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Biobanken - Konzepte und Umsetzung, Teil 5

Katrin Grüber und Rainer Hohlfeld, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, November 2005

5. Das wissenschaftliche Paradigma von Biobanken

5.1. Genetische Epidemiologie

5.1.1. Beschreibung des Konzeptes der genetischen Epidemiologie

Genetische Epidemiologie ist eine Weiterentwicklung der klassischen Epidemiologie, in der Methoden der Epidemiologie mit denen der Genetik verbunden werden. Im Fokus des Interesses steht der Einfluss von genetischen und nicht genetischen Determinanten auf Krankheiten und Eigenschaften, wobei insbesondere untersucht werden soll, welchen Anteil die jeweiligen Faktoren an der Krankheit haben.

Goldgar (2005) definiert Genetische Epidemiologie folgendermaßen:

"Genetische Epidemiologie (…) verbindet die Aspekte von Statistik, Populationsgenetik, klassischer Epidemiologie und Humangenetik. Das Hauptziel der genetischen Epidemiologie ist es, die Rollen von spezifischen Genen, spezifischen Umweltfaktoren und Interaktionen zwischen Genen und Umwelt bei der Festlegung von bestimmten Merkmalen zu verstehen. Das Merkmal kann binär sein, wie etwa bei einer bestimmten Krankheit (Hypercholesterinämie, Brustkrebs) oder es ist quantitativ, wie zum Beispiel bei Merkmalen wie Cholesteringehalt im Blut oder Größe. Ziel sei es, die Ätiologie komplexer Merkmale durch die Untersuchung der Expression bestimmter Gene in verschiedenen Umweltkontexten zu verstehen." [ 66 ]

Epidemiologie befasst sich nach der WHO-Definition mit der Untersuchung der Verteilung von Krankheiten, physiologischen Variablen und sozialen Krankheitsfolgen in menschlichen Bevölkerungsgruppen sowie mit den Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen. Die analytische Epidemiologie leistet einen Beitrag zur Ursachenforschung einer bestimmten Krankheit. Maßnahmen der Epidemiologie beziehen sich eher auf die Ebene der Bevölkerung und nicht des Individuums Epidemiologie und setzen eher bei der Prävention als der Therapie an. (Infektionsnetz). [ 67 ]

Lindpaintner (2003) beschreibt in einem guten Übersichtsartikel die verschiedenen Vorgehensweisen der Genetischen Epidemiologie und fragt nach ihrer Anwendung für Biobanken. So kann insbesondere zwischen dem analytischen und dem epidemiologischen Ansatz unterschieden werden sowie danach, ob es eine Ausgangshypothese gibt oder nicht.

Genetische Epidemiologie [ 68 ]:

Analytischer Ansatz

  • Kopplungsanalysen und -studien: das Genom überspannende Studien, meist Geschwisterpaaranalysen - für Biobanken, bis auf Länder wie Island mit genealogischen Datenbanken wahrscheinlich keine Bedeutung
  • Assoziationsanalysen und -studien (Fall-Kontroll-Studien): vergleichen die Häufigkeit des Auftretens einer oder mehrerer Genvarianten in Erkrankten und Nichterkrankten - für Biobanken eingesetzt

Epidemiologischer Ansatz

  • Prospektive Studien: Teilnehmer sind anfänglich gesund, wie zum Beispiel insbesondere bei der UK UK Biobank
  • Retrospektive Studien: Rekrutierung bereits erkrankter Menschen (krankheitsspezifische Studien)

Hypothesestellung

  • Das Genom überspannende Studien: Ausgangspunkt ist Analyse ohne Hypothese sämtlicher bzw. eines Teil der SNP [ 69 ] des Genoms und Vergleich mit Allel-Häufigkeit in Fällen und Kontrollen.
  • Kandidaten-Gen-Studien: Ausgangspunkt ist bereits vorhandenes biologisches und epidemiologisches Wissen über beteiligte Gene bzw. Kandidatengene. Es wird dann überprüft, ob es Assoziationen zwischen Genen bzw. Genvarianten und dem Auftreten von Krankheiten gibt. (Dies wird voraussichtlich die vorherrschende Anwendung von Biobanken sein).

