Der Betroffene hat immer Recht? Zum Umgang mit Einzelschicksalen in Film und Fernsehen
Vortrag von Dr. Peter Radtke, Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V.
Aus welcher Perspektive soll ich zu diesem Thema sprechen: Als Medienfachmann, als Literaturwissenschaftler, als Mensch mit einer Behinderung oder als jemand, der schon mehrfach selbst am Abgrund des Lebens gestanden hat?
„Der Betroffene“, das könnte der Zuschauer sein, der im Film Dargestellte, die unmittelbare Umwelt des Sterbenden.
Und: Was ist Sterben anderes als ein Einzelschicksal, sofern man hierunter nicht das Massensterben in Dokumentation über Kriege, Krankheiten und Naturkatastrophen versteht? Oder ist die Erörterung von Tod und Sterben im Fernsehen bei realen Menschen anders zu bewerten als die Darstellung eines fiktiven Falles im Spielfilm?
Ich nehme an, dass von mir eine subjektive Sichtweise aus der Perspektive eines Menschen mit Behinderung erwartet wird. Die Aspekte, die ich anführen möchte, werden nicht den Kriterien streng wissenschaftlicher Observanz genügen – sie sind dennoch nicht beliebig und unbegründet.
In meine Ausführungen fließen verschiedene Kenntnisse ein: Mein Wissen um Gesetzmäßigkeiten, die den Spielfilm prägen, aber zum Teil auch in einer Talkrunde Anwendung finden, meine Erfahrungen im Nationalen Ethikrat bei der Abfassung der „Stellungnahme zur Therapie am Lebensende“ und nicht zuletzt meine Erfahrung aus dem persönlichen Durchschreiten einer Grauzone zwischen Leben und Sterben vor rund acht Jahren.
Von meiner Ausbildung her bin ich Literaturwissenschaftler, dieser methodische Zugang prägt meine Perspektive. Deshalb stelle ich einige medientheoretischen Überlegungen an den Anfang:
Tod und Sterben im Fernsehen oder im Film hat stets eine funktionale Bedeutung innerhalb einer Erzählung. Sprechen wir von einer fiktionalen Handlung, also von einem Spielfilm oder von einem Fernsehspiel, so dient die Darstellung des Sterbens bzw. des Todes in der Regel entweder der Exposition für eine nachfolgende Geschichte oder der Auflösung eines ansonsten nicht lösbaren Konfliktes. Wenn wir den Kriminalfilm ausklammern, bei dem der Tod gewissermaßen nur Auslöser des Plots ist, wird durch den Akt des Sterbens in der Regel ein Gleichgewicht wieder hergestellt, das den Zuschauer beruhigt und ihn an die Gerechtigkeit der Welt glauben lässt.
Ich erinnere an den griechischen Begriff der „Katharsis“, der Reinigung, die Zweck jeder antiken Tragödie war. Und ist nicht der Film ein später Nachfahr des klassischen Theaters? Ein typisches Beispiel hierfür ist der mit neun Oscars ausgezeichnete Film „Der englische Patient“. Hier treffen wir sogar mehrmals auf die verschiedenen Funktionen von Sterben. Der englische Patient, ein gewisser László Almásy. ist ein durch schwerste Verbrennungen entstellter Flieger, der in einem Kloster in der Toskana sein Leben Revue passieren lässt. Die Verschachtelung der Geschichte wird durch mehrere Todesfälle in Gang gesetzt. Jedoch speziell zwei Sterbeszenarien sind der Kategorie „Harmonisierung“ zuzurechnen: Das Ableben der Geliebten des Grafen Almásy, einer verheirateten Engländerin, und sein eigener Tod, der eine Art assistierter Suizid ist. Durch das melodramatische Verlöschen von Kathrine Cliftons Leben in der „Höhle der Schwimmer“ wird einerseits das ehebrecherische Verhältnis der jungen Frau gesühnt, andererseits aber ihre Liebe zu Almásy auf eine aller menschlichen Bewertung entrückten Ebene gehoben.
Noch problematischer ist Almásy’s Ende selbst zu sehen. Mit der tödlichen Dosis Morphium wird nicht nur ein theatralisches Finale gesetzt. Vielmehr werden Gefühle angesprochen, die an die persönliche Einstellung des Zuschauers appellieren.
