krankheitsfällen ist allerdings nur die Bedingung dafür, dass Studien begonnen werden können. Der nächste Schritt ist die Produktion von Ergebnissen. Der dritte Schritt ist eine Prüfung, ob das Ergebnis praxisrelevant ist. Wenn man berücksichtigt, dass die Sammlung frühestens im Herbst 2006 beginnen wird und 3,5 bis 4 Jahre dauert, dann erscheint die Mitteilung auf der Website von UK Biobank, dass erste Ergebnisse über Hinweise von Faktoren, die zu Erkrankungen im späteren Leben beitragen, frühestens in 10 Jahren zu erwarten sind, plausibel. [ 43 ]

Nach Smith et al. (2005) werden sich prospektive Biobanken, wozu die UK Biobank gehört, wahrscheinlich erst 20 bzw. 30 Jahre, nachdem die Rekrutierungsphase abschlossen ist, rentieren, was nicht heißt, dass es nicht vorher schon Ergebnisse geben könnte.

4.2.6. Erwartungen

Erwartungen und Anforderungen an die Teilnehmer

Die Teilnehmer an dem Projekt können so gut wie keine für sie sinnvolle Information aus der Teilnahme schöpfen. Der Zeitaufwand für die Teilnehmer vor Ort beträgt schätzungsweise 60 bis 90 Minuten. Dazu kommt die Anreise, so dass Teilnehmer ungefähr einen halben Tag investieren. Sie müssen außerdem prinzipiell bereit sein, auch in Zukunft kontaktiert zu werden. Es soll geklärt werden, wie oft Teilnehmer kontaktiert werden können, ohne dass sie sich belästigt fühlen. Dabei ist es wichtig, dass die UK Biobank für die Kontaktaufnahme Methoden verwendet, die möglichst sicher und möglichst wenig aufdringlich sind (Walker*).

Aus der Beschreibung wird deutlich, dass die Motive für die Teilnahme nur altruistisch sein können. Dies, so der Bericht des Wellcome Trust an den Ausschuss für Science and Technology im House of Lords, sei eine beträchtliche Herausforderung. Allerdings gebe es in Großbritannien eine lange Geschichte altruistischen Verhaltens bezüglich der Spende von Körpersubstanzen für medizinische und Forschungszwecke (House of Lords Science and Technology Committee 2000). [ 44 ] Ob dies allerdings auch dazu führt, dass 500.000 Menschen bereit sind, bei der UK Biobank mitzumachen, wird sich erst in den nächsten Jahren erweisen.

Erwartungen der Teilnehmer

Im Rahmen von Partizipationsverfahren führte People Science & Policy Ltd [ 45 ] Workshops mit Bürgerinnen und Bürgern aus unterschiedlichen Orten durch. Die Menschen äußerten sich dazu, welche Bedingungen für die Teilnahme an dem Projekt sie für notwendig halten, wo ihrer Ansicht nach Probleme existieren und wie diese gelöst werden können (People Science & Policy 2002, 2003). Der Wellcome Trust hat die wesentlichen Ergebnisse in einem Memorandum für das House of Lords zusammengefasst (House of Lords Science and Technology Committee 2000). Für eine mögliche Teilnahme sind danach wichtig [ 46 ]:

  • Respekt: Die Teilnehmer sollen das Gefühl haben, dass sie zur Entwicklung des Projektes beitragen und nicht nur passive Subjekte der Studie sind.
  • Zustimmung: Eine vollständige und informierte Zustimmung ist notwendig, so dass die Teilnehmer von Anfang an Vertrauen haben.
  • Feedback: Den Teilnehmern sollen angemessene Informationen über den Fortschritt der Forschung zugänglich sein. [ 47 ]
  • Rechenschaft: Es soll ein Aufsichtsgremium aus Schlüsselvertretern einschließlich eines Studienteilnehmers eingerichtet werden.
  • Beratung: Der Beteiligungsprozess soll mit unterschiedlichen Personenkreisen von Patienten bis zu Mitarbeitern im Gesundheitswesen fortgesetzt werden, um Verständnis und Unterstützung für das Projekt zu gewährleisten.
  • Ethische Forschung: Das Aufsichtsgremium erstellt ethische Richtlinien, die an der Spitze des Projektes stehen.
  • Öffentliches Eigentum: Die DNS-Proben bleiben öffentliches Eigentum zum öffentlichen Wohl. Exklusiven Zugang zu Informationen für eine Organisation oder eine Firma gibt es nicht.

Mögliche Nutzung der UK Biobank

Die Biobank ist wie eine andere Bank auch darauf angewiesen, dass sie von Kunden angenommen wird, wenngleich der Erfolg des Projektes nicht davon abhängt, wie zahlungskräftig die Kunden sind (siehe unten). Damit die potentiellen Kunden wissen, was sie von der Biobank erwarten können, gibt es Überlegungen, wie die Datenstruktur veröffentlicht wird, so vielleicht als Open Source. So können Interessierte abschätzen, welche Forschungsvorhaben mit der UK Biobank möglich sind (Walker*). Außerdem verwendet die UK Biobank bei der Datenverarbeitung die international üblichen und auch im britischen Gesundheitssystem angewandten Standards HL7 und HTB. Dies ermöglicht einen Abgleich mit anderen Datenbanken (Walker 2005).

Pro Person werden schätzungsweise insgesamt 1.150 Daten gespeichert (ohne genetische Daten), das heißt die 300 Antworten auf Fragen, 50 Labordaten und mindestens 800 pro Krankenakte (Walker*). Auch ohne die genetischen Daten, die aus den Proben gewonnen werden sollen, stellt dies eine beträchtliche Datenmenge dar. Die Rohdaten werden weder direkt an die Kunden weitergegeben, noch erhält der Kunde Zugang zur Datenbank, sondern die Daten von beispielsweise 4.000 Diabetesfällen und 8.000 Kontrollpersonen werden von der UK Biobank aufgearbeitet. Die UK Biobank muss dabei auch dafür sorgen, dass die Daten qualitativ in Ordnung sind (Walker*).