5.1.2. Diskussion über das Konzept der genetischen Epidemiologie

Von September bis Ende Oktober 2005 wurden im Rahmen einer Serie über genetische Epidemiologie in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet sieben Beiträge veröffentlicht, in denen der aktuelle Stand und die aktuelle Diskussion über Methoden, Anwendungsgebiete, Ergebnisse und Zukunftsaussichten dargestellt werden. Diese bilden eine wesentliche Grundlage für dieses Kapitel. Einige der Artikel (Burton et al. 2005; Smith et al. 2005) beziehen sich direkt, manche implizit auf das Konzept der UK Biobank. Es ist zu vermuten, dass die Serie insbesondere vor dem Hintergrund des geplanten Projektes entstanden ist, denn Paul Burton, der die Serie im Wesentlichen konzipiert hat und an zwei Beiträgen beteiligt ist, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der UK Biobank und in die Entwicklung des wissenschaftlichen Protokolls der UK Biobank involviert.

Verschiedene Autoren warnen davor, aus den Ergebnissen von Untersuchungen zu voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen. Bereits im Vorwort, unter der Überschrift "Genetic epidemiology: strength, weakness, and opportunities", weist der Mitherausgeber von Lancet, David Sharp, darauf hin, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms habe nicht automatisch zu Veränderungen am Krankenbett geführt. Manche zweifelten deshalb die Versprechungen in Bezug auf Erfolge an und seien wohl nur dann zu überzeugen, wenn es auch bei häufigen und komplexen Krankheiten wichtige Entdeckungen gebe. Bisher sei hier der Erfolg im Gegensatz zu den seltenen Erkrankungen eher spärlich (Sharp 2005). [ 70 ] Er begrüßt deshalb, dass in den Artikeln der Serie die Schwierigkeiten der genetischen Epidemiologie nicht unterschätzt würden.

Auch Willett (2002) zieht das Resumee einer enttäuschenden Bilanz der Ergebnisse von Studien, die individuellen Polymorphismus mit dem Auftreten von Krankheiten in Verbindung setzen. [ 71 ] Der Erfolg von Kopplungsanalysen bei der Identifikation wichtiger Gene für monogenetische Krankheiten habe sich bei komplexen Krankheiten bisher nicht eingestellt.

Francis Collins hatte dagegen die Vision, die Feststellung des individuellen genetischen Profils könne effektiv zur Prävention von Krankheiten beitragen. In einem Vortrag im Jahre 1999 (Shattuck Lecture) beschrieb er die Vision eines Patienten im Jahre 2010 und schrieb mehreren Genen hohe relevante relative Risiken für Krankheiten zu. In Nachfolgestudien konnten die Zahlen von Collins allerdings nicht bestätig werden. Nur wenige genetische Varianten vergrößern das Krankheitsrisiko wesentlich. Smith et al. (2005) haben die Zahlen aus der Vision von Francis Collins mit neueren Untersuchungen verglichen und festgestellt, dass in fast allen Fällen das Risiko deutlich geringer und deshalb kaum relevant ist. Das relative Risiko der Gene CETP und APOB für Herzerkrankungen sollte nach Collins 2,5 sein. Inzwischen wurden Studien mit mehr Teilnehmern gemacht, und für CETB wurde ein relatives Risiko von 0,94, für APOB von ca. 1,1 festgestellt. Collins hatte für NAT2 Gene ein relatives Verhältnis von 6 für Lungenkrebs angegeben, während es bei Nachfolgestudien mit mehr Teilnehmern mit ungefähr 1 angegeben wurde.

Auch in anderen Artikeln wird dargestellt, dass sehr häufig Untersuchungsergebnisse, in denen eine Abhängigkeit von genetischen Varianten und Krankheiten bzw. Eigenschaften festgestellt wird, nicht reproduziert werden können (Hattersley/McCarthy 2005; Palmer/Cardon 2005; Cordell/Clayton 2005; Smith et al. 2005; Willett 2002). Holtzman fand in 100 Artikeln über mögliche Zusammenhänge zwischen Schizophrenie bzw. dem bipolaren Syndrom und genetischen Varianten doppelt so häufig den Hinweis, dass es keinen Zusammenhang gibt, wie den Hinweis auf ein neues Kandidatengen ( Holtzman 2000).

Für die mangelnde Reproduzierbarkeit werden zahlreiche Gründe angegeben. Sie können biologische Ursachen haben oder am Studiendesign, an einer fehlerhaften Ausführung oder einer Überinterpretation liegen.