Und hier beginnt die Vermischung von Fiktion und Realität, Filmwirklichkeit und Betroffenenwirklichkeit. Filmwirklichkeit ist die Tatsache, dass in fast allen Filmen, die ich kenne, das Sterben ohne die quälenden Begleiterscheinungen der letzten Stunden und Minuten dargestellt wird. Weder sieht der Zuschauer etwas von Atemnot oder Übelkeit, noch kann er verständlicherweise den Schmerz z.B. eines Krebskranken nachempfinden.
Diese Aussage gilt selbst für einen Film wie „Das Meer in mir“, der den Kampf um einen würdevollen Tod in den Mittelpunkt seiner Handlung stellt. Er ist die meisterhafte Nacherzählung eines authentischen Falles, der in den Neunziger Jahren in Spanien die Gemüter bewegte. Durch einen Badeunfall ist der Fischer Ramón Sampedro vom Hals abwärts gelähmt. Von nun an kämpft er vor spanischen Gerichten um das Recht, mit Hilfe von Freunden seinem Leben ein Ende zu bereiten. Der durch Zyankali schließlich herbei geführte Sterbeprozess von Ramón Sampedro, der in Wirklichkeit über zwanzig Minuten dauerte und äußerst qualvoll verlief, wird im Film in seiner Härte nur vorsichtig angedeutet. Es gab sogar Vorschläge, die Sterbeszene völlig wegzulassen. Vermutlich hätte allerdings eine andere, realistischere Darstellung des Suizids die Botschaft des Films in ihr Gegenteil verkehrt. Der Fairness halber muss jedoch gesagt werden, dass die mehrfach preisgekrönte Produktion bemüht ist, beiden Positionen, der lebensbejahenden und der an Selbstbestimmung orientierten, in der schwierigen Diskussion der aktiven Sterbehilfe gerecht zu werden, sofern etwas Derartiges überhaupt möglich ist.
Allzu leicht lässt sich das Thema zu Propagandazwecken pro Euthanasie missbrauchen, wie dies im Nazifilm „Ich klage an“ mit Paul Hartmann, Mathias Wieman und Heidemarie Hatheyer aus dem Jahre 1941 geschah. Die an Multipler Sklerose leidende Hanna Heyl bittet ihren Mann, einen Arzt, um Sterbehilfe, da sie einem qualvollen Tod entgehen möchte. Zwar bleibt scheinbar die Frage offen, ob sich Dr. Heyl mit der Beihilfe zum Freitod seiner Frau schuldig gemacht habe, doch die Tendenz weist eindeutig auf eine Rechtfertigung der Euthanasie bei bestimmten Formen der Behinderung. Dies belegt die abschließende Rechtfertigung Dr. Heyls vor dem Gericht: „Ich fürchte mich nicht. Wer Nachfolger haben möchte, muss auch vorangehen können. Ich fühle mich auch nicht mehr als Angeklagter. Denn schließlich habe ich durch meine Tat den größten Verlust erlitten. Nein, ich klage jetzt an. Ich klage den Paragraphen an, der Ärzte und Richter an ihrer Aufgabe hindert, dem Volke zu dienen. Deswegen will ich auch nicht, dass meine Sache vertuscht wird, Ich will mein Urteil. Denn wie es auch ausfällt: Es wird ein Signal, ein Weckruf sein. Darum bekenne ich: Ich habe meine Frau, die unheilbar krank war, auf ihren Wunsch von ihrem Leiden erlöst.“
„Ich klage an“ von 1941 sieht sich also selbst als Weckruf. Aber auch „Das Meer in mir“ aus dem Jahre 2004 hat etwas vom Charakter eines Weckrufes, allerdings eines Weckrufes aus der Perspektive eines Außenstehenden. Damit will ich nicht sagen, dass der Wunsch nach Beihilfe zur Selbsttötung von Ramón Sampedro nicht existiert habe und nicht ernst genommen zu werden braucht. Doch das geschickte Arrangement der Szenen von einem quasi objektiven Standpunkt aus, der dessen ungeachtet – bewusst oder unbewusst – die Befürworter der Euthanasie in positiverem Licht darstellt, macht rasch deutlich, welcher Auffassung der Regisseur zuneigt.