Wie bei einer Bank wird die Bonität geprüft. Wenn Daten der Biobank genutzt werden sollen, wird das Vorhaben einer Begutachtung durch Experten unterworfen (peer review). Schließlich prüft die UK Biobank, ob das Vorhaben im Einklang steht mit der Zustimmung der Teilnehmer und mit dem Rahmen für Ethik und verantwortliches Handeln (UK Biobank 2003a). Geprüft wird überdies, ob das Vorhaben wissenschaftlich und klinisch wichtig ist, ob es eine ähnliche Untersuchung bereits gibt, ob die Datenressource optimal genutzt wird und ob die anfragende Stelle akzeptabel ist (Peakman*, Walker*). [ 48 ]

Erwartungen aus der Wirtschaft

Der Wellcome Trust hat einen Workshop mit Vertretern großer und kleiner Pharmafirmen veranstaltet. Daraus konnte noch kein Interesse abgeschätzt werden, denn es ging bei der Veranstaltung vor allem darum, wie der Zugang zur Datenbank für die Industrie möglichst einfach gestaltet wird (Doyle*).

Nach der Einschätzung von Klaus Lindpaintner* von Roche Genetics ist der Nutzen der UK Biobank für die pharmazeutische Industrie eher gering. Er begründet dies damit, dass "vornehmlich pragmatische und kosteneffiziente retrospektive Fall-Kontroll-Analysen im Hinblick auf bestimmte Kandidaten-Gene und ihre Varianten von Interesse" seien. Konsequenterweise betreibt Roche Genetics eigene Biobanken im Bereich der Pharmakogenetik. Allerdings hat die Bioindustry Association im Jahre 2003 ihre Unterstützung für das Projekt der UK Biobank veröffentlicht (Petersen 2005).

Erwartungen von Patientenorganisationen

Im Rahmen der gesellschaftlichen Debatte wurde keine Befragung von Patientenorganisationen durchgeführt. Auf der Website der UK Biobank wird erwähnt, dass British Heart Foundation, Cancer Research UK, Juvenile Diabetes Research Foundation und Parkinson′s Disease Society die Biobank unterstützen. Die Soziologin Hilary Rose vermutet, dass es nicht nur Unterstützung geben wird, sondern dass sich Mitglieder von Organisationen für Menschen mit psychischen Erkrankungen kritisch zu Wort melden werden, wenn das Projekt öffentlich bekannter wird (Rose*).

4.2.7. Der wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Diskurs

Der naturwissenschaftliche Diskurs

Helen Wallace von GeneWatch weist auf einen bedeutsamen Unterschied in der ethischen und naturwissenschaftlichen Diskussion über die UK Biobank hin. Während man in ethischen Diskussionen voraussetze, dass das Projekt für den wissenschaftlichen Fortschritt notwendig ist, stelle man in naturwissenschaftlichen Diskussionen auch grundsätzliche Fragen nach der Notwendigkeit des Projektes (Wallace*).

Die wissenschaftliche Grundlage des Projektes ist nicht unumstritten (siehe Kapitel 5.1.). Paul Burton, Mitglied im Wissenschaftskomitee der UK Biobank, führte in einem Vortrag unter dem Titel "UK Biobank: Blue Chip, Black Hole or White Elephant" die verschiedenen Argumente aus. Eine wesentliche Kritik an dem Konzept ist, dass das Vorgehen hypothesenfrei sei, das heißt es gehe um beliebige Korrelationen ohne Kausalhypothese (Burton 2002).

Nach Einschätzung von Burton (2002) ist die fallbezogene Studie gegenüber der Kohortenstudie unter Berücksichtigung der Kosten in einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren vorteilhaft, während sich dies nach 25 bis 30 Jahren genau umgekehrt verhält, weil es dann mehr Inzidenzen für viele Krankheiten gibt.

Kurz nach Bekanntwerden des Biobankprojektes gab es ein Treffen genetischer Epidemiologen, bei dem das Projekt sehr kritisch diskutiert wurde. Die Frage unter den Teilnehmern war, ob man sagen solle, das Projekt sei schlecht, oder ob man, nachdem die Entscheidung politisch getroffen und nicht mehr rückgängig zu machen sei, versuchen sollte, Änderungen dahingehend zu bewirken, dass es wenigstens eingeschränkt für die Wissenschaft nutzbar sei (Wallace*).

Manche Epidemiologen befürchten, dass die Zahl von 500.000 zu klein sei, um den individuellen Beitrag verschiedener Faktoren, die an komplexen multifaktoriellen Krankheiten beteiligt sind, aufzuspüren (Parliamentary Office of Science and Technology 2002). Andere gehen davon aus, dass die Krankenakten zu ungenau sind, um sie für die Forschung einzusetzen. Nach einer Untersuchung nehmen nur 50 Prozent der Menschen mit chronischen Erkrankungen die Medikation, die ihnen verschrieben wurde (Audit Commission zit. nach GeneWatch 2002). Die Kritik wird unter anderem mit der grundlegenden Skepsis gegenüber der Quantifizierbarkeit von Risiken begründet. Helen Wallace teilt die Skepsis.

Manche kritisieren, dass die gewählte Methode das Auseinanderhalten von genetischen und Umweltfaktoren erschwere, was einen großen Einfluss auf die Ergebnisse habe. Es überbetone den genetischen Einfluss von Krankheitsprozessen, wenn nur über sie harte Fakten gewonnen würden. Dies wird damit erklärt, dass bestehende Geschäftsmodelle eher Erkenntnisse kommerzialisieren, die auf Genetik basieren als solche, die auf Umwelt oder Lebensweise gründen wie Ernährung oder sportliche Aktivitäten. Medikamente für genetisch Empfängliche sind eher ökonomisch verwertbar als sportliche Maßnahmen (Parliamentary Office of Science and Technology 2002).