Dorak (2005) weist darauf hin, dass der Unterschied zwischen Mendelschen und komplexen Erkrankungen mehr als nur der Unterschied zwischen der eindeutigen oder weniger eindeutigen Art der Vererbung sei. Komplexe Krankheiten hingen von vielen bekannten oder nicht bekannten Umweltfaktoren ab: Das könnten Jahreszeiten sein, die Geburtenfolgen, ein unterschiedliches Alter zu Krankheitsbeginn sowie ein unterschiedlicher Krankheitsverlauf. Ein Problem besteht nach Burton et al. (2005) darin, dass häufige komplexe Krankheiten auf ihre monogenetische Form reduziert würden und es deshalb zu Fehlinterpretationen kommt. Nach Holtzman und Marteau (2000) ist eine genaue Vorhersage wegen der Komplexität der Genetik häufiger Krankheiten kaum möglich. Das Krankheitsrisiko sei abhängig von Allelen auf verschiedenen Genloci, die gemeinsam mit anderen Allelen aufträten, und beide hingen außerdem von bestimmten Umweltfaktoren und Verhaltensweisen ab. Auch könnten viele Kombinationen von prädisponierenden Allelen, Umweltfaktoren und Verhalten zum gleichen pathogenen Effekt führen. Nach Burton et al. (2005) führt die große ätiologische Heterogenität dazu, dass die gemessenen Prädiktorvariablen nicht mit dem tatsächlich verursachenden Agens assoziiert sein müssten. Es sei notwendig, die zugrunde liegende Biologie zu verstehen. Bereits 1991 plädierte der Epidemiologe Thompson dafür, in Bezug auf die Interpretation von Wechselwirkungen sehr vorsichtig zu sein. Man könne nicht sicher wissen, ob verschiedene Risikofaktoren für eine Krankheit antagonistisch oder synergistisch wirken. Er wolle nicht so verstanden werden, als solle man von der Epidemiologie Abstand nehmen, aber man solle die Grenzen der Disziplin anerkennen (Thompson 1991). [ 72 ] Sein Rat in Bezug auf die Epidemiologie kann auf die genetische Epidemiologie übertragen werden.

Burton et al. (2005) sehen nicht nur grundsätzliche, sondern auch methodische Probleme. So ist zu beachten, dass bei den eher geringen Effekten durch Genvarianten und den multidimensionalen, komplexen Phänotypen mit groben Messfehlern zu rechnen ist. Teare und Barrett (2005) erklären den fehlenden Erfolg von Kopplungsstudien für die Untersuchung komplexer Krankheiten vor allem damit, dass in den Studien zu wenige Personen untersucht werden. Dies führt nach Palmer und Cardon (2005) zu einer unzureichenden statistischen Stärke und deshalb zu einer mangelnden Reproduzierbarkeit. Insbesondere bei der Untersuchung relativer genetischer Risiken [ 73 ], die geringer als 2 seien, werde eine extrem hohe Probengröße benötigt (Teare und Barrett 2005). Nach Hattersley und McCarthy (2005) ist ein niedriges relatives Risiko der Regelfall, denn große genetische Effekte auf komplexe, häufige Krankheiten seien eher unwahrscheinlich. Die meisten genetischen Einflüsse auf Krebs und Herzerkrankungen hingen eher von Gensequenzen mit niedriger Penetranz ab und hätten ein relatives Risiko geringer als 2. Dieses Phänomen bezeichne man als Polymorphismus (Hattersley/McCarthy 2005).

Über eine zu geringe Anzahl der untersuchten Personen werden ungeeignete Kontrollgruppen gewählt und Unterschiede in der Alterszusammensetzung nicht berücksichtigt (Burton et al. 2005; Hattersley/McCarthy 2005). Außerdem wird das populationsspezifische Kopplungsungleichgewicht außer Acht gelassen (Palmer und Cardon 2005). Ein weiteres methodisches Problem liegt in der ungenauen Klassifikation von Krankheiten. Nach Teare und Barrett (2005) gilt dies insbesondere bei psychischen Erkrankungen. Nach Dorak gibt es aber auch Schwierigkeiten bei der genauen Diagnose quantitativer Eigenschaften, wie zum Beispiel Bluthochdruck. Hattersley und McCarthy (2005) weisen auf einen anderen Aspekt hin: Auch in gut geführten Labors gebe es Fehler beim Genotyping, was zu fehlerhaften Ergebnissen führen könne. [ 74 ]

Palmer und Cardon (2005) kommentieren die Darstellung von Ergebnissen aus Untersuchungen der genetischen Epidemiologie. Die genetische Revolution werde von einer unglücklichen Tendenz zur Übertreibung begleitet. Sie raten Genetikern, dazu keinen Beitrag zu leisten, sondern realistische Erwartungen zu kommunizieren. [ 75 ] Sie führen weiter aus, dass es notwendig sei, Epidemiologen an der Erforschung komplexer Krankheiten zu beteiligen, da viele Studien schlecht konzipiert seien und marginale Ergebnisse überinterpretiert würden. Nach Willett (2002) neigen manche Forscher dazu, nur positive Ergebnisse zu veröffentlichen.

