zum Seiteninhalt springen

Email-Newsletter 08/2009 – IMEW konkret Nr. 12: "Klassifizierung von Behinderung"

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Hiermit möchten wir Ihnen unser neuestes IMEW konkret Nr. 12 zusenden zum Thema

 

IMEW konkret 12 Klassifizierung von Behinderung

 

Klassifikationen sind Instrumente der Sozial- und Gesundheitspolitik. Mit ihrer Hilfe werden individuelle Beeinträchtigungen sowie Einschränkungen der Teilhabe festgestellt, um den Anspruch auf Leistungen (sächliche und personelle Unterstützungen) zu begründen. Marianne Hirschberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin des IMEW, legt im IMEW konkret 12 dar, welche Bedeutung die aktuelle behinderungsspezifische Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat, die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF).

 

Die WHO erfüllt mit der ICF den eigenen Anspruch, Behinderung nicht nur als individuelles Charakteristikum, sondern auch als gesellschaftliches Thema zu begreifen. Nach wie vor tritt die gesellschaftliche Perspektive jedoch hinter die individuelle, medizinische, zurück. Gleichwohl zieht Marianne Hirschberg folgendes Fazit: „Die ICF als Behinderungsklassifikation ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu dem Ziel, das im SGB IX und BGG benannt ist: Die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zu verwirklichen.“

 

Sie können gerne eine gedruckte Fassung des IMEW konkret 12 „Klassifizierung von Behinderung“ kann per email bestellen. Ein Bestellformular mit weiteren Publikationen (u.a. die imew Expertise von Marianne Hirschberg „Die Klassifikation von Behinderungen der WHO“) finden Sie am Ende des Newsletters.

 

Außerdem möchte ich Sie auf die Fachtagung hinweisen, der der PARITÄTISCHE gemeinsam mit dem IMEW durchführt.

 

Die Verankerung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen – den Prozess mitgestalten

 

25. Juni 2009, 10:30 – 17:15 Uhr, Berlin

 

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Website. Das Anmeldeformular erhalten Sie bei uns. Anruf oder email genügt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Katrin Grüber

Leiterin des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft

 

_________________________________________________________________________

 

IMEW konkret 12 Klassifizierung von Behinderung

 

Klassifizierung von Behinderung

 

Klassifikationen strukturieren und ordnen Gruppen oder Dinge nach bestimmten Kriterien (Zaiß et al. 2002). Sie erschaffen dadurch ein Ordnungssystem, mit dem beispielsweise Krankheiten und Behinderungen einer Bevölkerung nach Entstehung und Wirkung eingeordnet werden können, um auf dieser Grundlage gesundheitsfördernde und rehabilitative Maßnahmen zu entwickeln.

Klassifikationen von Krankheiten gibt es bereits seit Jahrhunderten und in allen Heiltraditionen, so u.a. in Indien, Mexiko oder auch in der Vier-Säfte-Lehre vor der Neuzeit in Europa (Ackerknecht 1992, Nutton 1993). Mit ihnen wurden innere und äußerlich sichtbare Krankheiten, Verletzungen, Brüche sowie Krankheiten des Körpers und des Geistes unterschieden. Seit 1946 gibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Klassifikationen von Krankheiten heraus. Derzeit wird die zehnte Klassifikation, die International Classification of Diseases (ICD-10) grundlegend überarbeitet, ihre Neufassung soll 2014 verabschiedet werden (WHO 2005).

Nachdem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Behindertenverbände sowie die erstarkende internationale Behindertenbewegung in den späten 1960er und den 1970er Jahren kritisiert hatten, dass eine Behinderung nicht mit einer Krankheit gleichzusetzen ist, entwickelte die WHO die Internationale Klassifikation von Schädigungen, Beeinträchtigungen und Behinderungen, die International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH) (Hunt 1966, Sander 1978). Mit ihr unterschied die WHO 1980 erstmals Behinderung und Krankheit.

Aufgrund verschiedener Mängel leitete die WHO Anfang der 1990er Jahre einen Revisionsprozess ein, in dem vor allem die Konstruktion von Behinderung verändert wurde (Hirschberg 2003). Zum ersten Mal wurde auch das Umfeld des Individuums in das Blickfeld genommen. Behinderung wird in der ICF nicht mehr (wie in der ICIDH) als kausale Folge einer Krankheit oder Schädigung angesehen, sondern als Ergebnis der Interaktion verschiedener Komponenten. 2001 verabschiedete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die aktuelle behinderungsspezifische Klassifikation, die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Diese Klassifikation ist international gültig und in Deutschland rechtlich durch das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) implementiert.

