zum Seiteninhalt springen

Empowerment; 15.Mai 2012

Die dritte Veranstaltung des „Friedrichshainer Kolloquiums des IMEW zu Gast in Zehlendorf“ befasste sich am 15. Mai 2012 mit dem Thema „Empowerment“. Dabei ging es in der Villa Donnersmarck hauptsächlich um den Blickwinkel der pragmatischen Bedeutung des Themas als Leitlinie für innovatives Handeln und weniger um eine Einführung in ein allgemein-theoretisches Konzept. Insbesondere stand die Frage der Bewusstseinsbildung als Motor einer Teilhabe- und Selbstbestimmungsfördernden Praxis für Menschen mit geistiger Behinderung im Vordergrund. Vorgestellt wurden drei Projekte, die sich mit Bildungsarbeit beschäftigen.

Der angekündigte Vortrag über die Bildungsarbeit der Diakonie am Thonberg in Leipzig von Karen Kohlmann und Marko Altstädt musste aus Krankheitsgründen leider ausfallen. Dr. Katrin Grüber, IMEW, sorgte für einen spannenden Ausgleich, indem sie die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorstellte, dass Frau Erhardt und sie im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes durchgeführt haben. Sean Bussenius von der Fürst Donnersmarck-Stiftung moderierte die Veranstaltung.

Das Projekt „Teilhabe für Menschen mit geistiger Behinderung am Leben in der Kommune“ geht der Hauptfrage nach, wie sich Teilhabe in der Kommune für diese Personengruppe am kulturellen und öffentlichen Leben verwirklichen lässt. Was sind Kriterien für eine „richtig verstandene“ Teilhabe? Wie kann man solche Kriterien konkretisieren und operationalisieren? Für Dr. Grüber sind solche Kriterien unabdingbare Voraussetzungen dafür, „damit auf einem Projekt nicht nur Teilhabe draufsteht, sondern Teilhabe auch tatsächlich drin ist“.
Mit „soziologischem Blick“ stellte sie den Begriff des „underachievement“ vor: Menschen mit Behinderung bleiben als Folge der langjährigen institutionellen Erfahrung weit hinter ihren persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten zurück. Dagegen setzte sie die Empowermentaussage, dass jeder Mensch wachsen kann. Dafür müsse dem Einzelnen durch Kontakte zu seinen Mitmenschen jedoch die Möglichkeit zur Entwicklung geboten werden. Nur dadurch könne Stärkung des Selbstbewusstseins und Kompetenzzuwachs langfristig entstehen.

Anhand des Projektes „Fotografieren kann jeder!“, ein Angebot der Volkshochschule Duisburg, machte Dr. Grüber die enge Verbindung von Teilhabe und Empowerment deutlich: Nur wenn sich jemand wirklich als Teil des sozialen Geflechtes erlebt, kann von Empowerment gesprochen werden. Sie referierte in ihrem Vortrag einige Kernaussagen von Empowerment und stellte danach interessante Qualitätskriterien vor, z.B. Aufhebung der Parallelwelten, Nachhaltigkeit ohne langfristige Förderung oder Erweiterung der Alltagskompetenzen.

Abschließend stellte Dr. Grüber noch das Projekt von Karen Kohlmann vor, bei dem Menschen mit geistiger Behinderung kulturelle Einrichtungen in Leipzig auf Barrierefreiheit hin untersucht haben. Ein interessantes Ergebnis ist dabei beispielsweise, dass ein entscheidender Faktor die Offenheit der sozialen Atmosphäre in der Institution war (Wie gut kann man sich weiterhelfen lassen?). Aus diesem Projekt entstand der „Kulturführer Leipzig“ in leichter Sprache über kulturelle Einrichtungen, der sich insbesondere an Menschen mit geistiger Behinderung richtet. Sie erfahren nun: Was gibt es in Leipzig, wie kommt man hin?

Diskussion: Im Plenum wurde die Frage erörtert, ob die Bezeichnung „Menschen mit geistiger Behinderung“ noch sinnvoll sei oder ob man nicht besser von „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ sprechen sollte. Wenn man Menschen mit schwersten geistigen Behinderungen ebenfalls einbeziehen möchte, dann führe – so Dr. Grüber – die Bezeichnung „Lernschwierigkeiten“ leicht zu Missverständnissen und schließt so die Gruppen von Menschen mit schweren Behinderungen aus. Auch Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen haben Anspruch auf selbstbestimmte Teilhabe, die nur gelingen kann, wenn die persönlichen Bedürfnisse herausgefunden werden. Das erfordere jedoch viel Zeit. Außerdem wurde in der Diskussion von einigen Teilnehmerinnen „lautes oder aggressives Verhalten“ als große Barriere für umfassende Teilhabe bewertet. Andere Anwesende argumentierten dagegen, indem sie solche Konflikte als Möglichkeiten für gemeinsames Aushandeln einer neuen „empowerten“ Praxis auslegten.