5.1.3. Bezug auf das Konzept der UK Biobank und der isländischen Biobank

Die UK Biobank soll, gemäß ihrem wissenschaftlichen Konzept, insbesondere die Grundlage für prospektive Kohortenstudien bieten, d.h. den prospektiven Vergleich von Vergleichsgruppen liefern. Diese sind das entscheidende Argument dafür, dass 500.000 Briten untersucht werden sollen. Die Autoren der Lancet-Serie sind sich über die Bedeutung dieses methodischen Ansatzes uneinig (Burton et al. 2005). Während Smith et al. (2005) sie für ein wichtiges Instrument halten, sind Hattersley und McCarthy (2005) eher zurückhaltend. In Bezug auf frühe Stadien der Genentdeckung seien Kohortenstudien nicht effizient. Eine methodisch wichtige Frage sei die Entscheidung zwischen vielen weniger gut klassifizierten Fällen - mit der Begleiterscheinung von Fehlklassifikation und Heterogenität (Anm. der Autoren: so wie es bei den Kohortenstudien der Fall ist) - und phänotypischer Homogenität bei kleineren Probengrößen. Manche Fehler nähmen mit der Probengröße zu.

In einem Review verglichen Clayton und McKeigue (2001) Kohortenstudien und Fall-kontrollierte Studien als zwei wichtige methodische Ansätze der genetischen Epidemiologie, insbesondere vor dem Hintergrund der Planung der UK Biobank. Sie bezweifeln zum einen die Relevanz der Untersuchung von Gen-Umwelt-Interaktionen und schlagen stattdessen die Nutzung genetischer Assoziationen für die Überprüfung von Hypothesen über kausale Stoffwechselwege vor. Obwohl bereits zwei Jahrzehnte darüber debattiert werde, sei unklar, was eigentlich mit der Interaktion gemeint sei. Der Vorteil von Kohortenstudien gegenüber Fall-Kontroll-Studien sei weniger klar als angenommen. Im Gegenteil: Eine Fall-kontrollierte Studie ermögliche zum Beispiel eine genauere Differenzierung von Krankheiten und führe zu einer größeren statistischen Power. [ 76 ]

Die Kritik mehrerer Autoren an einer zu geringen Fallzahl in Untersuchungen kann als indirektes Plädoyer für den Ansatz der UK Biobank gewertet werden, da hier im Prinzip große Fallzahlen ermöglicht werden. Palmer und Cardon (2005) schlagen große longitudinale Studien vor, die in Biobanken durchgeführt werden können. Um zu aussagefähigen Ergebnissen zu kommen, müssen allerdings die Ausgangsdaten gut charakterisiert sein. Es ist die Frage, ob die UK Biobank diese Anforderung erfüllt.

In dem Beitrag von Smith et al. (2005), wobei zu den Autoren auch Paul Burton gehört, der Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der UK Biobank ist, wird die Notwendigkeit der UK Biobank folgendermaßen begründet: Nur bei der Erhebung einer Datenmenge von 500.000 Menschen gebe es anschließend genügend Krankheitsfälle, so dass Untersuchungen möglich seien. Prospektive Studien seien weniger anfällig für Verzerrungen als retrospektive. Die Kohortenstudien ermöglichten die Wiederholungen von Messungen nach mehreren Jahren. Die eingebetteten Fall-Kontroll-Studien böten die Möglichkeit, die gemeinsamen Effekte von Genen, prämorbiden Umwelteinflüssen und dem Lebensstil auf eine Krankheit zu untersuchen, indem die prospektiv gewonnenen Messungen der nicht genetischen Expositionen verwandt würden. Kohortenstudien ermöglichten aber auch expositionsbasierte Studien, indem das Gemeinsame nicht der Krankheitsstatus wie bei der Fall-Kontroll-Studie, sondern der Expositionsstatus sei. Das erlaube Rückschlüsse auf die Stoffwechselwege. Auch für die Mendel-Randomisierung (siehe unten) böten große Kohorten eine gute Grundlage.

Ein weiterer Vorteil sei, dass im Rahmen von Kohortenstudien andere Studien durchgeführt werden können. Dies gelte auch für Forschung, die auf Fällen aus ethnischen Minderheiten basiert (Smith et al. 2005). Es sei wichtig, dass es unterschiedliche Ansätze gebe, weil ein perfekter Ansatz für alle Fragestellungen nicht existiere. Ein flexibler, gemischter Ansatz sei wünschenswert und es sei nötig, eine Zeit lang hypothesenfrei Informationen zu sammeln.

