Deutscher Bundestag Ausschuss f. Gesundheit

Ausschussdrucksache 16(14)0288(27)

31.10.2007

 

Dr. Katrin GrüberLeiterin des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft

Warschauer Str. 58 A

10249 Berlin

Tel 030-293817-70Fax 030-293817-80Email grueber@imew.de

 

 

 

Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf

der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

 

„Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen

beim Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG)"

 

BT-Drs. 16/3233

 

Anhörung des Ausschusses für Gesundheit

des Deutschen Bundestages am 07.11.2007

 

 

 


Für die Benennung als Sachverständige für die Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis  90/DIE GRÜNEN Gendiagnostikgesetz-GenDG möchte ich mich bedanken und vorab einige Einschätzungen und Empfehlungen zusenden, ohne dabei den Anspruch  auf Vollständigkeit zu erheben.

Vorbemerkung

Seit vielen Jahren sind Fragen der rechtlichen Regelung genetischer Untersuchungen beim Menschen Gegenstand parlamentarischer Beratungen im Deutschen Bundestag (s. insbesondere die Enquetekommission Chancen und Risiken der Gentechnik" in der 10. Legislaturperiode). Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat in  den vergangenen Jahren regelmäßig für den Deutschen Bundestag Berichte verfasst).[1] Auch die Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin" hat im Schlussbericht vom 14.05.2002 Empfehlungen zur recht­lichen Regelung der Gen- diagnostik formuliert. CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag folgendes vereinbart:  

„Biomedizin"

Genetische Untersuchungen bei Menschen werden in den Bereichen gesetzlich geregelt, die angesichts der Erkenntnismöglichkeiten einen besonderen Schutzstandard erfordern, um die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Durch diese gesetzliche Re- gelung soll zugleich die Qualität der genetischen Diagnostik gewährleistet werden.[2]

Zum Gesetzentwurf

Der vorliegende Entwurf der Fraktion Bündnis 90/DIE GRüNEN ist der erste konkret ausgear­beitete Gesetzentwurf, der dem Deutschen Bundestag vorliegt und beraten wird. Er ist umfas­send und enthält detaillierte Vorschläge zur Regelung der Bereiche, in denen Gendiagnostik eingesetzt wird: Pränataldiagnostik, Gentests an Erwachsenen und Forschung einschließlich der Biobanken.

Der Gesetzesentwurf formuliert Qualitätsstandards an die Durchführung von genetischen Tests, beispielsweise durch die Einführungen von Zulassungsverfahren, insbesondere aber durch die Festlegung von Anforderungen an Aufklärung und Beratung bei genetischen Tests. Außerdem werden bestimmte Anwendungen von genetischen Tests ausgeschlossen, um sicherzustellen, dass das in § 4 formulierte Diskriminierungsverbot seine Wirkung entfalten kann. Auch wenn "die Wahrung der Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Men­schen wie für die Forschung" festgeschrieben wurde, liegt der Schwerpunkt des Gesetzes auf dem Schutz vor Diskriminierung.

Recht auf Nichtwissen

Der Gesetzentwurf begründet neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht auf Nichtwissen und zeigt auf, wie dieses Recht gewahrt werden kann. Dies ist aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu begrüßen. Allerdings ist zu fragen, ob beispielsweise in Bezug auf die Regelung zu genetischen Reihenuntersuchungen das Recht auf Nichtwissen konsequent umgesetzt werden kann (s.u.).

Umfassender Begriff der genetischen Untersuchungen

Nach dem Gesetzentwurf ist nicht die Methode, sondern das Ziel der Untersuchung entschei­dend. Es handelt sich um eine genetische Untersuchung, wenn damit ein genetisches Merkmal festgestellt werden soll (§ 3 (1) und (2)). Die Begründung, dass eine andere Sichtweise eine "unzulässige, weil nicht begründbare Methodendiskriminierung" (§ 3, Absatz 1, Nummer 1) dar­stellt, ist nachvollziehbar. Ein möglicher Nachteil einer solchen Herangehensweise kann aller­dings darin liegen, dass die Rolle der Gendiagnostik als medizinische Untersuchungsmethode zu stark betont wird, auch wenn dies nicht intendiert ist. Dem kann durch geeignete Formulie­rungen, die bereits im Gesetzentwurf angelegt sind, begegnet werden. (s. u.)