Diese Schieflage kann für den Sektor Public Health wichtige Konsequenzen haben, weil sie möglicherweise individualisierte und nicht bevölkerungsbezogene Ansätze bevorzugt.

Gibson (2002) kritisiert, dass die mit dem gewählten Verfahren gewonnenen Informationen über Krankheiten und phänotypische Ausprägungen zu ungenau seien. Der Wellcome Trust führt in seinem Bericht an den Ausschuss für Science and Technology aus, dass durch frühzeitige Gespräche mit Ärzten, medizinischem Personal und Entscheidungsträgern im Gesundheitsministerium, Schwierigkeiten identifiziert und Lösungsvorschläge entwickelt werden.

Die Soziologin Hilary Rose* macht darauf aufmerksam, dass Angaben zur ethnischen Herkunft mit Vorsicht behandelt werden sollten, weil sie nur eine Aussage darüber zuließen, wie die befragte Person ihre Herkunft wahrnimmt, aber nicht eine Aussage über ihre genetische Herkunft (Rose*). Im wissenschaftlichen Protokoll ist zu dieser Frage vermerkt, dass sowohl die Beantwortung des Fragebogens als auch genetische Marker berücksichtigt werden sollen (UK Biobank 2002: 24).

Außerdem weist sie auf das Problem der Erforschung psychischer Krankheiten hin, da die Kategorien weder stabil noch eindeutig seien. Manche Psychiater würden sich weigern, die Kategorie Schizophrenie anzuerkennen. Wie wolle man da, fragt Rose, Zusammenhänge von Schizophrenie mit genetischen Dispositionen feststellen.

Diskussion um Informed Consent

Nach Helen Wallace von GeneWatch wurde die Art des Informed Consent unter Soziologen und Ethikern kritisiert, weil es keine differenzierten Verfahren gebe (Wallace*). Die Nichtregierungsorganisation Human Genetic Alert kritisiert insbesondere, dass die Teilnehmer Forschung durch Industrie sowie Forschung im Bereich Verhaltensgenetik nicht ausschließen können (Human Genetic Alert 2002).

Einen ebenso breiten Informed Consent, wie in Großbritannien vorgesehen, gibt es in Estland und Lettland. In Kanada dagegen gibt es verschiedene Stufen der Zustimmung, und in Schweden und Singapur muss Informed Consent für jedes einzelne Projekt neu eingeholt werden (Maschke 2005).

Der Entwurf des Informed Consent, der getestet und durch den Ethikrat der Biobank und das Ethikkomitee des Medical Research Council überprüft wurde, wird nach Tim Peakman von der Biobank kaum verändert werden. Bei einem Probelauf wurde festgestellt, so Steve Walker von der UK Biobank, dass es zwei Gruppen von Teilnehmern gibt: Die einen unterschreiben alles, die anderen stellen Fragen.

Tim Peakman*, stellvertretender Geschäftsführer der UK Biobank, und Alan Doyle*, Manager des Wissenschaftsprogramms vom Wellcome Trust, lehnen Bezeichnungen wie "Carte blanche" oder "breit" als unpassend und zu emotional ab. [ 49 ] Die informierte Zustimmung spezifiziert mögliche Tests in der Zukunft nicht, da zukünftige Forschungsvorhaben jetzt nicht vorhersehbar seien. Außerdem würden durch das Projekt ethische Standards gesetzt; die Teilnehmer hätten das Recht, die Zustimmung zu widerrufen. Alan Doyle setzt darauf, genügend Menschen zu gewinnen, die das Konzept mittragen und keine Differenzierung wünschen.



Eine nicht unwichtige Frage ist, wie viel Zeit für die mündliche Erklärung und Diskussion des Informed Consent eingeräumt wird. Nach dem Ethics and Governance Council sollte die Zeit dafür 20 Minuten betragen. Es ist nicht sicher, ob diese Empfehlung umgesetzt wird, denn die Kliniken möchten diese Zeit verkürzen (Walker*).

Eine andere Frage ist, welches Vorwissen die Teilnehmer über das Projekt mitbringen, das heißt, wie sie vorher informiert wurden. Die leicht zugänglichen Informationen vermitteln wahrscheinlich den Teilnehmern das Gefühl, an einem sehr wichtigen Projekt teilzunehmen. Sie erhalten keine Informationen, bei denen kritische Fragen über das Vorhaben gestellt werden, sind also nicht umfassend informiert.

Richard Nicholson*, Herausgeber des Bulletin of Medical Ethics, weist auf das Problem hin, dass Teilnehmer im Laufe der nächsten Jahrzehnte dement werden können. Dies wurde auch auf einem Workshop von People Science & Policy thematisiert. Diskussionsteilnehmer waren dafür, dass die Daten auch nach dem Tod und bei Demenz weiter verwendet werden sollen unter dem Vorbehalt des Widerspruchs. Im Prinzip sollte aber der Wille des Teilnehmers, den er im einwilligungsfähigen Zustand geäußert hat, weiter gelten. Im Entwurf des wissenschaftlichen Protokolls ist für den Informed Consent vorgesehen, dass die Zustimmung auch die Weiterverfolgung (follow up) im nicht einwilligungsfähigen Zustand ermöglicht (UK Biobank 2002). Auch nach dem Tod des Betroffenen soll die Zustimmung zur Nutzung der Daten nicht durch Verwandte zurückgezogen werden können, da er das ihm zustehende Recht des Widerrufs nicht wahrgenommen hat. Es sollen aber noch Möglichkeiten entwickelt werden, in denen Teilnehmer im Voraus ihren Widerruf für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit oder ihres Todes erklären können (UK Biobank 2003a).