Ich selbst bin ein Gegner jeglicher künstlichen Verkürzung des Lebens, wenngleich ich zugebe, dass es Extremsituationen gibt, in denen theoretische Überlegungen keine Rolle mehr spielen. Daher habe ich eine latente Aversion gegen Filme, die der Euthanasie das Wort reden. Ich sehe sie vor allem unter dem Aspekt der Manipulation durch so genannte Nichtbehinderte. „Wenn ich in einer solchen Lage wäre, fände ich das Leben nicht mehr lebenswert“, so lautet die heimlich Botschaft solcher Produktionen, und das ist auch die Auffassung der Mehrheit unserer Bevölkerung im realen Leben. Damit stützt man ein weit verbreitetes Vorurteil, das sehr wohl der Entlastung unseres Gesundheitssystems und seiner finanziellen Ressourcen entgegen kommt. Aus Erfahrung weiß ich, dass viele, viele Betroffene auch in fast aussichtsloser Lage das Weiterleben einem assistierten Selbstmord vorziehen. Damit stelle ich nicht in Abrede, dass es Einzelfälle gibt, wo dies nicht zutrifft. Doch der Film stellt eine Verallgemeinerung dar, die das Einzelschicksal als Einzelschicksal entwertet. Darauf werde ich später noch zu sprechen kommen.
Ein Film, bei dem sich für mich das Gefühl der Manipulation zugunsten der Euthanasie nicht einstellt, obwohl er sehr wohl den Weg eines Betroffenen bis hin zum selbst gewählten assistierten Suizid begleitet, ist die belgische Produktion „Chronique d’une mort décidée“ aus dem Jahre 2000. Jean-Marie Lorant leidet unter einer fortschreitenden Muskelerkrankung. Er will das langsame qualvolle Ertrinken am nicht mehr abhustbaren Schleim in seiner Lunge nicht abwarten und bereitet bewusst seinen „Abgang“ vor. Die Kamera ist stille Beobachterin, ohne selbst Stellung zu nehmen: Die täglichen Handgriffe durch professionelles Personal, die Besuche von Freunden, die Besprechung mit dem Bestattungsunternehmer, das letzte gemeinsame Festessen mit Bekannten und Nachbarn, der Besuch der Geliebten aus Paris. Der Film ist kein Spielfilm; er arrangiert scheinbar nichts. Und vielleicht gerade deshalb wirkt er authentischer und herausfordernder als vieles, was in Absicht einer Überzeugungsarbeit hergestellt wird. Dabei muss uns allerdings immer bewusst bleiben, dass selbst ein nur beobachtender Dokumentarfilm immer durch Schnittfolge, Kameraperspektive oder Weglassen von Details die Wirklichkeit zwangsläufig manipuliert. Mitunter geschieht dies vorsätzlich, mitunter ist dies jedoch auch unbewusster Ausdruck des Regisseurs. Im Gegensatz zu anderen Produktionen ist Jean-Marie Lorant nicht nur Gegenstand sondern auch Protagonist seiner eigenen Geschichte. Dies macht es noch schwieriger, sich seiner Argumentation zu entziehen. Doch selbst hier bleibt der Akt des Sterbens, und damit der eigentliche Schlüssel zu unserer heutigen Thematik, ausgespart. Persönlich erinnere ich mich lediglich an einen Film, in dem die Irrationalität und Grausamkeit des Todes, und als solche sehe ich das Sterben, ungeschminkt in einem Einzelschicksal dargestellt wird: „Ein kurzer Film über das Töten“ des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski aus dem Jahr 1988. Vielleicht liegt der Grund darin, dass sich dieser Spielfilm streckenweise schon sehr stark dem Genre des Dokumentarfilms angleicht.
Filme als Vehikel für die aktive Sterbehilfe gibt es mehrere. Einige habe ich versucht vorzustellen. Gegenbeispiele finden sich eher selten. In scheinbar aussichtsloser Situation zu sein und dennoch „Ja“ zum Leben zu sagen – das scheint weniger Interesse zu finden. Wie sollte ein solcher Film auch zu Ende gehen? Bleibt der Betroffene in seiner desolaten Lage, lässt dies den Zuschauer unbefriedigt zurück. Wird die Situation zum Besseren aufgelöst, kann er sich wohl kaum auf die Wirklichkeit berufen. In diesem Dilemma befindet sich auch der ansonsten sehenswerte amerikanisch-französische Film „Schmetterling und Taucherglocke“, der im Frühjahr dieses Jahres in die deutschen Kinos kam. Jean-Dominique Bauby ist Chefredakteur der französischen Ausgabe der Zeitschrift „Elle“. Durch einen Schlaganfall erleidet er das Locked-In-Syndrom. Anfangs ersehnt er sich den baldigen Tod. Doch als er die Möglichkeit für sich entdeckt, mit der Umwelt wieder Kontakt aufzunehmen, ja mehr noch, sogar ein Buch zu schreiben, tritt dieser Wunsch in ihm zurück. Ähnliche Erfahrungen dürften gewiss auch andere Betroffene in ihrem Leben gemacht haben. Wenn es gelingt, dem eigenen Leben wieder einen Sinn zu verleihen, verliert die äußere Lage an dominierender Bedeutung. Aber wie soll ein solcher Film enden? Er endet mit dem Sterben des Patienten auf dem Operationstisch, womit die Harmonie wieder hergestellt ist.