Im zweiten Teil des Kolloquiums referierte Prof. Dr. Karl-Ernst Ackermann aus Berlin zum Thema „Inklusive Erwachsenenbildung und Menschen mit Lernschwierigkeiten` in Berlin“. Dazu bewertete Prof. Ackermann die konkreten Rahmenbedingungen, die in Berlin für diese Personengruppe bestehen. Dazu stellte er das „Berliner Manifest“(1995) in seinen Kernaussagen vor, z.B. „Bildung als Bestandteil des Sinn des Lebens“, doch „sei man von einem flächendeckenden, vernetzten Angebot der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung noch weit entfernt“. 2007 führte die Humboldt-Universität eine Untersuchung zur „Berliner Situation der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung“ durch, bei der zum ersten Mal eine Übersicht über Weiterbildungsangebote in Berlin erstellt wurde. Im Ergebnis zeigte sich, es gebe viel zu wenig Angebote; die meisten seien nicht barrierefrei. Das war der Anlass, zwei Jahre später das „Berliner Aktionsbündnis Erwachsenenbildung und Behinderung“ ins Leben zu rufen, bei dem das Projekt „Erwachsenenbildung Inklusiv“ (ERWIN) entstand. In ganz Berlin gab es 2009 lediglich 38 Bildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung, bei einem geschätzten Bedarf von 200, was eine dramatische Unterversorgung darstellt. Daraus ergaben sich für Prof. Ackermann eine Reihe unterschiedlicher Ziele wie z.B. unbedingte Verbesserung der Angebotsdichte, Erhöhung der Vernetzung der Bildungsträger oder Verbesserung der Transparenz.
Angebote müssen leichter auffindbar gemacht werden, dazu stellte Dr. Eduard Jan Ditscheck, ehemaliger Leiter der Volkshochschule Berlin-Mitte, die Homepage von „Erwachsenenbildung Inklusiv“, ERWIN www.erw-in.de, vor, auf der in leichter Sprache sämtliche Angebote für Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung in Berlin zu finden sind. Inklusion stelle für die Volkshochschulen eine große Herausforderung dar. In der Vergangenheit habe es „Verengungen“ gegeben, z.B. inhaltlicher Art: Im Programm gab es lediglich Alphabetisierungskurse, die dazu nicht in der Volkshochschulen stattfanden, sondern vor Ort in den jeweiligen Sondereinrichtungen angeboten wurden. Mittlerweile seien die VHS-Kurse für alle Menschen offen.

Diskussion: Die Diskussion über Inklusion in der Erwachsenbildung ist in den letzten Jahren deutlich in Gang gekommen. Dr. Ditscheck formulierte als Ziel „Menschen mit Behinderung sollen nicht nur willkommen sein, sondern sie sollen produktiv teilnehmen können.“ Voraussetzung für einen barrierefreien Zugang zu den Angeboten sei auch die Höhe von 5 Euro Gebühr für einen gesamten Kurs, da Kosten eine erhebliche Barriere darstellen können. Bemerkenswert sei, dass auch ältere Menschen ohne geistige Behinderung zunehmend Interesse an Kursen in leichter Sprache zeigen.

Neben den Fragen der Teilnehmerbeteiligung bei der inhaltlichen Auswahl der Themen, der Qualifizierung der Kursleiter oder einer soliden Finanzierung der Kurse entwickelte sich ein engagiertes Gespräch über die beruflich unterschiedlichen Auffassungen von Empowerment: Die Soziologie setze an anderen Stellen als die Pädagogik an. Während die soziologische Sichtweise nach veränderten Handlungsbedingungen Ausschau halte bzw. „Lernen durch Erfahrung“ in den Vordergrund stelle, ziele die Pädagogik auf organisierte Bildung. Beide Bereiche sind für Empowerment unerlässlich. Es müsse noch stärker ins Bewusstsein kommen, dass alle Menschen lebenslang lernen. Doch es gibt unterschiedliche Wege zu lernen.

Dr. Karl Bald, Fürst-Donnersmarck-Stiftung

Seitenanfang


© 2008 | IMEW - Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft
www.imew.de