Die Frage nach dem Umgang mit der ethnischen Diversität taucht im Zusammenhang mit der UK Biobank an verschiedenen Stellen auf. Burton et al. (2005) weisen auf das Problem der ethnischen Stratifikation für Assoziationsstudien mit unverbundenen Fällen und Kontrollen hin. Dadurch komme es entweder zu falschen positiven Ergebnissen oder der tatsächliche Effekt werde nicht entdeckt. Bei kleinen Effekten in großen Studien sei dies besonders gravierend. Möglicherweise sei dies eine Erklärung für das Phänomen, dass positive Ergebnisse nicht wiederholt werden konnten. Hattersley und McCarthy (2005) fordern deshalb, dass die untersuchte Gruppe und die Kontrollgruppe den gleichen ethnischen Hintergrund haben müssen. Nach Palmer und Cardon (2005) hängt das Vorkommen von Krankheiten von der Geographie und der ethnischen Herkunft ab. Auch sie sehen das Problem, dass der Fehler umso größer sein könne, je größer die Probengröße ist. Nach Burton et al. (2005) hat diese Beobachtung wichtige Implikationen für nationale Biobanken und große fallkontrollierte Initiativen. Man diskutiere und analysiere das Problem in Großbritannien. Genaueres dazu wird in dem Artikel nicht ausgeführt.

Die Autoren plädieren dafür, die zugrunde liegende Biologie und die relevante Epidemiologie zu verstehen (ebd.). [ 77 ] Es sei wichtig, zwischen einer statistischen und einer biologischen Wechselwirkung zu unterscheiden. Die Identifikation von Genen, die eventuell mit komplexen Krankheiten zusammenhängen, erkläre die biologischen Stoffwechselwege, die zu dieser Krankheit führen, nur teilweise. Diese Anmerkung ist vor dem Hintergrund besonders interessant, dass Burton selbst an der Entwicklung des wissenschaftlichen Protokolls der UK Biobank beteiligt ist und dass darin die Wechselwirkung als statistisch definiert wird.

Hopper et al. (2005) heben die Vorzüge genealogischer Daten hervor, wie sie in Island, Schweden und Utah existieren. Unter solchen Umständen können zuverlässigere und umfangreichere Informationen gewonnen werden als bei anderen Familienuntersuchungen, bei denen meist nur die Informationen über Verwandte ersten Grades zuverlässig sind.

5.1.4. Relevanz der genetischen Epidemiologie für das Gesundheitswesen

In verschiedenen Beiträgen der Lancet-Serie wird nach der Relevanz der genetischen Epidemiologie für das Gesundheitswesen gefragt. Dabei wird durchaus unterstellt, das relative genetische Risiko sei wie bei dem hypothetischen Patienten von Francis Collins relativ hoch, habe also als auslösender Faktor eine Bedeutung gegenüber anderen Faktoren. Collins nahm an, sein Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, sei wegen seines Genotyps sechsmal höher als das von Rauchern ohne diesen Genotyp. Aber auch dann sei die Relevanz solcher Faktoren für das Gesundheitswesen zweifelhaft. Da alle Raucher ein gewisses Risiko hätten, sei ein Entwöhnungsprogramm für die gesamte Bevölkerung sicherlich wirksamer als eine Konzentration auf die Gruppe mit einem erhöhten genetischen Risiko. Es gebe auch keine Hinweise für die motivationssteigernde Wirkung genetischer Testergebnisse. Stattdessen sei nicht auszuschließen, dass Menschen, denen eine genetische Unempfindlichkeit bescheinigt wurde, möglicherweise weniger gerne das Rauchen aufgeben (Smith et al. 2005). Sie plädieren deshalb für eine umfassende Reduktion der Krankheitslast. Interventionen sollten bei der Bevölkerung ansetzen und nicht auf Personen mit bestimmten Genotypen reduziert werden. [ 78 ]

Nach Smith et al. (2005) kann genetischen Tests nicht per se unterstellt werden, sie seien besser als andere. So gebe es herkömmliche Tests für Herzerkrankungen, die mit einfachen Messmethoden arbeiten, außerdem meist nicht teuer und gut reproduzierbar sind. Ein genetischer Test müsse also Vorteile gegenüber diesen Tests aufweisen. Das College of American Pathologists weist darauf hin, dass der Test auf Hämochromatose als Paradebeispiel für genetische Tests angesehen werde, es aber Zweifel wegen der Zuverlässigkeit gebe. Menschen über 20 sollten auf Hämochromatose getestet werden, allerdings phäno- und nicht genotypisch. Holtzman und Marteau (2000) haben versucht, die Beiträge verschiedener Faktoren auf Krankheiten abzuschätzen. Danach sind Unterschiede in der Sozialstruktur, im Lebensstil und bei den Umweltfaktoren entscheidender für Krankheiten als genetische Unterschiede.

