Angela Hörschelmann

„Unsere Situation ist eine einmalige Gelegenheit!“ – Krebserkrankung in den Spielfilmen "Mein Leben ohne mich" und "Das Beste kommt zum Schluss"

Vortrag bei der Tagung "Tod und Sterben in den Medien"

Berlin, September 2008

 

Die Allgegenwart des Sterbens im Film

Sterben im Spielfilm ist allgegenwärtig, kaum ein Film, in dem nicht gestorben wird. Wir als Zuschauer sind Zeuge von unzähligen Toden und Toten in Western, Sience Fiction und Historienfilmen geworden. Filmliebhaber und Fachleute werden nicht müde, die „schönsten“ Sterbe- und Todesszenen der Kinogeschichte zu küren. Bei der Wahl der besten Sterbeszenen, die zum Beispiel das britische Filmmagazin Total Film 2004 durchführte, lag die Duschszene aus Psycho (Alfred Hitchcock, 1960) auf Platz eins, Rang zwei ging an den Ritt des Hauptdarstellers in Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben (Stanley Kubrick, 1964) und Platz drei an den tödlichen Sturz des Riesengorillas im gleichnamigen King Kong von 1933 (Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack).[1] Die Filmsite im Internet listet – diesmal chronologisch – gleich mehrere hundert „Greatest Movie Death Scenes“ auf.[2] Mit dabei ist hier die Szene aus Nosferatu, in der Graf Orlok durch die aufgehende Sonne den Tod eines jeden Vampirs stirbt (F.W. Murnau, 1922). Einer der jüngeren Einträge bezieht sich auf eine Szene aus Das Leben der anderen, in der sich Christa-Maria Sieland, gespielt von Martina Gedeck, in suizidaler Absicht vor ein Auto wirft, weil sie glaubt ihren Geliebten an die Staatssicherheit verraten zu haben.

Bei aller Unterschiedlichkeit: Mit dem alltäglichen Sterben haben diese Filme nichts zu tun und in der Tat finden sich in den genannten Best-off-Listen verhältnismäßig wenig Filme, die sich mit der Endlichkeit menschlichen Lebens und dem Umgang mit dem nahenden Tod auseinandersetzen oder gar der Frage nachgehen, ob es ein „gelingendes“ Sterben gibt und wie dieses Aussehen könnte. Ein schönes Beispiel für eine weit verbreitete Vorstellung vom „guten“ und „gelingenden“ Sterben sehen wir im Film Antonias Welt (Marleen Gorris, 1995): Wir werden Zeuge einer Idealvorstellung vom Tod: Antonia erwacht nach einem langen, erfüllten, eigensinnigen Leben eines Morgens, mittlerweile fast 90jährig, und weiß, dass sie heute noch sterben wird. Sie ruft die Menschen zu sich ans Bett, mit denen sie dieses Leben geteilt hat, schaut jeden noch einmal an, widmet jedem noch einmal ihre Gedanken und tut – lebenssatt – ihren letzten Atemzug. Im extremen Gegensatz hierzu steht die Sterbeszene im Film 21 Gramm (Alejandro González Iñárritu, 2003). Hier stirbt der todkranke Paul Rivers, gespielt von Sean Penn, weil sein Körper das transplantierte Herz abstößt und er sich einer erneuten Transplantation verweigert, auf der Intensivstation. Er stirbt allein, beatmet, ohne die Möglichkeit sich zum Schluss noch einmal mitzuteilen, ohne Zusprache.

 

Zum Inhalt: Mein Leben ohne mich und Das Beste kommt zum Schluss

Auch im Zentrum des vorliegenden Textes stehen zwei Filme, die von Menschen erzählen, deren Leben durch eine schwere Krankheit bedroht ist und deren Lebensende in naher Zukunft bevorsteht. Allerdings bleibt den Protagonisten hier – im Unterschied zu Paul Rivers – noch aktive Lebenszeit und die Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten. Die Rede ist von Mein Leben ohne mich (Isabel Coixet, 2003) und Das Beste kommt zum Schluss (Rob Reiner, 2007). Dabei soll der Frage nachgegangen werden, was uns diese Filme über die Vorstellung des Regisseurs – und somit auch über gesellschaftlich virulente Vorstellungen – vom „guten Tod“ und vom „gelingenden Sterben“ mitteilen können. Was macht dieses „gelingende Sterben“ aus, wie wird es in Szene gesetzt, können uns diese Filme gar eine Handreichung sein im Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit, in unserem eigenen Sein zum Tode hin?