Begrenzte Aussagekraft von Gentests

Der Gesetzentwurf weist an mehreren Stellen darauf hin, dass die Aussagekraft genetischer prädiktiver Tests in der Regel begrenzt ist. So heißt es: "Genetische Untersuchungen liefern insofern in den meisten Fällen lediglich statistische Krankheitswahrscheinlichkeiten" (S.1).[3] In der Begründung zu § 30 wird in Bezug auf die zahlreichen multifaktoriellen Erkrankungen fol­gendes festgestellt: "Nach heutigem Wissensstand ist hier in den meisten Fällen der alleinige Nachweis einer statistischen Assoziation von bestimmten Genvarianten mit bestimmten Krank­heiten noch kein sicherer Hinweis auf eine tatsächliche ursächliche Beziehung". Diese Ein­schätzung wird durch zahlreiche Veröffentlichungen gestützt.[4]

Vor diesem Hintergrund sind Formulierungen, dass "genetische Eigenschaften [...] für eine Er­krankung [...].ganz oder teilweise ursächlich sind..." (beispielsweise in § 20 und in § 24) mögli­cherweise missverständlich, da hier die Ausnahme als Regel angesehen werden kann.

Die Unterscheidung zwischen der ursächlichen Beziehung zwischen genetischen Eigenschaften und Krankheiten und dem Hinweis auf eine statistische Assoziation kann eine Entscheidung über die Inanspruchnahme von Tests beeinflussen. Deshalb erscheint eine entsprechende Klarstel­lung hilfreich, insbesondere in den § 5 Allgemeine Aufklärung der Bevölkerung, § 11 Aufklärung (2) 1 und § 12 Beratung.

Genetische Untersuchung bei nichteinwilligungsfähigen Menschen

Der Gesetzentwurf enthält an mehreren Stellen Regelungen zum Schutz von nichteinwilli­gungsfähigen Menschen. Die vorgeschlagenen Regelungen, die verhindern sollen, dass geneti­sche Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Menschen durchgeführt werden, gehen relativ weit. Allerdings gibt es Ausnahmen (§ 16 Absatz 2 sowie § 33(1). Die Begründungen im Gesetzentwurf, warum diese Ausnahmen notwendig sind, überzeugen nicht. Eine Streichung erscheint deshalb folgerichtig.

Einzelne Regelungen

§ 5 Allgemeine Aufklärung der Bevölkerung

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die „Bevölkerung über die Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Risiken und die Voraussetzungen genetischer Untersuchungen in allgemeiner Form auf[geklärt] wird“. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, wobei der Gesetzgeber Sorge dafür tragen sollte , dass eher die Form eines Dialoges als die der Aufklärung der Bevöl­kerung gewählt wird. Eine öffentliche Kommunikation auf der Grundlage des Defizitmodells der Bevölkerung ist nicht zeitgemäß.

Auch wenn sich dies wohl kaum gesetzlich regeln lässt, so wäre es doch sinnvoll, öffentlich auf den Unterschied zwischen der ursächlicher (Mit) Wirkung von Genen an Erkrankungen und dem Nachweis einer statistischen Assoziation zwischen genetischen Eigenschaften und Erkrankungen hinzuweisen.(s.u.).

§ 18 Genetische Reihenuntersuchungen

Der Gesetzentwurf stellt fest, dass „das öffentliche Interesse an der Reihenuntersuchung über das individuelle Interesse der untersuchten Person gestellt wird“. (s. die Gesetzesbegründung zu §18 Absatz 1 Satz 1). Richtigerweise wird festgestellt, dass bei genetischen Reihenunter­suchungen die Gefahr der Diskriminierung und die Wahrung des Rechtes auf Nichtwissen be­sonders bedroht sind. Es werden Anforderungen formuliert, die beispielsweise das Heterozy­goten-Screening ausschließen. Der Gesetzentwurf enthält allerdings an dieser Stelle keine Vor­kehrungen, die das Recht auf Nichtwissen absichern. Es ist allenfalls vorgesehen, Risiken durch prozedurale Verfahren wie durch Empfehlungen der Gendiagnostik-Kommission, die im Aufklärungsgespräch mitgeteilt werden sollen, zu minimieren.