5.1.5. Vorschläge für weitere methodische Ansätze und Fragestellungen

Die Autoren der Lancet-Serie sowie Clayton und Paul McKeigue (2001) unterbreiten verschiedene Vorschläge zu der künftigen Herangehensweise der genetischen Epidemiologie und zu den Methoden, denen der Vorzug gegeben werden sollte, um die Robustheit, Validität und Relevanz der Ergebnisse zu verbessern.

David Clayton und Paul McKeigue (2001) erscheint es in der Epidemiologie der Post-Genom-Zeit wichtiger, Hypothesen über kausale Stoffwechselwege durch genetische Assoziationen zu testen als Modelle über die gemeinsamen Effekte von Genotyp und Umwelt zu entwerfen. [ 79 ] Dies kann als grundsätzliche Kritik insbesondere der UK Biobank gesehen werden, da sie auf diesem wissenschaftlicher Ansatz beruht (siehe Absatz 4.2.2.). Nach Burton et al. (2005) ist es notwendig, die Biologie, die den Aktivitäten der Gene zugrunde legt, und den Vererbungsmechanismus angemessen zu berücksichtigen. [ 80 ] Dies ist eine zumindest implizite Kritik am Ansatz der UK Biobank, da das Vorgehen dort in erster Linie hypothesenfrei ist.

Für Hopper et al. (2005) könnte die Zukunft der genetischen Epidemiologie sowie der Epidemiologie in populationsbezogenen Fall-Familien-Designs liegen. Solche Studien könnten sehr wichtige neue Erkenntnisse liefern, auch wenn der Aufwand (Rekrutierung von Teilnehmern) relativ hoch und deshalb nicht billig sei. [ 81 ] Genetik könne so den traditionellen Fokus von so genannten Hochrisiko-Familien verlassen und sowohl für den klinischen als auch für den Public Health Bereich an Bedeutung zunehmen. [ 82] Für solche Untersuchungen sei die Infrastruktur von Biobanken nicht geeignet, weil die Personen individuell ausgesucht werden müssten.

Burton et al. (2005) warnen davor, bei Evidenzen familiärer Häufung sofort auf genetische Effekte zu schließen. Es sei notwendig, auch Erkenntnisse der Biologie zu berücksichtigen und nicht nur statistische Korrelationen im Auge zu haben. Ansonsten würden genetische Faktoren stark über- und andere Faktoren unterbewertet.

Cordell und Clayton (2005) halten Untersuchungen über die Rolle der genetischen Variation für wichtig, da dadurch Erkenntnisse über die Ursache von Umweltassoziationen gewonnen werden können, bei denen Interventionen möglicherweise eine größere Wirkung haben. [ 83 ] Nach Palmer und Cardon (2005) ist der klinische Einsatz genetischen Wissens nur dann sinnvoll, wenn er wieder in den Kontext von Epidemiologie und Public Health gestellt werde. Die Autoren empfehlen deshalb sehr große, longitudinale, gut charakterisierte, populationsbezogene Studien von Gruppen mit einem unterschiedlichen ethnischen Hintergrund, der gut dokumentiert ist. Sie sehen Grund für vorsichtigen Optimismus. Man beginne, komplexe Krankheitspathophysiologie zu verstehen, und dies sei in die klinische Anwendung eingegangen. Es sei davon auszugehen, dass dieses Wissen beschleunigt zunehmen werde (Palmer/Cardon 2005).

Hattersley und McCarthy (2005) sind einerseits der Ansicht, dass die Erwartungen, die an die Methode von Assoziationsstudien zur Analyse multifaktorieller Eigenschaft geknüpft werden, bisher im Wesentlichen unbegründet seien. Für die Zukunft erwarten sie aber, dass auch häufige Krankheiten besser verstanden werden könnten, wenn sich Forscher an die Prinzipien eines guten Studiendesigns halten.

Hattersley und McCarthy (2005) weisen darauf hin, wie wichtig es sei, den molekularen Mechanismus zu verstehen, um eine ungenaue Berechnung aufgrund einer ungenauen Ausgangsbasis zu vermeiden. Auch sie plädieren deshalb dafür, sich an die Prinzipien des guten Studiendesigns zu halten.