Zum Inhalt: Mein Leben ohne mich erzählt die Geschichte von Ann. Die 23jährige Mutter zweier Töchter, vier und sechs Jahre alt, erfährt, dass sie unheilbar krank ist. Sie hat einen Tumor an beiden Eierstöcken, der bereits den Magen erreicht hat und sich nun auf die Leber ausbreitet. Nach Aussage des Arztes hat sie noch zwei, möglicherweise drei Monate zu leben. Ann behält die Diagnose für sich und bereitet sich auf ihren Tod und ihre Familie auf das Leben ohne sie vor. In Das Beste kommt zum Schluss haben die Protagonisten Edward Periman Cole (um die achtzig) und Carter Chambers (Mitte sechzig) zunächst nichts gemeinsam als ihre tödliche Krankheit, und zwar einen Hirn- bzw. Lungentumor. Cole ist reich und exzentrisch. Er schwört auf die Luxuskaffeemarke Kopi Luwak, den teuersten Kaffee der Welt. Alles Zwischenmenschliche überfordert ihn. Er hat vier gescheiterte Ehen hinter sich, seine einzige Tochter hat den Kontakt zu ihm abgebrochen. Chambers, der sich selbst als Instantcoffeeman bezeichnet, ist seit 45 Jahren verheiratet und Vater dreier erwachsener, wohlgeratener Kinder. Um die Familie durchzubringen, hat er sein Philosophiestudium aufgegeben und arbeitet als Automechaniker. „Ich wollte immer noch mal zurück, aber 45 Jahre vergehen ziemlich schnell.“ Konfrontiert mit der ihnen verbleibenden Lebenszeit und zunehmend in Freundschaft miteinander verbunden, reisen sie gemeinsam um die Welt, erfüllen sich letzte Wünsche und holen an menschlicher Entwicklung nach, was sie bisher versäumt haben.

 

Krebs als Motiv im Spielfilm

Die Anzahl der Filme, in denen Krebs als Motiv auftaucht, ist immens. Bereits im Jahr 2001 hatte eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Wulff 250 Spielfilme erfasst, in denen Haupt- oder Nebenfiguren an Krebs erkrankt sind. Seither sind einige dazu gekommen, so zum Beispiel Der alte Affe Angst (Oskar Roehler, 2003), Out of time (Carl Franklin, 2003), Die Zeit die bleibt (Francois Ozon, 2005), Constantine (Francis Lawrence, 2005), Emmas Glück (Sven Taddicken, 2006) und Kirschblüten -Hanami (Doris Dörrie, 2008) – um nur einige zu nennen. Schon diese kurze Auflistung macht deutlich, in welch unterschiedlichen Filmen Krebs eine Rolle spielt. Es sind Comicverfilmungen darunter, Komödien, Beziehungsdramen. Die Funktion, die die Krebserkrankung innerhalb der Handlung einnimmt, ist ebenso unterschiedlich. Der alte Affe Angst erzählt die Geschichte des sensiblen Regisseurs Robert und seiner Freundin Marie. Als Robert erfährt, dass sein Vater unheilbar an Krebs erkrankt ist, nimmt er nach Jahren des Schweigens wieder Kontakt zu ihm auf. Doch kurz darauf stirbt der Vater, ohne dass die Konflikte der beiden gelöst wurden. Robert, ohnehin geplagt von künstlerischen Zweifeln und Ängsten, begibt sich immer mehr auf einen selbstzerstörerischen Ego-Trip. Die Krebserkrankung betrifft hier eine Nebenfigur, der Krebstod eines anderen nahen Menschen stürzt die Hauptfigur(en) in eine existenzielle Krise. In anderen Filmen wird die Krankheit benutzt, man möchte fast sagen missbraucht, um das höchst mögliche dramatische Potential aus der Geschichte herauszuholen. So etwa der Film Love Story aus dem Jahre 1969 (Arthur Hiller). Ein mittelmäßiger Student aus reichem konservativem Elternhaus und die Tochter mittelloser italienischer Einwanderer – intellektuell und musisch äußerst begabt – verlieben sich ineinander und heiraten gegen den Willen seiner Eltern. Es folgt ein einfaches, entbehrungsreiches Leben. Als sich endlich alles zum Besseren wendet – nach circa hundert Filmminuten – erkrankt sie an Leukämie und ist zwanzig Filmminuten später tot, entschlafen in seinen Armen, schön wie am ersten Tag, ein bisschen durchsichtiger und ätherischer vielleicht.

