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Laudatio Prof. Dr. Michael Seidel

Dr. Michael Wunder

Lieber Michael Seidel,

wenn man sich im Bereich gesundheitliche Versorgung, insbesondere in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung umtut, stößt man stets auf Ihren Namen. Man stößt nicht nur darauf, es ist auch eine Reihe von Entwicklungen im Bereich der psychiatrischen Wissensentwicklung im Bereich Menschen mit Behinderung engstens mit Ihrem Namen verbunden. Weil ich das weiß und weil ich das aus nächster Nähe miterlebt habe, halte ich diesen Teil der Laudatio besonders gerne.

Ich denke, es sind 20 Jahre, in denen Sie aktiv und für viele von uns vorbildlich für diesen Bereich eingestanden sind und gekämpft haben. Ohne die jeweils so wichtigen Mitstreiter jetzt vergessen machen zu wollen, erscheint es mir doch so, dass Sie an herausragender Stelle dieser Entwicklung stehen, die in der Öffentlichkeit jenseits der Behindertenhilfe an sich erst durch die Diskussionen um die UN-Konvention zu den Rechten für die Menschen mit Behinderungen deutlich geworden ist.

Seit 20 Jahren geht es um das Recht auf Behandlung im allgemeinen Gesundheitssystem und um die Besonderheiten in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung. Und in etlichen der Auseinandersetzungen geht es dabei speziell um die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung dieser Gruppe. Eine Stärke, glaube ich, die von Ihnen ausgeht, ist der Tatsache geschuldet, dass Sie in diesem Bereich Praktiker sind, nämlich leitender Psychiater in Bethel, und Theoretiker, und man kann eigentlich auch sagen Politiker. Das zeichnet auch die von Ihnen mitgegründete DGSGB, die „Deutschen Gesellschaft für seelische Gesundheit bei Menschen mit geistiger Behinderung“ aus, die so wichtig geworden ist durch Ihre Tagungen und Publikationen.

Was ich an Ihnen schätze, ist Ihre Art, die Dinge einfach, praxisnah und, wie ich finde, unabhängig von den jeweils herrschenden Zeitgeistideologien auszudrücken.

So sagten Sie kürzlich auf einer Tagung, auf der wir gemeinsam referiert haben, „Menschenrechte dürfen nicht dazu missbraucht werden, über etwas wegzureden,“ und Sie meinten insbesondere, dass diejenigen, die Selbstbestimmung wie eine Monstranz vor sich hertragen, oft vergessen, dass Menschen mit Behinderung begleitet werden müssen, dass immer auch Hinwendung, Sorge und Fürsorge notwendig ist, damit diese Selbstbestimmung lernen und schließlich praktizieren können. Bei Ihnen und mit Ihnen können sich all die aufgehoben und verstanden fühlen, die natürlich Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung erkämpfen wollen und praktizieren wollen, die aber gleichzeitig dieses Anliegen mit der steten Sorge um Verminderung von Ressourcen verbinden, mit zu früher und zu bequemer Verweisung auf Selbstverantwortung der Betroffenen und mit schlichter Bequemlichkeit und gefährlichem Rückzug des Engagements von Einrichtungen, von Mitarbeitern und staatlichen Instanzen.

Ein ganzer Teil Ihrer Aktivitäten ist, und das ist das zweite, was mir so gut an Ihnen gefällt, dass Sie den Finger in die Wunde eines Strukturwandels legen, der sich als positive Modernisierung verstanden wissen will, von dem Sie aber sagen, dass er zum Verschwinden von Behindertenhilfe basierter, medizinisch therapeutischer Fachlichkeit führt. Sie sind es, der das Fehlen Zielgruppen spezifischen Wissens und Handlungskompetenzen anklagt und die unzulängliche Vergütung des Mehraufwandes, der bei der Behandlung von Menschen mit Behinderung nun mal notwendigerweise entsteht. Sie sind es, der die Verkürzung der Verweildauern in den stationären Behandlungsangeboten für die Gruppe der Menschen mit geistiger Behinderung beklagt – obwohl es gerade Mode ist, die Verkürzung der Verweildauern zu feiern – und der die MVZ-Gründungen als nicht ausreichend bezeichnet.

Und, um ein drittes zu sagen, wo ich mich so freue, dass Sie so aktiv sind und diese Position in der Öffentlichkeit so aktiv vertreten: Ihre Position zum Verhältnis von Regelversorgung zur Spezialisierung. Sie sagen und haben oftmals geschrieben, dass Menschen mit Behinderung, insbesondere vor dem Hintergrund der freien Arztwahl Zugang zur Regelversorgung haben müssen, dass aber gleichzeitig eine spezialisierte Versorgung gesichert werden muss, weil viele Probleme in der allgemeinen medizinischen, insbesondere in der allgemeinen psychiatrischen, psychotherapeutischen Versorgung so different vom Durchschnitt sind, dass der durchschnittliche Behandler zu wenig Expertise durch Erfahrung entwickeln kann, um hier mit hohem Sachverstand und angemessener Einfühlung richtig zu handeln.

Für all diese Positionen und vor allem die Power, mit der Sie diese stets vertreten und auch die doch manchmal etwas trägen Großorganisationen, wie den BeB (Bundesverband evangelische Behindertenhilfe) oder den Fachverband DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) etwas aufmischen und auf Trab bringen, unseren Dank.

Ein Dankeschön auch für Ihre Klarheit in Worten, wenn es um immer wieder neue Begriffsdeutungen geht. Im Ohr ist mir, dass Sie einmal gesagt haben, „Menschen mit besonderer Begabung“ ist ein Euphemismus – es gibt eine geistige Behinderung (besser natürlich eine intellectual disability). Da hilft kein neues Wort.

Wir sind aber mit all diesen Themen noch nicht durch. Sie selber weisen selbst stets darauf hin, wie schwierig mittlerweile die Ressourcenfrage in unserem Bereich geworden ist, wo aufgrund der Knappheit der Mittel der Eingliederungshilfe zunehmend kontextgebundene Beratung in Deutschland wegfällt, wohingegen international der Ausbau dieses Bereichs immer wieder gefordert wird. Es reicht nicht aus, dass die UN-Konvention unterzeichnet und ratifiziert wurde, die DGPPN sich ganz offiziell zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung bekennt oder die Bundesärztekammer ebensolches fordert – der Kampf ist noch nicht gewonnen.

Wir brauchen Sie – die Menschen mit Behinderung brauchen Sie und die vielen Kollegen, die in den verschiedenen Bereichen der ambulanten und stationären Versorgung in diesem Bereich arbeiten, brauchen Sie weiterhin. Nehmen Sie unseren Preis deshalb bitte auch als Ermutigung.

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