Mit den behinderungsspezifischen Klassifikationen der WHO kann Ausmaß und Häufigkeit von Behinderung weltweit erfasst und für unterschiedliche Belange handhabbar gemacht werden, z. B. um Daten über Behinderung für den (inter-)nationalen Vergleich zu erheben und so das Ausmaß von Behinderung zu erfassen. Diese Statistiken dienen dazu, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung zu entwickeln. Die ICF bildet die Basis für rehabilitationsbezogene Maßnahmen, weswegen sie gesundheitspolitisch bedeutsam ist (Greving 2002). So stellt sie u.a. in den Hilfsmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses die Grundlage für Entscheidungen darüber dar, welche Hilfsmittel als Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden (GBA-Richtlinie 2008).

 

 

Gesellschaftliche Bedeutung von Klassifikationen

 

Klassifikationen sind Instrumente der Sozial- und Gesundheitspolitik. Mit ihrer Hilfe werden individuelle Beeinträchtigungen sowie Einschränkungen der Teilhabe festgestellt, um den Anspruch auf Leistungen (sächliche und personelle Unterstützungen) zu begründen. Gleichzeitig können sie jedoch Stigmatisierungen Vorschub leisten, da die Behinderung eines Menschen von medizinischer Seite als defizitär beurteilt wird.

Gesundheits- und sozialpolitisch relevante Klassifikationen konstituieren somit ein Spannungsfeld zwischen sozialer Teilhabe und sozialer Ausgrenzung. Die Problematik dieses Spannungsfeldes lässt sich anhand der ICF verdeutlichen.

 

 

Konzeption der ICF

 

Der Kern der ICF ist ihr Behinderungsbegriff. Dieser zeigt, welche Vorstellung die WHO von Behinderung hat und wie sie Behinderung konstruiert. Während im medizinischen Modell davon ausgegangen wird, dass Behinderung ausschließlich ein individuelles Problem ist, führt das soziale Modell eine Behinderung auf die gesellschaftlichen Hindernisse für Menschen mit Beeinträchtigungen zurück (Barnes/Mercer/Shakespeare 2003). Die WHO hat den Anspruch, diese beiden Modelle in einem biopsychosozialen Ansatz zu vereinen (WHO 2001: 20). Dieser Ansatz bleibt jedoch ein erster Versuch, weil das medizinische Modell weiterhin stärkeres Gewicht hat als das soziale Modell (Hirschberg 2009).

Im Gegensatz zur ICIDH ist die ICF an alle Menschen adressiert (WHO 2001: 7). Dennoch ist sie primär für behinderte Menschen relevant, da deren Behinderung beurteilt und daraufhin Unterstützungsleistungen zugewiesen werden. Es wird jedoch jeweils nur die Behinderung und nicht ebenfalls die besondere Fähigkeit eines Menschen klassifiziert – also ausschließlich negativ und nicht auch positiv.

Die WHO konstruiert Behinderung als Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer Komponenten: Körperfunktionen und -strukturen, Aktivität, Teilhabe, Umweltfaktoren und Personbezogene Faktoren eines Menschen. Letztere werden aufgrund ihrer großen sozialen und kulturellen Vielfalt allerdings noch nicht klassifiziert (WHO 2001: 8).

 

 

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung

 

Die ICF beurteilt Behinderung umfassend. Nicht nur die körperlichen, individuellen und gesellschaftliche Komponenten von Behinderung, sondern auch das private Umfeld und die persönlichen Lebenserfahrungen sowie die für einen Menschen spezifischen Barrieren und Unterstützungsfaktoren werden klassifiziert. Hierdurch werden nicht nur die Schwierigkeiten, mit einer Behinderung zu leben, sondern auch die individuellen Ausgleichsmöglichkeiten erfasst und in die Klassifizierung einbezogen. Diese umfassende Klassifizierung ist ambivalent; während einerseits eine ausführliche Beurteilung der Lebenssituation den Menschen nicht auf seine Schädigung reduziert, werden andererseits viele persönliche Informationen erfasst. Persönliche Erfahrungen lassen sich jedoch nicht objektiv vergleichen, da sie einzigartig sind.

In der Sekundärliteratur zur ICF wird darauf verwiesen, dass die Personbezogenen Faktoren auch die genetischen Faktoren eines Menschen umfassen (Schuntermann 2005). Wegen der generellen Brisanz ihrer zukünftigen Beurteilung entwickelt derzeit eine deutsche WHO-Arbeitsgruppe ethische Richtlinien zur Klassifizierung und Kategorisierung dieser Komponente (Geyh et al. 2007). Wenn jedoch die individuelle genetische Konstitution eines Menschen beurteilt würde, könnte dies diskriminierende Implikationen haben.