Die UK Biobank arbeitet derzeit an einem Konzept, wie der Widerruf der Zustimmung so umgesetzt werden kann, dass die Proben entweder anonymisierbar sind oder zerstört werden. Das heißt aber auch, dass es schwierig ist, tatsächlich die Spuren zu löschen, weil dann die Daten auf jedem Band gelöscht werden müssten. Nach dem Vorschlag des Ethikrats genügt eine Verpflichtung, die besagt, dass bei der Verwendung eines Bandes die Daten von denjenigen, die ihre Einwilligung zurückgezogen haben, gelöscht werden. Dies würde den Aufbau einer Datenbank mit den Namen derer voraussetzen, die ihre Zustimmung widerrufen haben.

Im Übrigen hält Rose Fragen in Bezug auf Informed Consent nicht für zentral. Williams problematisiert das Thema Forschungsförderung und den Stellenwert von Biobanken in diesem Kontext. Private Träger würden nicht hohe Summen in Projekte mit ungewissem Ausgang stecken. Umso entscheidender ist die Frage, welchen Nutzen Public Health aus diesen Projekten zieht (Williams 2005). Auch Wallace problematisiert die Prioritätensetzung im Gesundheitswesen. Sie verbindet ihre Feststellung, dass die Biobank hypothesenfreie Forschung befördere, mit der Frage, ob hypothesenfreie Forschung wirklich gute Forschung sei.

Ruth Chadwick plädiert für ein neues ethisches Paradigma, das erst noch gefunden werden muss. Das alleinige Vertrauen auf die individuelle Wahl reiche nicht mehr aus, auch wenn heutzutage nach soziologischen Erkenntnissen Menschen immer individualistischer denken. Informed Consent beruhe auf der Autonomie des Individuums: nicht bevormundende Beratung, Populations-Screening nur in Verbindung mit aktiven Maßnahmen für positiv Getestete, Recht auf Wissen wie auch Recht auf Nicht-Wissen, DNA-Spenden nur bei Informed Consent. Die große Problematik des Informed Consent liege in der Unvorhersehbarkeit: Welche Verwendung meiner DNA-Probe zu welchem Zweck in der Zukunft kann heute formuliert werden, um einwilligen zu können oder nicht? (Chadwick 2003)

Der gesellschaftliche und politische Diskurs

Einen nennenswerten gesellschaftlichen Diskurs hat es zu Beginn des Projektes nicht gegeben (Kaye/Martin zit. nach Palsson/Rabinow 2005). Der Biochemiker und Labour-Abgeordnete Ian Gibson* berichtet, dass die Regierung das Thema vor das Parlament gebracht hat. Der Ausschuss für Wissenschaft und Technologie (House of Commons Science and Technology Committee), dessen Vorsitzender er zur damaligen Zeit war, hat sich 2002 damit befasst und einen Bericht verfasst. Ebenso hat der Ausschuss des House of Lords eine Anhörung zu diesem Thema veranstaltet. Gibson war mit dem Thema in den Medien, auch im Fernsehen, für eine kurze Zeit präsent (Vogel*). Es hat aber keinen Widerhall gegeben (Gibson*). Eine der wenigen Ausnahmen war ein Artikel auf der Titelseite des Observers, in dem im Jahr 2001 problematisiert wurde, die Daten könnten in die Hände von Versicherungen, Polizei oder Arbeitgebern gelangen, und die Biobank könne ein Schritt in Richtung Privatisierung der DNS sein (Petersen 2005). Auch Helen Wallace von GeneWatch spricht davon, dass das Projekt in Zeitungen kommentiert wurde, allerdings den Menschen kaum bekannt ist (Wallace*).

Der Ausschuss für Wissenschaft und Technologie empfahl den Geldgebern, die breitere Öffentlichkeit einzubeziehen, um das Projekt nicht zu gefährden. Gibson* kritisiert, die Öffentlichkeit sei bislang nicht beteiligt worden. Gleichwohl gehe es nicht um das Einholen einer öffentlichen Zustimmung, da die Öffentlichkeit nicht immer Recht habe. Generell sei eine Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit angesichts dieses komplexen Themas schwierig. Auch Richard Nicholson* kritisiert, dass eine Beteiligung an der Diskussion nur für hoch spezialisierte Menschen möglich sei, und schlägt vor, Veranstaltungen vor Ort durchzuführen, damit mehr Menschen beteiligt werden.

In einer Rede vor dem House of Commons transportierte Gibson Kritik aus dem wissenschaftlichen in den öffentlichen Raum. Er bemängelte, dass nicht auch Alterklassen unter 45 Jahren vorgesehen seien. Ältere Personen würden zwar mit höherer Wahrscheinlichkeit als jüngere schwere oder chronische Krankheiten bekommen, jedoch sei jeder Mensch das Produkt einer komplizierten Interaktion zwischen genetischem Make-up und Umweltfaktoren. Im Interview bezeichnet er das Projekt als zu simplifizierend.

Gibson findet es merkwürdig, wenn 50-Jährige gefragt würden, was sie in ihrer Kindheit als Abendessen bekamen oder ob ihre Mütter übergewichtig waren. Man solle nicht davon ausgehen, dass die Krankenakten vollständig und verlässlich sind. Wichtige Informationen wie Infektionen in der Kindheit könnten fehlen.

Fast zwei Drittel der Männer und fast die Hälfte der Frauen in England seien übergewichtig. Dies liege offensichtlich nicht an Genen für Übergewichtigkeit, sondern an ungesunder Ernährung und fehlender sportlicher Betätigung. Derzeit gehe die Regierung diese Probleme an. Werde aber das Schwergewicht auf Suszeptibilitätsgene gelegt, könnten die tiefer liegenden Gründe ignoriert und eher Anti-Cholesterin-Tabletten an genetisch Suszeptible verkauft werden.