In Mein Leben ohne mich und Das Beste kommt zum Schluss stehen Figuren im Mittelpunkt der Handlung, die von Anfang an um ihre Krebserkrankung wissen und sich zu ihr verhalten. Diese Art der Darstellung scheint in den letzten Jahren zugenommen zu haben, ebenso wie der Rückgriff auf die Form der Komödie bzw. Tragikomödie. Ein Beispiel hierfür ist der Film Emmas Glück, in dem sich Liebesgeschichte und melodramatische Elemente mit einer leichten Landlebenkomödie – und mit dem Thema Sterbehilfe – mischen. Oder eben Das Beste kommt zum Schluss, ein Buddy-Movie, der seinen Kinoerfolg ganz sicher auch seinem komödiantischen Potential zu verdanken hat.

 

Der Mythos vom Krebs als Krankheit zum Tode

Zunächst ist einmal zu klären, warum Regisseure auf die Krankheit Krebs zurückgreifen: Zum einen ist der Krebstod kein schneller Tod. Die Protagonisten werden nicht aus dem Leben gerissen wie der Westernheld durch die tödliche Kugel des Kontrahenten. Krebs lässt, obwohl er das Leben vorzeitig zu beenden droht, Zeit zu sterben und somit Zeit, sein Leben zu reflektieren und zu ordnen, ja womöglich sogar, um Dinge (wieder) gut und besser zu machen. Um diese Situation zuzuspitzen, inszenieren nahezu alle Filme die Krebserkrankung als Krankheit zum Tode hin. Es hat sich somit an den Beobachtungen Susan Sontags zumindest im Film nichts geändert. In ihrem Essay „Krankheit als Metapher“ von 1977 stellte sie fest, dass in der populären Vorstellung Krebs gleich Tod sei.[3] Sie forderte dazu auf, mit der Metaphorisierung von Krebs Schluss zu machen und ihn zu entmystifizieren. Sie wollte, so schreibt sie zehn Jahre später rückblickend in ihren „Gedanken beim Wiederlesen von Krankheit als Metapher“, dass man Krebs „als Krankheit betrachten lernt – eine ernste Krankheit, aber eben eine Krankheit, weder Fluch noch Strafe noch Peinlichkeit. Eine Krankheit ohne ‚Bedeutung’. Und nicht zwangsläufig eine Krankheit zum Tode (es ist eine Mystifikation, dass Krebs gleichbedeutend ist mit Tod)“.[4] Und sie stellt fest, dass sich in den letzten zehn Jahren die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Krebs gewandelt habe und dass Krebs mittlerweile von weniger Phobien und von weniger Geheimniskrämerei umgeben sei als früher. Dieser Trend scheint sich mit Blick auf die zahlreichen bekennenden krebskranken Prominenten der letzten Zeit fortzusetzen. Die Diagnose Krebs scheint heute weit weniger mit Scham besetzt zu sein, Prominente gehen heute mit ihrer Krebserkrankung an die Öffentlichkeit: So haben die Schauspielerinnen Cynthia Nixon und zuletzt Christina Applegate sowie die Sängerinnen Anastacia und Kylie Minogue ihre Krebserkrankung publik gemacht. Und selbst wenn man hier öffentlichkeitswirksame PR-Strategien unterstellt, so sagt dies etwas aus über einen neuen Umgang mit Krebs. Würde er weiterhin als Makel, als obszön empfunden – „im ursprünglichen Sinne des Wortes: als unter einem bösen Omen stehend, abscheulich, abstoßend für die Sinne“[5] – dann wäre der öffentliche Umgang nach wie vor von Verschwiegenheit und Scham bestimmt.