Da bisher nur eine gemeinsame Kategorienliste für Aktivität und Teilhabe besteht, lassen sich die Teilhabeeinschränkungen eines Menschen zwar kategorisieren, jedoch noch nicht fundiert operationalisieren. Auch wenn Aktivität und Teilhabe separat klassifiziert werden können, gibt es keine auf die jeweilige Komponente bezogenen Kategorien. Ein weiteres Problem liegt darin, dass beispielsweise der individuelle Bedarf eines Fortbewegungsmittels nicht hinreichend spezifiziert wird, da ein Rollstuhl, ein Skooter oder eine Gehhilfe unter der gleichen Unterkategorie (e1201) aufgeführt sind (WHO 2001: 174). Im Gegensatz zu den Kategorien von Aktivität, Teilhabe und den Umweltfaktoren sind die Körperfunktionen und -strukturen stärker unterkategorisiert. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die ICF weiterentwickelt werden sollte, um in der Praxis besser zur Teilhabeförderung eingesetzt werden zu können.

 

 

Resümee: Das innovative Potenzial der ICF nutzen

 

Die ICF ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass sie Vorstellungen beider Modelle, des medizinischen und des sozialen Modells, aufgreift. Sie bildet mit ihrem biopsychosozialen Ansatz eine entscheidende Grundlage zur Umsetzung des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe. Es ist empfehlenswert, die gesellschaftliche Perspektive von Behinderung weiter auszubauen, damit diese nicht länger hinter der individuellen Perspektive zurücksteht. Hierzu gehört zum einen eine Ausdifferenzierung der Umweltfaktoren, des Weiteren eine eigenständige Klassifizierung der Teilhabekomponente, weil dadurch die gesellschaftliche Benachteiligung von behinderten Menschen beurteilt werden kann. Es wäre wünschenswert, dass behinderte Menschen verstärkt an der Entwicklung der Klassifikation beteiligt werden und zwar nicht nur in der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der Umweltfaktoren, sondern darüber hinaus auch grundlegend. Sie sollten nicht nur als ,von der Klassifizierung ihrer Behinderung Betroffene‘ beteiligt werden, sondern auch als fachliche Expertinnen und Experten.

Die ICF als Behinderungsklassifikation ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu dem Ziel, das im SGB IX und BGG benannt ist: Die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zu verwirklichen.

Marianne Hirschberg

 

 

Das Literaturverzeichnis ist unter www.imew.de abrufbar.

Eine elektronische Fassung ist zu finden unter www.imew.de/fileadmin/Dokumente/Volltexte/IMEW_konkret/ik12_Klassifizierung.pdf

Mai 2009

 

_______________________________________________________________________

 

IMEW Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft gemeinnützigeGmbH

Warschauer Str. 58A, D-10243 Berlin

fon: +49 (030) 293817-70

fax: +49 (030) 293817-80

email: info@imew.de

 

Alle erforderlichen Pflichtangaben zur Gesellschaft im Sinne des § 35a GmbHG erhalten Sie im Impressum auf www.imew.de

 

- Bitte senden Sie mir das Anmeldeformular für die Veranstaltung zur UN-Konvention zu___

- Ich bestelle ______ Expl. der Printversion des neuen IMEW-konkret Nr. 12

- Ich bestelle ______ Expl. der Printversion des IMEW-konkret Nr. 11 „UN-Konvention“

- Ich bestelle ______ Expl. der Printversion des IMEW-konkret Nr. 10 zum Thema „Disability Mainstreaming“

- Bitte, schicken Sie uns _____ Expl. des IMEW-Faltblattes „Unsere Stärke: die andere Perspektive“ zur Weitergabe zu.

 

- Bitte, schicken Sie uns _____ Expl. der IMEW-Expertise Nr. 1 „Die Klassifikationen von Behinderung der WHO“ von Marianne Hirschberg,ISBN 978-3-9809172-0-9, 6,-€ zuzügl. 2,-€ Versandkosten

 

- Gerne unterstützen wir die Ziele des IMEW und setzen von unserer website einen Link zu www.imew.de

 

- Wir haben das neuen IMEW-konkret Nr. 12 in unserer Publikation __________________________ abgedruckt und senden ihn hiermit ein Belegexemplar zu.

 

 

Vorname, Name: ________________________________________________

 

Straße: _______________________________________________________

 

PLZ,Ort: ______________________________________________________

 

Tel.: _________________________________________________________

 

Email: ________________________________________________________

 

 

Datum, Unterschrift:___________________________________________

 

_______________________________________________________________

 

Alle erforderlichen Pflichtangaben zur Gesellschaft im Sinne des § 35a gmbHG erhalten Sie im Impressum auf www.imew.de

 

Stärken Sie die Perspektive Behinderung durch Ihre Spende an das IMEW !

 

IMEW Spendenkonto-Nr.: 32 82 101, Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 100 205 00) Vermerk: Spende von "Ihr Name, Ihre Anschrift"

 

Für jede Spende erhalten Sie einen herzlichen Dank und eine Zuwendungsbescheinigung für Ihre Steuererklärung!

 

Seitenanfang


© 2008 | IMEW - Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft
www.imew.de