Das Alter der Kohorte und die Schwankungen in der Qualität der Führung von Krankenakten bedeuten nach Gibson, dass die Umwelt- und medizinischen Daten im Verhältnis zu genetischen eher unzuverlässig sind (Gibson 2002).

Umweltgruppen haben laut Helen Wallace bemängelt, dass Daten über Umweltexposition nicht erhoben werden. Außerdem haben sich unter anderem folgende Organisationen kritisch zu verschiedenen Aspekten geäußert: Human Genetics Alert, Consumer′s Association, GeneWatch (Parliamentary Office of Science and Technology 2002). GeneWatch hat für die Parlamentarier Argumente über die UK Biobank aufbereitet (GeneWatch 2002).

Der Ausschuss für Technologie hat sich in seiner Stellungnahme zur Beteiligung des Medical Research Council an der UK Biobank mehrfach positiv auf GeneWatch bezogen. So greift er die Kritik von GeneWatch auf, dass das Projekt nicht dem sonst üblichen Peer Review-Verfahren unterzogen wurde. Man habe den Eindruck, dass es den Geldgebern darum gehe, ein politisch motiviertes Projekt zu fördern (House of Commons Science and Technology Committee 2003). [ 50 ]

Ebenso kritisiert Williams (2005), dass es keine Peer Reviews gegeben habe. Ian Gibson* und Helen Wallace* von GeneWatch beanstanden gleichermaßen, dass vor der Entscheidung nicht grundsätzlich danach gefragt wurde, ob das Projekt wissenschaftlich sinnvoll sei. Wallace* nennt die Entscheidung politisch, weil Fachleute wie etwa Genetische Epidemiologen in den ihrer Ansicht nach problematischen Entscheidungsprozess nicht einbezogen worden seien. Der Entschluss gründe auf einer Zukunftsvision, die man Francis Collins-Vision nennen könnte. [ 51 ] Nach der grundsätzlichen Entscheidung für das Projekt, sei es nun offensichtlich für die Geldgeber schwierig, ihre Haltung zu ändern oder gar das Projekt fallen zu lassen.

GeneWatch rät dazu, dass sich derjenige, der sich für eine Teilnahme interessiert, fünf Fragen stellt, bevor er einer Teilnahme zustimmt: die Frage nach der Art der Forschung, die mit seiner Probe durchgeführt wird; welche Vorteile und Gefahren in dieser Forschung liegen; ob die Probe für eine Forschung verwendet werden kann, mit der der Teilnehmer nicht einverstanden wäre; ob Gene des Betroffenen patentiert werden können und ob er darüber informiert wird; und ob es möglich ist, seine Meinung zu ändern (People Science & Policy 2002)

In Großbritannien hat es anders als in Island oder Schweden trotz dieser kritischen Stimmen bisher keinen Konflikt gegeben. Dies kann nach Hilary Rose* damit zusammenhängen, dass bisher noch nicht wirklich etwas passiert sei. Die Beteiligten haben sich jedoch auch große Mühe gegeben, sowohl mit Stakeholders als auch mit der breiten Öffentlichkeit den Konsens zu erhalten. Möglicherweise würde sich dies ändern, wenn Informationen, die über die der Teilnehmer gewonnen und gesammelt wurden, verkauft würden (Rose*).

UK Biobank, Wellcome Trust und Medical Research Council informieren auf ihren Websites die interessierte Öffentlichkeit.

So sind zum Beispiel abrufbar [ 52 ]:

  • Public Perception of the Collection of Human Biological Samples. Report by Cragg Ross Dawson, October 2000, London
  • Biobank UK: A Question of Trust. A consultation exploring and addressing questions of public trust. A report by People Science & Policy Ltd, March 2002
  • The UK Biobank Ethics Consultation Workshop, 25 April 2002
  • UK Biobank Consultation with Industry. Workshop held on 4 April 2003 at ABPI head office, 12 Whitehall, London
  • UK Biobank Consultation on the Ethics and Governance Framework. A report by People Science & Policy Ltd, June 2003
  • UK Biobank Ethics and Governance Framework. Version 1.0, 24 Sep 2003
  • Protocol for the UK Biobank, 14 February 2002 (Entwurf des wissenschaftlichen Protokolls

Es ist also prinzipiell möglich, sich ein umfassendes Bild vom Vorhaben, den möglichen Risiken, Problemen und auch Kritikpunkten zu verschaffen. Gleichwohl sind diese Informationen nicht ohne Aufwand zu erlangen.

Wesentlich einfacher finden sich Hinweise auf die Wichtigkeit des Projektes: "Das Ziel der UK Biobank ist es, eine bedeutende Ressource aufzubauen, um sehr unterschiedliche Forschungsvorhaben zu unterstützen, die die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheit verbessern und die Gesundheit in der ganzen Gesellschaft fördern." [ 53 ]

Die "Kombination von Informationen der Teilnehmer wird eine leistungsstarke Ressource für biomedizinische Forscher darstellen. Diese wird sie in die Lage versetzen, unser Verständnis der Biologie von Krankheiten zu verbessern und verbesserte Diagnoseverfahren zu entwickeln sowie Präventionsstrategien und maßgeschneiderte Behandlungen für Krankheiten, die im späteren Leben auftreten." [ 54 ]

In einer Broschüre für die Teilnehmer des zweiten Pilotprojektes heißt es: Die UK Biobank "wird weltweit die größte ihrer Art sein und sehr unterschiedliche gesundheitsbezogene Forschung unterstützen. Das langfristige Ziel ist es, die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheit zu verbessern und die Gesundheit in der ganzen Gesellschaft zu fördern." [ 55 ]