Einige Filme versuchen dem Dilemma dadurch zu entgehen, dass sie die sinnerfüllte Gestaltung der letzten Phase eines Todkranken zeigen, das Ende aber mehr oder minder aussparen oder überhöhen. Ich denke dabei zum Beispiel an den französischen Film „Die Zeit, die bleibt“ aus dem Jahr 2005. Die letzte Einstellung zeigt den an Krebs erkrankten sterbenden Modefotografen Romain auf einem einsamen Strand vor dem Hintergrund einer unendlich weiten Meeres. Wird man so dem Thema gerecht? Ich glaube kaum. So lobenswert der Ansatz einer positiven Krisenbewältigung ist, so problematisch scheint mir die Ausklammerung oder Glorifizierung des eigentlichen Zielpunktes. Unwillkürlich denke ich an die verkitschten Schlussszenen von Opern wie „La Traviata“ oder „La Bohème“. Das ist nicht das Leben – leider.
Einen Teilaspekt möchte ich noch erwähnen, der mir in den Filmen, aber auch im Leben, aufgefallen ist: Ob eine Situation nicht mehr als lebenswert erscheint, hängt weniger vom pathologischen Zustand des Betroffenen ab als vielmehr von den äußeren Umständen, unter denen der Schwerkranke lebt. Sicher wird Ramón Sampedro aufopfernd von seiner Familie umsorgt; Jean-Marie Lorant hat Freunde und Bekannte, die ihn besuchen, doch beide werden in Situationen gezeigt, wo es keinerlei Möglichkeit des Ortswechsels gibt. Sie sind an ihr Bett „gefesselt“, so dass man an Heinrich Heines Wort von der „Matratzengruft“ denkt. Bei Dominique Bauby wird das Gefängnis des eigenen Körpers dahin gehend aufgebrochen, dass er mit Hilfe seiner Betreuerinnen zeitweise das Krankenhaus verlässt und die freie Natur erleben kann. Es gibt ein Gefängnis, das schlimmer ist als der eigene Körper, nämlich das Gefängnis der Gedanken, die sich ausschließlich um die eigene Befindlichkeit drehen. Dominique Bauby hat zwei Fluchtwege, die ihm das Weiterleben ermöglichen: die Erinnerung und die Phantasie. Während die Erinnerung zusätzlich bedrücken kann, eröffnet die Phantasie Spielräume, die nach vorne weisen.
Sterben als Spielfilmrealität und als Alltagsrealität – worin liegt meines Erachtens der Unterschied?
Zunächst werden die tatsächlich belastenden Aspekte weitgehend ausgeblendet. Das Sterben wird in gewisser Weise harmonisiert. Natürlich habe ich noch keinen echten Sterbeprozess durchgemacht. Sonst könnte ich heute nicht zu Ihnen sprechen. Aber ich stand schon einige Male am Rande des Abgrunds, um in der dichterischen Sprache zu bleiben. Ich musste ins künstliche Koma versetzt werden und die Ärzte behaupteten, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing. Ich versichere Ihnen, dass dieses Schweben zwischen Leben und Tod nichts mit den geschönten Bildern der Leinwand gemein hatte. Es mag friedlich entschlafende Menschen geben, aber häufig ist Sterben genau das Gegenteil davon. Dies ist einem Zuschauer jedoch nur schwer vermittelbar. Es widerspricht ja auch dem Charakter des Films, der in erster Linie Unterhaltungsmedium sein will.