Im Film hat der Mythos vom Krebs als Krankheit zum Tode hin überlebt. Auch ist er dort alles andere als eine Krankheit ohne Bedeutung. Als Carter Chambers zögert, das Angebot Edward Coles anzunehmen und mit ihm noch einmal jede Menge verrückte Dinge zu tun – Fallschirm springen, sich tätowieren lassen, einen Mustang Shelby fahren – fragt Cole ihn: „Was denkst du passiert jetzt? Dass ich mich hinsetze und mir weiterhin anhöre, wie Leute über Finanzierungslücken und Altkreditverbindlichkeiten reden und so tue als interessiere mich totes Kapital? Und du gehst zu Hause in einer feierlichen Prozession in den Tod, während alle um dich herumstehen und dir beim Sterben zusehen und du wahrscheinlich noch allen Mut zusprichst. Willst du das, erstickt werden von Kummer und Mitleid.” Dass Ann in Mein Leben ohne mich niemandem von ihrer Krebserkrankung und dem nahen Ende erzählt, ist ähnlich motiviert: Sie möchte in der Zeit, die ihr bleibt, nicht von Mitleid und Kummer umgeben sein. Sie möchte ihrem Mann, den Kindern, der Mutter diesen Kummer ersparen.

 

Der Tod ist sicher, seine Stunde gewiss

Der unvermeidliche Tod tritt innerhalb eines überschaubaren und für jeden Zuschauer nachvollziehbaren Zeitraums ein. Ironisch überspitzt sind es im Film Die 92 Minuten des Herrn Baum, (Assi Dayan, 1997) die Titel gebenden 92 Minuten, die dieser von der Diagnose bis zum mathematisch errechneten Tod noch hat, um sein Leben – für uns Zuschauer in Echtzeit – zu ordnen. Ann, die Protagonistin in Mein Leben ohne mich, hat noch zwei, möglicherweise drei Monate zu leben, bevor ihr ihre – um es mit Susan Sontag zu sagen – „dämonische Schwangerschaft“[6] den Tod bringen wird. Carter Chambers und Edward Periman Cole, den Protagonisten aus Das Beste kommt zum Schluss bleiben noch sechs Monate, „maximal, ein Jahr“, so der Arzt im Aufklärungsgespräch.[7]

Jeder kennt den Ausspruch: Der Tod ist sicher, seine Stunde ungewiss. Wie in der Einladung zur Tagung formuliert, sind die persönlichen Erfahrungen mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft zurückgegangen, das Sterben ist häufig herausgelöst aus Familie und Alltag. In Zeiten, in denen die Lebenserwartung jenseits der 80 liegt und in denen uns täglich Nachrichten über medizinische Fortschritte, pharmazeutische und technische Neuerungen erreichen, scheint es gar nicht mehr so zwingend, dass der Tod sicher ist: Und so trifft unsere Protagonisten – stellvertretend für den Zuschauer – die Nachricht vom bevorstehenden eigenen Tod aus heiterem Himmel. Sie werden nicht nur mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert, sondern die Todesstunde ist plötzlich klar definiert, sie ist zum Greifen nah.

Was tun Ann, Cole und Carter in diesem nun nicht mehr nur abstrakten Leben zum Tode hin? Zunächst einmal ist die Diagnose ein Schock, auch für Carter Chambers, dessen Stimme uns aus dem Off, während der Arzt ihm die wahrscheinlich noch verbleibende Lebenszeit mitteilt, wissen lässt: „Es gab mal eine Umfrage, in der wurden tausend Leute gefragt, ob sie im Voraus den genauen Tag ihres Todes wissen wollen. 96 Prozent sagten nein. Ich hatte immer zu den anderen vier Prozent tendiert. Ich dachte es wäre befreiend zu wissen, wie viel Zeit man noch hat, mit der man etwas anfangen kann. Es stellte sich heraus, dass dem nicht so ist.“

 

Things to do

Visualisiert wird dies, indem Carter die Liste zerknüllt und auf den Boden wirft, die er – noch nicht um den „genauen“ Zeitpunkt wissend – zu schreiben begonnen hat. Diese Bucket- oder Löffel-Liste ist eine Aufgabe in vorausschauendem Denken aus seinem abgebrochenen Philosophiestudium. Damals hatte der Professor seine Studenten angeregt, die Dinge aufzulisten, die sie tun wollen, bevor sie sterben. Vier Punkte stehen dort: einem Fremden etwas Gutes tun, lachen bis ich weine, etwas Majestätisches erfahren – und einen Mustang Shelby fahren. Sein Schicksalsgenosse Cole nimmt die Liste an sich und erweitert sie um seine Favoriten: Er will, so lässt er Carter Chambers wissen, wie ein richtiger Mann abtreten, mit Pauken und Trompeten, Feuerwerk, Kanonenschüssen, Ramba Zamba: Er will Fallschirm springen, sich tätowieren lassen, das schönste Mädchen der Welt küssen – ein weiterer Hinweis auf die Gegensätzlichkeit der Charaktere.