In einer Rede vor dem Parliamentary and Scientific Committee des House of Commons im April 2003 führte der damalige Geschäftsführer John Newton der UK Biobank aus: "Das Design der UK Biobank liefert ein leistungsstarkes Mittel, um die tatsächlichen Ursachen von Krankheiten zu identifizieren und zu zeigen, wie sie miteinander agieren. Die UK Biobank, wird es ermöglichen das Krankheitsrisiko in Populationen vorherzusagen. Wenn man Unterschiede im Risiko bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen kennt, so kann das helfen, den Umfang der Prävention zu bestimmen. Informationen aus der UK Biobank werden dabei helfen, wichtige Untergruppen von Krankheiten zu bestimmen und die Spezifität und Wirksamkeit aller Arten von Behandlung zu verbessern, nicht nur über Medikamente, sondern auch über soziale und emotionale Zuwendung." [ 56 ]

"In den nächsten 20 bis 30 Jahren wird die UK Biobank es allseits anerkannten Forschern ermöglichen, diese Ressourcen zu nutzen, um den Verlauf von Krankheiten wie Krebs, Herzkrankheiten, Diabetes und Alzheimer zu studieren. Dadurch sollen neue und bessere Wege der Prävention, der Diagnose und der Behandlung solcher Probleme entwickelt werden." [ 57 ]

Alan Doyle* vom Wellcome Trust sagt, in der Anfangsphase sei es eher ein Projekt von Medizinern gewesen, und das Vorgehen aristokratisch. Mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft seien nicht beachtet worden.

Inzwischen haben die Geldgeber auf verschiedene Weise Menschen und Organisationen befragt, darunter Personen mit Behinderungen oder Krankheiten sowie Vertreter religiöser Gemeinschaften. Außerdem gab es mehrere Fokus-gruppen. Die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens sind über die Website abrufbar.

Helen Wallace* von GeneWatch merkt an, dass es zwar in der letzten Zeit Beteiligungsverfahren gegeben habe, diese würden aber die grundsätzlichen Fragen aussparen. Die Konsultationen seien darauf reduziert, das Projekt für die Öffentlichkeit akzeptabel zu machen. Grundsätzliche Fragen, zum Beispiel ob das Projekt überhaupt finanziert werden solle, würden ebenso ausgeklammert wie die Frage nach dem Design oder die Patentfrage. Nach Information von Alan Doyle*, Wellcome Trust, haben die Beteiligungsverfahren auch dazu beigetragen, Verfahren zu ändern. So sei erst im Rahmen der Beteiligung die Idee entstanden, einen unabhängigen Ethikrat einzurichten, der die Interessen der Patienten im Auge haben soll. Gruppen wie GeneWatch oder Genetic Alert sagten wichtige Dinge; jedoch sei es nicht einfach, mit ihnen zu diskutieren.

Zudem ist Alan Doyle vom Wellcome Trust der Meinung, eine Information der breiten Öffentlichkeit sei erst dann erwünscht, wenn die Rekrutierungsphase beginnt.

4.2.8. Kosten und langfristiger Finanzierungsbedarf - erwartete Finanzierungsquellen

Bisher ist nur grundsätzlich geklärt, dass die unterschiedlichen Geldgeber Geld in Höhe von 61,5 Millionen Pfund bereitstellen (UK Biobank 2004). Die endgültige Entscheidung über die Finanzierung ist von einem erfolgreichen Peer Review-Verfahren abhängig. Dabei hat eine Peer Review-Gruppe, die von den Geldgebern eingesetzt wird, zu prüfen, ob das Projekt wissenschaftlich in Ordnung ist und finanziell im Rahmen bleibt.

Das Geld, das bisher bereitgestellt wurde, wird nur für die Sammlungsphase ausreichen, und auch nur dann, wenn die Rekrutierungsphase erfolgreich verläuft, das heißt insbesondere bei ausreichender Rekrutierungsquote. Es kann derzeit nicht abgeschätzt werden, wie hoch die Kosten der Rekrutierung sind. Sie hängen von der Zahl der Menschen ab, die auf die Einladung antworten und von den Infrastrukturkosten des Briefversandes und der Call Centers (Peakman*). [ 58 ]

Es ist noch nicht entschieden, wie die Biobank nach der Rekrutierungsphase, die in 3,5 bis 4 Jahren abgeschlossen ist, finanziert werden soll. Man muss davon ausgehen, dass auch danach die Biobank nicht sofort genutzt werden kann, sondern dass man noch weitere Jahre warten muss, bis statistisch genügend Krankheitsfälle aufgetreten sind. Im Mittelpunkt stehe, so Tim Peakman* von der UK Biobank, die Struktur aufzubauen und die Proben zu sammeln. Dies sei derzeit wichtiger als Geschäftspläne aufzustellen. Peakman: "Die Geldgeber erwarten von uns, dass das Projekt funktioniert. Und das müssen wir machen". Der Wellcome Trust wird auch nach Beendigung der Aufbauphase die Finanzierung nicht sofort einstellen. Man habe schließlich viel Geld investiert, so Alan Doyle. [ 59 ] Die Geldgeber gehen davon aus, dass die UK Biobank wegen der Weiterfinanzierung auch bei anderen Stiftungen nachfragen wird, bei der Europäischen Union oder beim Nationalen Gesundheitsinstitut (NIH) der USA. Derzeit gehe es den Geldgebern, so Doyle, vor allem um die Rekrutierung und Sammlung der Proben.

Nach Alan Doyle vom Wellcome Trust erwarten die Financiers nicht, dass sich das Projekt in Zukunft selbst trägt. Wenn 25 Prozent der Investitionen über Gebühren für die Nutzung der Daten erwirtschaftet werden könnten, dann sei das gut. Die Information auf der Website der UK Biobank, in der es heißt, dass sich das Projekt nach sieben Jahren voraussichtlich selbst finanziert, ist demnach falsch.