Der zweite Unterschied besteht darin, dass im Film das Sterben immer eine funktionelle Bedeutung hat. Man stirbt in einem bestimmten Augenblick, weil nur an dieser Stelle das Sterben einen Sinn macht. Das Sterben in der Lebensrealität ist hingegen willkürlich. Zwar versuchen Angehörige und Bekannte im Nachhinein dem Zeitpunkt des Sterbens eine besondere Bedeutung zu geben, doch dies ist lediglich das Bemühen, dem Irrationalen etwas Rationales abzugewinnen. Auch ich selbst habe damals, als es mit mir sehr schlecht stand, gedacht: „Wenn es jetzt zu Ende geht, heißt dies, dass ich all das getan habe, was ich tun sollte“. Aber in Wirklichkeit hätte das Gleiche ein Jahr früher oder ein Jahr später passieren können. Wir müssen unserm Leben – und damit auch dem Zeitpunkt unseres Todes – eine Struktur geben, weil wir den Gedanken eines unstrukturierten Daseins nicht ertragen könnten.
Den letzten Unterschied schließlich sehe ich in der Tatsache, dass es im Film niemals wirklich ein Einzelschicksal gibt. Das Massenmedium ist immer dahin gehend ausgerichtet, dass sich das Einzelschicksal verallgemeinern lässt. Nur durch die Möglichkeit der Identifizierung mit dem Protagonisten wird ein ausreichendes Interesse an einem Film geweckt. Und so geht es niemals allein um Hanna Heyl oder Ramón Sampedro. Es geht um die Frage: Wenn ich in gleicher Lage wäre wie der Dargestellte, würde ich die gleiche Entscheidung treffen? Dies macht die Filme, gerade im Hinblick auf aktive Sterbehilfe, so problematisch. Filme, die ein Plädoyer für aktive Sterbehilfe implizieren, kommen deshalb beim Publikum gut an, weil sie auf eine allgemein positive Haltung zu dieser Thematik in der Bevölkerung treffen. Dabei besteht das Paradox darin, dass ein Film mit einer falschen Botschaft umso gefährlicher ist, je besser er gemacht ist.
Die meisten Filme, die ich in den zurück liegenden Minuten besprochen habe, berufen sich auf Authentizität. Einigen liegen sogar Bücher und Texte der Betroffenen zu Grunde. Und dennoch – was ist Authentizität? Es ist und bleibt der filmische Blick von Außen. Selbst das Buch, das ich schreibe, ist immer schon eine Abstraktion von der realen Gegebenheit. Wenn ich heute meine eigene Autobiografie „Karriere mit 99 Brüchen“ betrachte, deren Entstehung auf meine schwere Zeit der Arbeitslosigkeit zurück geht, so sehe ich, dass durch das Niederschreiben der Wörter bereits eine innere Verarbeitung stattgefunden hatte. Das Medium, das die Wirklichkeit widerspiegeln will, verwandelt diese bereits. Authentisch ist nur der Betroffene selbst, nie das Abbild von ihm.
Die Tatsache, dass ein filmisches Einzelschicksal, trotz gegenteiliger Behauptung, immer die Gesamtheit einer Personengruppe beschreibt, führt uns auch zur Beantwortung der Frage, ob der Betroffene immer Recht hat. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass es sich hierbei um meine ganz persönliche Auffassung handelt, die keinerlei Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit erhebt. Ich denke, im realen Leben hat der Betroffene tatsächlich immer Recht. Keiner kann Entscheidungen für den anderen treffen. Keiner kann sich konkret in die Lage eines anderen versetzen. Als Außenstehender kann man versuchen, Einfluss auf die Entscheidungen des Betroffenen zu nehmen, doch letztlich muss dieser selbst über sein Dasein entscheiden. Für mich ist die Situation im Film eine völlig andere. Hier handelt es sich um ein künstliches Konstrukt. Die Entscheidung des Betroffenen hat exemplarische Bedeutung. Daher ist das Sterben im Film auch kein rein individueller Akt sondern ein vom Drehbuchautor, also nicht vom Betroffenen, verfügter Vorgang. Anders als im konkreten Leben, wo sich die Handlung am Lebensende jeder moralischen Beurteilung entzieht, ist die filmische Behandlung des Themas sehr wohl moralischen Kriterien zugänglich. Ich bin mir bewusst, dass diese Auffassung nicht unwidersprochen bleiben wird. Doch nicht zuletzt deshalb sind wir hier zusammen gekommen, um nicht nur über Filme zu sprechen sondern auch über das, was mit dem Medium Film im Leben eines jeden Einzelnen bewirkt werden soll.