Ann behält die Diagnose für sich. Auch sie schreibt eine Liste mit Dingen, die sie tun will, bevor sie sterben wird: den Töchtern öfter sagen, dass sie sie lieb hat; eine neue Frau für ihren Mann und eine Mutter für die Mädchen finden; Geburtstagsgrüße für die Mädchen bis sie achtzehn sind aufzeichnen; ein Picknick am Meer; Rauchen und Trinken; sagen was sie denkt; mit einem anderen Mann schlafen; jemanden in sich verliebt machen; den Vater im Gefängnis besuchen; fälsche Nägel und was mit den Haaren machen.

Bevor es ans Sterben geht, macht dann in beiden Filmen das Abarbeiten der Liste einen großen Teil der Handlung aus. Auch wenn der Tod, wie bei Chambers, etwas früher kommt, so lässt er doch die Chance, die wichtigen Dinge, die noch getan werden sollten, zu tun, Versäumtes nachzuholen, im Reinen mit sich und den Seinen zu sterben. Der Tod ist insofern in den meisten der Filme pünktlich, als dass er Zeit lässt für die noch zu erledigenden Dinge. Ebenso ist es in den Filmen kein Motiv, dass die Vorhersagen der Ärzte zu kurz greifen und dem Leben weitere Zeit zugeschlagen wird, etwas, das im „richtigen“ Leben durchaus passiert.

 

Sterben im Off

Im Film kann die Vergänglichkeit nur als Verschlechterung und Wenigerwerden eines Menschen inszeniert werden: Ann wird zusehends dünner, ebenso die an Krebs erkrankten Protagonisten in Die Zeit die bleibt, Love Story, Emmas Glück. Der Tod selbst wird im Film symbolisch dargestellt, so etwa in Antonias Welt durch das sprichwörtliche Aushauchen des Atems und das seufzende Augenschließen. In Das Beste kommt zum Schluss stirbt Carter Chambers im Off während einer Operation. Erst nachdem er gestorben ist sehen wir ihn auf dem OP-Tisch liegend, sein vollzogenes Sterben wird in Szene gesetzt durch eine für Sterbeszenen klassische Kamerabewegung: Die Kamera steigt, bzw. schwebt in die Höhe, weg von der leiblichen Hülle des Verstorbenen.

Ann liegt in der letzten Szene des Films im Bett und beobachtet durch einen feinen Glasperlenvorhang das Leben ohne sie, das aufgrund ihrer präzisen Vorbereitungen schon begonnen hat. Die junge, sympathische Nachbarin bereitet zusammen mit ihrem Mann Don das Abendbrot für die Kinder vor. Anns Stimme aus dem Off: „Du betest, dass so dein Leben ohne dich sein wird, du betest, dass die Mädchen diese Frau lieben, die genauso heißt wie du, und dass dein Mann sie auch irgendwann lieben wird. Und dass sie alle im Haus nebenan wohnen und die Kinder im Wohnwagen Puppen spielen und dass sie sich kaum noch an ihre Mutter erinnern (…) Du betest, du betest, du weißt gar nicht zu wem oder was du betest, aber du betest. Du trauerst dem Leben, das du nicht mehr erleben wirst, gar nicht nach, weil du dann nämlich schon tot bist und Tote fühlen nichts, nicht mal Trauer.“ Anns Sterben, d.h. der konkrete Übergang vom Leben zum Tod wird nicht gezeigt. Stattdessen ein Schnitt auf ihr Leben ohne sie: Don und die Nachbarin bereiten mit den Kindern ein Picknick vor. Anns frustrierte Mutter trifft sich endlich mal wieder mit einem Mann, Lee, der Geliebte, streicht endlich sein Haus und richtet es ein. Das Leben ohne Ann geht weiter – und es geht gut weiter.