Tara Camm* vom Wellcome Trust meint, das Projekt sei gemeinnützig, deshalb solle die Datenbank eher von dem Gedanken der Gesundheitsförderung als vom Imperativ des Geldes geprägt sein, wobei sich beides nicht ausschließen müsse. [ 60 ]

Einnahmen sollen durch Gebühren erzielt werden, die die Nutzer der Biobank zahlen werden. Die Gebühren sollen nicht abschreckend wirken. Forscher werden wahrscheinlich wenig mehr als die Selbstkosten bezahlen müssen. Peakman* weist darauf hin, dass Forscher, die für Forschungsvorhaben Daten aus der UK Biobank nutzen wollen, die Gebühren für die Beschaffung der Daten bei der Kalkulation des Forschungsantrages mit einkalkulieren müssen. Genetische Epidemiologen befürchten, dass in Zukunft bevorzugt Projekte gefördert werden, bei denen Informationen aus der Datenbank genutzt werden und so eine gewisse Steuerung stattfindet (Wallace*).

Bei Anfragen von Firmen sollte dagegen der Wert berücksichtigt werden, der durch die Nutzung der Biobank erzielt werden könne. Schließlich sei es möglich, dass am Ende ein Produkt stehe, mit dem viel Geld verdient wird. Firmen sollen dementsprechend mehr bezahlen.

Es soll im Prinzip weder eine Beschränkung für den Zugang geben noch einen privilegierten oder ausschließlichen Zugang. [ 61 ] In einem Bericht an das Select Committee on Science and Technology des House of Lords (2000) hatte der Wellcome Trust die Beteiligung von Firmen in Aussicht gestellt. Zurzeit kann nicht abgesehen werden, ob zu einem späteren Zeitpunkt Firmen an der UK Biobank beteiligt werden, wobei fraglich sei, ob diese ein Interesse haben, da der Zugang nicht beschränkt werden solle (Doyle*).

Hilary Rose weist darauf hin, dass die Auseinandersetzung in Island im Wesentlichen zwischen der traditionellen Forschung und der neuen globalisierten Forschung ausgetragen wurde. Der Streit kreiste um die Frage, wem die Proben gehörten. Etwas Ähnliches sei auch für Großbritannien möglich. Außerdem würden Forscher befürchten, weniger Zugang zu Probanden zu haben, wenn sie sich für die UK Biobank engagieren (Rose*).

Zu Beginn des Projektes gab es Kritik aus der Wissenschaft, andere Forschung könne nicht finanziert werden, weil der Medizinische Forschungsrat Geld in die Biobank investiere. Auch im Bericht des House of Commons wird die Befürchtung geäußert, der Medizinische Forschungsrat MRC habe andere Projekte zugunsten der Biobank zurückgestellt (vgl. McDowell 2002). Dieser Vorwurf hat sich allerdings als nicht haltbar erwiesen (Rose*).

Die UK Biobank Limited wird die Datenbank und die Probensammlung besitzen, kann also auch Proben verkaufen, hat dies allerdings nicht vor. Sie wird eher als Verwalterin der Ressource agieren, d.h. sie in Übereinstimmung mit der Zweckbestimmung erhalten und für das Gemeinwohl ausbauen (UK Biobank 2003a). [ 62 ]

Noch ungeklärt ist die Frage, wem die Daten und Proben gehören werden, falls die UK Biobank finanziell nicht lebensfähig ist. Im Ethics and Governance Framework wird angekündigt, dass eine Strategie ausgearbeitet werden soll, damit sichergestellt wird, dass die Rechte der Teilnehmer geschützt werden.

Es wird an anderer Stelle herausgestellt, dass die UK Biobank nicht als solche zu patentierbaren Entdeckungen führen wird, die entweder dem Forscher oder der UK Biobank ein nennenswertes Einkommen einbringt, vielmehr soll sie eine "wertvolle gemeinsame Forschungsressource" [ 63 ] sein (ebd.). Gleichwohl sei nicht auszuschließen, dass eine Entdeckung mittelfristig Profit abwirft. Es soll Richtlinien über den Umgang mit Patenten geben, die Missbrauch ausschließen. Die Patentierung, so Wallace*, sei ein sehr umstrittenes Thema.

Im Entwurf des Ethical Framework wird darauf hingewiesen, dass Biotechnologie und Pharmafirmen eine wichtige Rolle dabei spielen könnten, indem sie durch die Entwicklung von Produkten Erkenntnisse praktisch nutzbar machen. Deshalb sollen sie Zugang zur UK Biobank erhalten.

4.2.9. Ausblick

Zum jetzigen Zeitpunkt können keine sicheren Prognosen über die Zukunft der UK Biobank gegeben werden. Wie erfolgreich dieses Konzept sein kann, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Es kann vermutet werden, dass der Peer Review-Prozess im Jahr 2006 mit einem positiven Ergebnis endet und dass dann die Rekrutierung der Teilnehmer beginnen kann.

Der Erfolg der Rekrutierungsphase hängt von der Rekrutierungsquote ab. Je weniger Menschen mitmachen, umso länger und teurer wird der Prozess. Die Quote wiederum ist von verschiedenen Faktoren abhängig.