Genetische Reihenuntersuchungen sollen nach § 18 dann möglich sein, wenn damit festgestellt wird, “ob die betroffenen Personen genetische Eigenschaften mit Bedeutung für eine Erkran­kung oder gesundheitliche Störung haben….“ Es wird also a nders als bei anderen Paragra­phen nicht zwischen einer ursächlichen Wirkung und einer mitursächlichen Wirkung unterschie­den. Ist eine genetische Eigenschaft aber nur mitursächlich, d.h. ist sie ein Faktor unter mehre­ren, so erscheint es angesichts der ausgeführten Probleme nicht angemessen, Reihenuntersu­chungen zu ermöglichen. Denn der Nachweis, dass die Krankheit „nach dem allgemein aner­kannten Stand von Wissenschaft und Technik vermeidbar ist“ (§ 18 (1), dürfte sehr schwer zu führen sein. Deshalb wird vorgeschlagen, den Gesetzestext entsprechend zu präzisieren. Auch sollte explizit in § 18 aufgenommen werden, dass die Aufklärung vor der genetischen Reihen­untersuchung ergebnisoffen verläuft, damit das Recht auf Nichtwissen des Einzelnen gewähr­leistet werden kann.

Sollten in Zukunft genetische Screenings als Gesundheitsuntersuchungen (§ 25 SGB V) einge­stuft werden, könnte eine Nichtteilnahme zu finanziellen Nachteilen in der Zukunft führen Ein Recht auf Nichtwissen wäre aber nur dann gewährleistet, wenn auch aus einer Nichtteilnahme an genetischen Reihenuntersuchungen keine Nachteile erwachsen. Deshalb wäre eine ent­sprechende Klarstellung hilfreich.

§ 34 Richtlinien

Die Regelung, dass die „nach der auf § 140g SGB V basierenden Rechtsverordnung aner­kannten maßgeblichen, bundesweit organisierten Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinder­ter Menschen“ ein Vorschlagsrecht für die Sachverständigen und ein stellvertretendes Mitglied haben, geht in die richtige Richtung. Allerdings sollte geprüft werden, inwieweit ein Austausch mit den oben genannten Organisationen, etwa im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des geplanten jährlichen Tätigkeitsberichtes verbindlich festgelegt werden kann, um die Expertise von Menschen mit Behinderungen bzw. auch mit genetischen Erkrankungen und ihren Angehö­rigen in die Tätigkeit der Gendiagnostik-Kommission einfließen zu lassen.

§ 38 Evaluation

Die Regelung im Gesetz, das Gesetz nach zwei Jahren durch ein unabhängiges Institut evaluie­ren zu lassen, ist vom Grundsatz her richtig, sollte aber mehrfach durchgeführt werden. Es wird empfohlen, ein besonderes Augenmerk auf den Gesetzesvollzug zu legen, d.h. zu überprüfen, inwieweit das Gesetz bekannt ist und angewandt wird.

Empfehlung

Es ist empfehlenswert, wenn der Bundestag möglichst bald die Anwendung der Gendiagnostik gesetzlich regelt. Dabei sollte, so wie es dieser Gesetzentwurf vorsieht, in erster Linie den Schutz vor Diskriminierung beachtet und die Qualität der genetischen Diagnostik gesichert wer­den. Letzteres umfasst insbesondere die Qualität der Tests, den Umgang mit genetischen Daten, die Aufklärung und die Beratung im Zusammenhang mit genetischen Tests.

Es ist im Übrigen sehr – auch im Sinne eines „Disability Mainstreaming“ zu begrüßen, dass mehrere Verbände der Behindertenhilfe und –selbsthilfe und Selbsthilfegruppen als Sachver­ständige zu der Anhörung des Gesundheitsausschusses eingeladen wurden.



[1]  (s. z.B. Arbeitsbericht Nr. 66 Leonhard Hennen, Thomas Petermann, Arnold Sauter: Stand und Perspektiven der genetischen Diagnostik, Sachstandsbericht April 2000)

[2]  http://www.cducsu.de/upload/2C2581D5821FD61A7A4DEA71E3C644CA11376-by1b0oli.pdf

[3]  s. auch die Begründung zu § 3: „Bei der Untersuchung kann es sich um die sichere Feststellung bestimmter genetischer Eigenschaften handeln, aber auch um eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das Vorliegen solcher Eigenschaften.“

[4]  s. dazu die Auswertung einer Artikel-Serie in der Zeitschrift Lancet aus dem Jahre 2005 in Biobanken – Konzepte und Umsetzung, Erstellt im Auftrag des Deutschen Bundestages Vorgelegt dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, Katrin Grüber und Rainer Hohlfeld, November 2005.