Isabel Coixet ist für ihren Film hoch gelobt worden: Sie gleite trotz des schweren Themas nie ins plump Gefühlige ab und verfalle „trotz des Kitsch-Szenarios, wie man es sich heftiger nicht ausmalen möchte, doch nie in billige Sentimentalität“[8]. Eine Rezensentin allerdings wundert sich: „Wenn dabei etwas befremdet, so ist es die Tapferkeit der Protagonistin. In keinem Augenblick begehrt Ann gegen die Krankheit auf. Sie fügt sich, und das wirft Fragen auf: Warum richtet es Coixet so ein, dass die Figur ungerührt zuschaut, wie sie aus der Welt geht? Warum setzt Ann alles daran, ihre Abwesenheit so vorzubereiten, dass man sie kaum bemerken wird?“[9] Und in der Tat: Bei aller Trauer und Traurigkeit fällt die Effizienz und Zielstrebigkeit auf, mit der Ann ihre Liste abarbeitet. Das alles hat so gar nichts mit der Entrüstung über den Tod zu tun, die ja durchaus verständlich wäre und die aus anderen Zusammenhängen bekannt ist. Erinnert sei hier zum Beispiel an die ungeheure Wucht und Wut, mit der Bazon Brock in einem Nachruf auf Siegfried Kracauer jeden Versuch, dem Tod Sinn zuzusprechen, entgegnet: »Der Tod muss abgeschafft / werden, diese verdammte / Schweinerei muss aufhören. / Wer ein Wort des Trostes / spricht, ist ein Verräter.« – Der Tod als Skandal, gegen den man protestieren muss.

 

Der stille Tod

Anns Tod scheint ein „leichter Tod“. Ebenso wie der von Carter Chambers auf dem OP-Tisch oder der Edward Periman Coles, zu dem es aus dem Off heißt: „Edward Periman Cole starb im Mai. Es war ein Sonntagnachmittag und es war nicht eine Wolke am Himmel.“ Nach Kampf und Widerstand hört sich das nicht an. Kein Aufbegehren, kein Ringen mit dem Tod, wie uns das – um ein literarisches Beispiel zu bringen, aber vielleicht hat da die Literatur auch andere Möglichkeiten? – aus dem Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke bekannt ist.

 

Christoph Detlevs Tod lebte nun schon seit vielen, vielen Tagen auf Ulsgaard und redete mit allen und verlangte. Verlangte, getragen zu werden, verlangte das blaue Zimmer, verlangte den kleinen Salon, verlangte den Saal. Verlangte die Hunde, verlangte, dass man lache, spreche, spiele und still sei und alles zugleich. Verlangte Freunde zu sehen, Frauen und Verstorbene, und verlangte selber zu sterben: verlangte. Verlangte und schrie. (…) schrie und stöhnte, brüllte so lange und anhaltend, dass die Hunde, die zuerst mitheulten, verstummten und nicht wagten sich hinzulegen und, auf ihren langen, schlanken, zitternden Beinen stehend, sich fürchteten. (…) Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ sich nicht drängen. Er war für zehn Wochen gekommen, und die blieb er. (…) Alles Übermaß an Stolz, Willen und Herrenkraft, das Christoph Detlev Brigge selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen können, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saß und vergeudete. Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.[10]

 

Es stellt sich die Frage, ob die ruhige, schicksalsergebene Art, in der die Protagonisten in den Tod gehen, in etwas Transzendentem, etwa im Glauben an ein Leben nach dem Tod begründet ist. Zu den Gegensätzlichkeiten, die Carter Chambers und Edward Cole charakterisieren gehört auch, dass Carter an Gott glaubt und diesen Glauben gegen den zweifelnden Edward Cole verteidigt. Auch innerhalb der Inszenierung wird auf so etwas wie ein Jenseits und ein Leben nach dem Tod abgehoben: In der letzten Szene wohnen wir Chambers Beerdigung bei. Cole hält die Trauerrede und weint. Von der Rede aus wird zur Einstiegsszene des Films zurückgeblendet: Wieder sehen wir eine Kamerafahrt über majestätische Berge, Schnee, blauen Himmel: Wir sind im Himalaya, der Ort, der sich Cole und Carter auf ihrer letzen Reise um die Welt verweigert hatte. Schlechtes Wetter machte den Aufstieg damals unmöglich, schlechte Sicht ließ nicht einmal einen Blick auf den Berg zu. Am Ende der Trauerrede wechselt die Stimme aus dem Off zu Carter Chambers Stimme: „Edward Periman Cole starb im Mai. Es war ein Sonntagnachmittag und es war nicht eine Wolke am Himmel. Er war 81 Jahre alt. Ich finde es auch jetzt noch schwer das Leben eines Menschen in seiner Bedeutung zu beurteilen, aber was ich Ihnen sagen kann ist, ich weiß (Hervorhebung der Verfasserin), als er starb waren seine Augen geschlossen und sein Herz war offen.“ Erst jetzt merkt der Zuschauer, dass der schon tote Chambers uns diese Geschichte erzählt hat. Aber von wo? Aus dem Jenseits?