Es ist vorstellbar, dass die Rekrutierungsbereitschaft unabhängig von der öffentlichen Diskussion eher gering ist: weil die Teilnahme den Menschen zu zeitaufwändig ist, weil sie sich nicht gerne Blut abnehmen lassen oder auch weil sie zwar im Prinzip mitmachen würden, ihnen aber die Zustimmung zu weit geht. People Science & Policy Ltd weist darauf hin, dass es auf ihren Workshops von den Teilnehmern kaum verstanden wurde, "wie die Daten genutzt werden können, um Verbindungen zwischen Genen, Krankheiten und Lebensstil zu identifizieren" (People Science & Policy 2002). [ 64 ] Dadurch könne das Rekrutierungsverhalten beeinflusst werden. Auch könne die Tatsache, dass die Teilnehmer keine individuelle Rückmeldung bekommen und keinen persönlichen Nutzen aus der Teilnahme ziehen können, Menschen davon abhalten, an dem Projekt teilzunehmen. [ 65 ] Die Rekrutierungsbereitschaft wird auch von den beteiligten Ärzten abhängen. Unter den Ärzten gibt es nach Helen Wallace eine gewisse Skepsis gegenüber der genetischen Revolution.

Es ist auch möglich, dass es zu einer öffentlichen Debatte kommt, die tatsächlich weite Teile der Gesellschaft und nicht nur Experten und besonders Interessierte erreicht. Helen Wallace schließt nicht aus, dass genetische Epidemiologen, die massive Kritik an dem Projekt hätten, sich öffentlich äußern werden.

Nach Petersen (2005) ist in Großbritannien ein generelles Misstrauen gegenüber medizinischer Forschung festzustellen, insbesondere hervorgerufen durch Skandale wie die am Alder Hey-Krankenhaus in Liverpool, wo Organe von 170 toten Kindern ohne die Zustimmung der Eltern aufbewahrt wurden, am Bristol Royal Infirmary, wo 29 Babies Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre nach Herzoperationen starben, oder wie der Fall von Dr. Shipman, der mindestens 15 ältere Frauen ermordet hatte. Es werde vermehrt die Frage gestellt, ob man Wissenschaftlern trauen könne.

Außerdem ist es vorstellbar, dass es eine kontroverse Auseinandersetzung über Sinn bzw. Unsinn der UK Biobank geben wird. Dies kann einen negativen Effekt auf die Rekrutierung haben, entweder kurz- oder mittelfristig. Da die Rekrutierungsphase mehrere Jahre dauert, kann die Rekrutierungsbereitschaft auch wieder zunehmen. Es ist allerdings ebenso möglich, dass Teilnehmer ihre Bereitschaft wieder zurückziehen. Dies kann von verschiedenen Umständen abhängen.

Der Erfolg der Biobank hängt nicht von finanzkräftigen Kunden ab. Allerdings wird sich zeigen müssen, dass sie genutzt wird, dass es also Anfragen gibt. Unklar bleibt aber, woher die Forscher kommen, die ab einem Zeitraum von ca. zehn Jahren Interesse daran haben, die Biobank zu nutzen und für welche Art von Untersuchung: Kohortenstudien oder eingebettete Fall-Kontroll-Studien. In einer ähnlichen Richtung äußert sich Helen Wallace. Sie vermutet im Übrigen, dass die Biobank eher für die Entwicklung von Gentests als von Medikamenten genutzt wird.

Spezifische Aspekte von Großbritannien

Das Vorgehen der UK Biobank und der Geldgeber, insbesondere des Wellcome Trust und des Medical Research Council, unterscheidet sich sehr grundsätzlich von dem von deCode. Es entsteht der Eindruck, als wollten die Akteure in Großbritannien auf keinen Fall so vorgehen wie in Island (Petersen 2005). Es gibt eine auffällige Langsamkeit. Obwohl es seit 2000 in der Pipeline ist, ist immer noch nicht endgültig entschieden, ob es das Projekt geben wird. Das wirkt wie eine ′Pragmatik der Langsamkeit′, mit der Fehler vermieden werden sollen.

Die Betreiber und die wesentlichen Geldgeber informieren im Prinzip umfassend. Das heißt, es sind Informationen über Partizipationsverfahren, das wissenschaftliche Protokoll sowie die Peer Reviews im Internet. Wer wollte, konnte den ersten Entwurf des Ethics and Governance Framework kommentieren. Diese Form der Partizipation setzt allerdings ein Expertenwissen voraus.

Die breite Öffentlichkeit hatte bisher nur vereinzelt die Gelegenheit, davon zu erfahren, dass die UK Biobank geplant ist, welche Ideen dahinter stecken und welche Kritik, auch grundsätzliche Kritik, es an diesem Projekt gibt.

Allerdings hat der Diskurs das Parlament erreicht, auch, indem Nichtregierungsorganisationen wie GeneWatch und Genetic Alert verschiedene, auch naturwissenschaftliche Fragestellungen ins Parlament transportiert haben. GeneWatch hat die Informationen für Parlamentarier aufbereitet.

Das Parliamentary Office of Science and Technology (POST) verweist auf die Argumente der Nichtregierungsorganisationen. Der Abgeordnete und Biochemiker Dr. Ian Gibson, Biochemiker, fasste in einer Rede vor dem House of Commons die wesentlichen naturwissenschaftlichen Argumente gegen das Projekt der UK Biobank zusammen. Außerdem hat er gemeinsam mit GeneWatch und der Verbraucherorganisation Consumer′s Association eine Pressemitteilung verfasst.

Der Bericht des Select Committee for Science and Technology bezieht sich an mehreren Stellen positiv auf Forderungen von GeneWatch und unterstützt zum Beispiel ausdrücklich deren Forderung nach Veröffentlichung der Peer Reviews (House of Commons Science and Technology Committee 2003).

Die rechtliche Situation unterscheidet sich zwischen Großbritannien und Island. Eine rechtliche Regelung der Nutzung der Biobank wird kaum diskutiert und es gibt nach unserer Kenntnis keine konkreten Bestrebungen, ein Gendiagnostikgesetz einzuführen. Wenn auf rechtliche Regelungen verwiesen wird, dann ist es das geltende Datenschutzgesetz.

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