Burton et al. (2005) und Smith et al. (2005) plädieren für die Methode der Mendel-Randomisierung (mendelian randomisation),[ 84 ] um Marker für Krankheiten zu identifizieren. Beispielsweise könne eine starke Assoziation zwischen der Nullvariante des Aldehyd-Dehydrogenase-2-Gens und dem Alkoholkonsum ein Marker für Alkoholismus sein, bevor die Krankheit ausbricht. Smith et al. (2005) weisen allerdings auch auf verschiedene Einschränkung dieses Ansatzes hin.

5.1.6. Zusammenfassende Diskussion

In den verschiedenen Beiträgen, insbesondere aus der Serie "Genetic Epidemiology" im Lancet, wird festgestellt, dass die Erfolge der genetischen Epidemiologie, die es unzweifelhaft bei der Erforschung monogenetischer Erkrankungen gegeben hat, im Bereich der komplexen Erkrankungen auf sich warten lassen. Nur in Ausnahmefällen konnten Ergebnisse reproduziert werden, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Genotyp und Erkrankung bzw. Eigenschaft oder ein relativ hohes Risiko für Genotypen dargestellt hatten. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Die Autoren der Lancet-Serie machen verschiedene Vorschläge, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Sie stellen nicht die Bedeutung der genetischen Epidemiologie in Frage, sondern machen konkrete Vorschläge (siehe Kapitel 5.1.5), die auch für das Design und die Nutzung der Biobanken relevant sind. Sie raten insgesamt dazu, Ergebnisse zurückhaltend darzustellen und die Bedeutung genetischer Faktoren nicht überzuinterpretieren. Bei der Interpretation von Ergebnissen sollten die Grenzen der Methode mitberücksichtigt werden. Dies ist sowohl für die Darstellung von aus Biobanken gewonnenen Ergebnissen, als auch für die Darstellung von Vorhaben, die im Rahmen von Biobanken geplant sind, wichtig.

Es wird vorgeschlagen, geplante Methoden kritisch auf ihre Fehleranfälligkeit und ihre Grenzen hin zu überprüfen. Mehrere Autoren plädieren dafür, den Schwerpunkt auf das Verstehen der biologischen Zusammenhänge zu verlagern. Solche Fragestellungen können prinzipiell in das Design von krankheitsbezogenen Biobanken integriert werden.

Einige Autoren stellen die Relevanz von Ergebnissen der genetischen Epidemiologie für das öffentliche Gesundheitswesen in Frage, da ein bevölkerungsbezogener Ansatz gegenüber einem individuellen, auf genetischen Risikofaktoren basierenden Ansatz der Prävention vorzuziehen sei. Folgt man dieser Kritik, so könnte die Verwendung öffentlicher Gelder für Biobanken nicht mit einer Relevanz für das Gesundheitswesen begründet werden.

Aus den verschiedenen Artikeln lassen sich einige allgemeine Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Nutzung und Planung von Biobanken ableiten:

  • Es könnte eine ähnliche methodenkritische Diskussion, wie im englisch-sprachigen Raum, auch unter den Mitgliedern des Nationalen Genomforschungsnetzes angeregt werden, so sie noch nicht stattgefunden hat. Diese würde auf der Grundlage aufbauen, dass derzeit noch nicht von einer guten wissenschaftlichen Praxis der genetischen Epidemiologie gesprochen werden kann. Es sollten dann Vorschläge zusammengetragen werden, wie die Praxis durch größere Sorgfalt beim Studiendesign, bei der Untersuchung selbst und auch bei der Interpretation verbessert werden kann. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse aus Biobanken reproduzierbar sind.
  • Bereits gewonnene Ergebnisse aus Biobanken sollten einer methodenkritischen Prüfung unterzogen werden, um die Qualität der Methode und der Interpretation zu sichern. Wenn in Bezug auf Studiendesign, Durchführung und Interpretation Fehler begangen wurden, sollte dies veröffentlicht werden, damit andere nicht auf den Ergebnissen aufbauen. Außerdem sollte angeregt werden, dass auch veröffentlicht wird, wenn kein Zusammenhang zwischen Genotyp und Erkrankung festgestellt wurde.
  • Für zukünftige Veröffentlichungen sollte außerdem angeregt werden, die Methoden so darzustellen, dass die Qualität der angewandten Methoden nachgeprüft werden kann.
  • Da die Erfahrung zeigt, dass Ergebnisse, die einen eindeutigen Zusammen-hang zwischen einer genetischen Veranlagung und der Disposition für Krankheiten nachweisen, nicht ohne weiteres reproduziert werden, erscheint eine größere Zurückhaltung in Bezug auf mögliche Erfolge der genetischen Epidemiologie angemessen.
  • Es könnte hilfreich sein, zu diskutieren, welchen Beitrag Ergebnisse der genetischen Epidemiologie, insbesondere, wenn sie im Rahmen von Biobanken gewonnen werden, für die öffentliche Gesundheitsvorsorge leisten können und welche Vorteile ein solcher Ansatz gegenüber herkömmlichen bietet, um bei der Vergabe öffentlicher Gelder bedarfsgerecht vorzugehen.
  • Es wäre außerdem hilfreich, diese Diskussion möglichst allgemein verständlich zu führen, damit sie insbesondere diejenigen erreicht, die potenzielle Teilnehmer von Probennahmen für Biobanken sind bzw. als Teilnehmer geworben werden, damit sie sich ein umfassendes Bild machen können. Dies könnte unter anderem ein wichtiger Beitrag für einen Informed Consent sein.