Das Beste kommt zum Schluss stellt hier allerdings eine Ausnahme dar. Die Thematisierung des Glaubens ist meines Erachtens dabei zum einen den Produktionszusammenhängen geschuldet: Schließlich handelt es sich um eine Hollywood-Produktion mit dem Anspruch, ein möglichst breites – zuerst amerikanisches – Publikum zu erreichen. Außerdem dient der Glaube der Kontrastierung der unterschiedlichen Charaktere Carter Chambers und Edward Periman Coles. Für die Mehrzahl der Filme, in denen Protagonisten an Krebs sterben, ist das Fehlen jedweder transzendenter Bezüge oder Vorstellungen/Phantasien von einem Leben nach dem Tod festzustellen. Auf ihrem Sterbebett „betet“ zwar auch Ann: Mit einem Gebet im eigentlichen Sinne hat dies nichts zu tun, denn Ann weiß nicht, an wen sie ihre Worte richtet: „Du betest, du weißt nicht zu wem oder was, aber du betest, aber du betest…“ Ihre Wünsche zielen auf das Wohlergehen ihres Mannes und ihrer Kinder ab, sie selbst oder auch nur die Erinnerung an sie sind aus diesen „Gebeten“ ausgeschlossen.

 

Gelungenes Leben – gelingendes Sterben

Gelingendes Sterben – so die zentrale Aussage der Filme – ist nur möglich nach einem erfüllten Leben, und dies hat mit der verbrachten Lebenszeit nichts zu tun. Ebenso wenig hat es zu tun mit Geld und Erfolg. Es sind die einfachen Dinge, die Ann wie Cole und Chambers in Frieden mit sich und den Ihren gehen lassen: Es sind vor allem gelingende zwischenmenschliche Beziehungen, Liebe, Familie, Vater- oder Mutterschaft. Je nach Perspektive kann man hier von existenziellen oder konservativen Werten sprechen. Am Ende von Das Beste kommt zum Schluss jedenfalls findet der stinkreiche Edward Periman Cole seine letzte Ruhe auf dem Himalaya. Wie schon die Asche Carter Chambers so wird auch seine in einer leeren Büchse einfachen Instantcoffees – und eben nicht in einer Büchse der Luxusmarke Kopi Luwak – auf den Gipfel des Himalaya verbracht. Die Botschaft: Es sind die einfachen Dinge im Leben, auf die es ankommt, Statussymbole verblassen im Angesicht des Todes, Geld kann man nicht mit ins Grab nehmen, das letzte Hemd hat keine Taschen.

Auch wenn die Krebserkrankung die Handlung motiviert, so erzählen die Filme nicht so sehr über Krankheit, Sterben und Tod – sondern im Gegenteil über das Leben. Der Regisseur Sven Taddiken sagte über seinen Film Emmas Glück, er habe einen Film über das Sterben machen wollen, der von der Lust am Leben erzählt. Und „gelingendes“ Sterben, das machen die Filme deutlich, heißt, dass man ein gelungenes Leben hinter sich lässt.

 

Selbstbestimmt bis zuletzt

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den hier vorgestellten Filmen die Krebserkrankung wesentlich für dieses gelungene Leben ist. Dazu halten die Filme einerseits an alten Bildern und Vorstellungen fest, die schon Susan Sontag kritisiert hat: Krebs als Krankheit zum Tode und Krebs als Krankheit mit Bedeutung: Diese Bedeutung erfährt allerdings eine Neuinterpretation. Was zunächst als Katastrophe in das Leben einbricht, entpuppt sich als eine Grundvoraussetzung für „gelingendes“ Leben respektive Sterben. So beschreibt Cole die Erkrankung bzw. das Wissen um die geringe verbleibende Lebenszeit als Chance: „Unsere Situation ist eine einmalige Gelegenheit!“. Und auch Ann konstatiert nach der Diagnose, wenngleich ambivalenter: „Plötzlich willst du alle Drogen der Welt nehmen, aber keine Droge ändert was an dem Gefühl, dass dein ganzes Leben bisher ein Traum war, aus dem du jetzt aufgewacht bist.“ Der vorzeitig drohende Tod ist Auslöser für eine intensive Phase selbstbestimmten Lebens. Indem die Krebsdiagnose die Chance bietet, einen gut vorbereiteten Tod zu sterben, wird der Krebstod uminterpretiert zum guten Tod. Hierzu gehört auch, dass das Sterben selber in den Filmen ausgespart und die Selbstbestimmung/Autonomie so bis in den Tod hinein verlängert wird. „Gelingendes Sterben“, so lassen uns die Filme wissen, heißt, am Ende des Lebens noch einmal die Zügel in die Hand zu nehmen, selbst zu entscheiden, bis zum Schluss Herr der Lage und Vollstrecker der eigenen Wünsche zu sein. Dieses Szenario hat mit dem Sterben aus einer Pflegebedürftigkeit heraus, das auch auf die meisten von uns wartet, nichts zu tun. Hier stehen die Filme ganz im Zeichen einer modernen Form der Rationalisierung des Todes.

