Stellungnahme des Ethikforums des IMEW - Verbot der PID gesetzlich verankern
Ethik-Forum der Gesellschafter-Verbände des IMEW, 26. November 2010
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Der Bundesgerichtshof hat in seinem Grundsatzurteil vom 6. Juli 2010 die Präimplantationsdiagnostik (PID) für mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar erklärt. In seiner Entscheidung führt der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) aus, die Auslegung des Embryonenschutzgesetzes lasse keine unbegrenzte Selektion anhand genetischer Merkmale zu, sondern nur Untersuchungen auf schwerwiegende genetische Schäden. Im Übrigen hält der BGH eine eindeutige gesetzliche Regelung des Verfahrens für wünschenswert.
Die Verbände, die das IMEW tragen, appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, möglichst schnell ein klares Verbot der PID gesetzlich zu verankern.
Bereits der Hinweis des Bundesgerichtshofes, eine schwere Behinderung könne ein Grund für eine PID sein, ist ethisch problematisch, weil damit ein Leben mit schwerer Behinderung implizit als nicht lebenswert betrachtet wird. Allein diese Wertung halten wir für einen ausreichenden Grund für ein Verbot der PID.
Konsequenzen aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Ein starkes Votum für ein gesetzliches Verbot der PID ergibt sich ferner aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Konvention bejaht ausdrücklich Menschen mit Behinderungen als Bestandteil der menschlichen Gesellschaft und bringt ihnen als Quelle möglicher kultureller Bereicherung Wertschätzung entgegen (Diversity Ansatz). Deutschland hat sich durch die Ratifizierung der Konvention verpflichtet, einen aktiven Beitrag zur Anerkennung von Menschen mit Behinderungen zu leisten. Dagegen impliziert die Zulassung der PID die Abwertung eines Lebens mit Behinderung als lebensunwertes Leben. Die Erzeugung von Embryonen unter dem Vorbehalt einer genetischen Prüfung widerspricht darüber hinaus grundsätzlich der Menschenwürde.
Eine gesetzliche Regelung durch den Bundestag, die die PID zulässt, ist unvereinbar mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, für die der Bundestag einstimmig votiert hat.
Schwierigkeiten der Abgrenzung
Bei einer Zulassung der PID muss der Gesetzgeber den vom BGH geprägten Begriff des „schwerwiegenden genetischen Schadens“ ausfüllen und klären, welche genetischen Auffälligkeiten er unter die Begrifflichkeit des „schwerwiegenden genetischen Schadens“ subsumiert. Dies bedeutet auch, dass er eine Grenze bestimmen muss, was wegen der zugrunde liegenden Bewertung aus ethischer Sicht problematisch ist. Es ist aber auch faktisch schwierig, eine solche Grenze zu definieren.
Liste mit Krankheiten bzw. Behinderungen ist diskriminierend
Wegen der Schwierigkeiten einer definitorischen Festlegung hat es immer wieder Versuche gegeben, eine Liste mit Krankheiten und Behinderungen, deren Vorliegen eine Selektion der betroffenen Zellen bzw. Embryonen rechtfertigt, zu erstellen. Auf einen solchen Versuch verweist auch der BGH in seiner Urteilsbegründung. So darf nach § 3 Embryonenschutzgesetz bei Vorliegen schwerer geschlechtsgebundener Erbkrankheiten (Muskeldystrophie vom Typ Duchenne) eine Auswahl von Samenzellen erfolgen. Der BGH hat daraus abgeleitet, dass der historische Gesetzgeber auch die PID akzeptiert hätte.
Jedoch gibt es – unseres Wissens – bis heute keine Liste der geschlechtsgebundenen Erbkrankheiten, die zu einer Auswahl von Samenzellen berechtigen. Wir sehen den Grund dafür darin, dass das Erstellen einer solchen Liste von der Gesellschaft insgesamt, besonders aber von den Menschen, die mit der betreffenden Krankheit leben, als stark diskriminierend empfunden worden wäre. Die Bestimmung von Krankheiten oder Behinderungen, die die Durchführung einer PID rechtfertigen soll, stünde vor dem gleichen ethischen Problem.
An der Schwierigkeit, den Anwendungsbereich der PID durch die Nennung konkreter Krankheits- bzw. Behinderungsformen festzulegen, scheiterte auch der Diskussionsentwurf für die Regelung der Präimplantationsdiagnostik der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2000, der mittels eines Verfahrens (Genehmigung durch eine Kommission) die Zahl der PID auf 100 im Jahr begrenzen wollte. Dies zeigt die Problematik einer solchen Liste.
Im Übrigen zeigen die Erfahrungen anderer Länder, in denen die PID eingeführt wurde, dass sie im Laufe der Zeit bei einer wachsenden Zahl von Krankheiten und Behinderungen angewandt wird.
PID und „überzählige“ Embryonen
Die Einführung der PID wirft ein weiteres ethisches Problem auf, das in den letzten Jahren immer wieder heftig diskutiert wurde und bei dem der Bundestag mühsam um einen Kompromiss gerungen hat. Die PID kann dazu führen, dass mehr Embryonen erzeugt werden, als der Frau später übertragen werden können. Daraus ergibt sich aber zwangsläufig die dringende Frage, wie mit den übrigen, nicht übertragenen Embryonen umzugehen sei. Wir befürchten, dass die Stammzellforschung, die seit Jahren ein massives Interesse an der Verfügbarkeit von Embryonen signalisiert, die Gelegenheit nutzen und auf diese Embryonen zugreifen wird.
Resümee
Aus den dargelegten Überlegungen heraus halten die unterzeichnenden Verbände es für notwendig, das Verbot der Präimplantationsdiagnostik möglichst bald gesetzlich zu verankern. Das BGH-Urteil darf nicht dazu führen, dass mangels gesetzlicher Regelung eine schleichende Verbreitung der Technologie stattfindet.
Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V. (ASbH),
Münsterstr. 13, 44145 Dortmund.
Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE),
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf.
Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V. (BeB),
Postfach 33 02 20, 14172 Berlin.
Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. (BVKM),
Brehmstr. 5-7, 40239 Düsseldorf.
Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. (BVLH),
Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg.
Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP),
Karlstr. 40, D-79104 Freiburg i. Br.
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.
(ISL), Herrmann-Pistor-Str. 1, 07745 Jena.
Sozialverband VdK Deutschland e.V.,
Wurzerstr. 4a, 53175 Bonn.
Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V.,
Schloßstr. 9, 61209 Echzell-Bingenheim.