5.1.7. Pharmakogenetik, Pharmakogenomik, Medikamentenentwicklung und Humangenomforschung

Pharmakogenetik befasst sich mit den genetisch bedingten Unterschieden bei der Arzneimittelwirkung, wobei auch Erkenntnisse über den Metabolismus berücksichtigt werden. Kollek et al. (2005) definieren dies folgendermaßen:

"Unter Pharmakogenetik versteht man die Untersuchung interindividueller Variationen in menschlichen DNA-Sequenzen, die in der Reaktion auf Medikamente involviert sind. Mit der Pharmakogenetik verbindet sich die Hoffnung, die Nebenwirkungen medikamentöser Therapien reduzieren und ihre Effizienz verbessern zu können."

Es werden positive wirtschaftliche Aspekte erwartet, einerseits indem die medikamentöse Therapie günstiger würde und andererseits durch Rationalisierung neuer Arzneimittel.

Nach Smith et al. (2005) ist die Pharmakogenetik ein Teilbereich der genetischen Epidemiologie. Ihr Fazit: In der Pharmakogenetik sei es wie in den anderen Bereichen der genetischen Epidemiologie. Es gebe Optimismus, obwohl ursprünglich gefundene Zusammenhänge zwischen genetischen Varianten und Empfindlichkeit gegenüber Medikamenten nicht bestätigt worden seien. [ 85 ] Sie führen dies wie bei den übrigen Studien der genetischen Epidemiologie zurück auf zu geringe Probengröße, schlechte oder nicht passende statistische Analyse, schlechtes Forschungsdesign, indirekte Unterstellung von Stoffwechselwegen und Komplexität in Bezug auf die untersuchten Phänotypen bzw. den Beitrag von Allelen oder Genen zum Phänotyp.

Außerdem thematisieren Smith et al. (2005) die Praxisrelevanz. Eine kürzlich erschienene Studie über pharmakogenetische Unterschiede in Bezug auf die Statintherapie habe zwar stabile Ergebnisse produziert, diese seien aber nicht klinisch relevant. Im Übrigen gebe es Nachholbedarf in Bezug auf gesundheitsökonomische Fragen der genetischen Epidemiologie. Sie plädieren für "pragmatische randomisierte Tests", um zu klären, inwieweit die Anwendung pharmakogenetischer Tests zu einer Kostensenkung führen könne.

Firmen wie Roche Genetics betreiben eigene Biobanken im Bereich der Pharmakogenetik. Diese sind aber speziell auf das Interesse der Firma zugeschnitten und benötigen deshalb auch keine staatliche Unterstützung.

Gemäß den Definitionen des Sachstandsberichtes des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag zu Pharmakogenetik ist die Herangehensweise von deCode in Island weder pharmakogenetisch noch pharmakogenomisch, sondern eher "′klassischen′ Fragestellungen bzw. Anwendungen der Humangenomforschung allgemein" zuzuordnen. Die Firma nutzt genetisches Wissen bzw. Wissen über Stoffwechselpfade für die Suche nach Zielscheiben für Medikamente. Einige Medikamente befinden sich in der klinischen Prüfung. Über ihre Relevanz für die medizinische Praxis wird man erst in einigen Jahren eine Aussage treffen können (siehe Kapitel 4.1.4).

Im Konzept der UK Biobank soll die Forschung mit spezifischen pharmakogenetischen Fragestellungen und Methoden eine untergeordnete Rolle spielen und steht nicht im Fokus. Nach Lindpaintner (2003) sind prospektive Studien, wie von der UK Biobank geplant, für die Pharmaindustrie von untergeordnetem Interesse, da sie nicht auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind.

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