 

Ausblick

„Unwürdiges“ Sterben wird heute – im wirklichen Leben und wahrscheinlich auch im Film – mit einer anderen Krankheit assoziiert: mit der Demenz. Krebs ist nicht mehr die am meisten gefürchtete Krankheit bzw. die am meisten gefürchtete Art das Leben zu beenden. „Dieser Makel ist dem Krebs in den letzten Jahren durch das Auftreten einer neuen Krankheit genommen worden, deren Stigmatisierungsvermögen und deren potentielle Identitätsschädigung weit größer ist.“[11] Die Krankheit, die Susan Sontag 1988 in ihren „Gedanken beim Wiederlesen von Krankheit als Metapher“ meint, war AIDS. Heute lassen sich ihre Worte leicht auf dementielle Veränderungen übertragen. Die Demenz ist heute die Krankheit, die überfrachtet ist mit negativen Assoziationen.

Vom Sterben im Zustand der Demenz kursieren schlimme Vorstellungen: Alte Menschen, desorientiert, in Pflegeheime abgeschoben. Sie wissen nicht mehr wer sie sind noch wer sie waren. Ihre Biografie ist ihnen entfallen – sie sind ihrer Identität verlustig gegangen. Weder können sie sich mitteilen noch können sie für sich selbst entscheiden. Die Demenz ist aus dieser Perspektive ein Zustand, der ein gelingendes Sterben – d.h. reflektiert, mit der Möglichkeit noch einmal zu überdenken und zu korrigieren – vereitelt. Keine Möglichkeit mehr, am Ende des Lebens die „Konten zu klären“, sich seiner Versäumnisse bewusst zu werden, wieder gut zu machen, nachzuholen. Indem die „Krebsfilme“ gelingendes Sterben wie hier beschrieben an Autonomie und Selbstbestimmung koppeln, indem sie Angewiesensein auf andere im Angesicht des Todes aussparen, spiegeln (und verstärken?) sie die Tendenz, diese Konzepte zu verabsolutieren.



[1] Spiegel online, 20. Mai 2004

[2] http://www.filmsite.org/bestdeaths.html (3.11.2008)

[3] Susan Sontag: Krankheit als Metapher – AIDS und seine Metaphern, Fischer Taschenbuch Verlag, 2003

[4] Ebd., S. 86

[5] Ebd., S. 12

[6] Ebd., S. 16

[7] Eine der wenigen Ausnahmen, in denen die Protagonistin drei Jahre nach ihrer Brustkrebsdiagnose und Behandlung noch lebt, ist Inge Herold in der DEFA-Produktion Die Beunruhigung (Lothar Warneke, 1981). Die Psychologin, bei der vor drei Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde, ist am nächsten Tag zur Nachuntersuchung einbestellt. Im Rückblick erzählt der Film über die Zeit zwischen Diagnosestellung und Operation, über die Versuche Inge Herolds, sich mit der Diagnose und ihrem bisherigen Leben auseinanderzusetzen. Drei Jahre später lebt sie, persönlich gereift, immer noch.

[8] Hans J. Wulff: Was ich noch zu tun habe, in: Magazin für Theologie und Ästhetik, http://www.theomag.de/31/hjw2.htm (3.11.2008)

[9] Christiana Nord: Vorbereitungen zu einer Abwesenheit, TAZ, 4.9.2003, http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2003/09/04/a0134 (3.11.2008)

[10] Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Insel Verlag, 1982, S. 16 ff.

[11] Sontag, ebd., S. 87